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BERLIN/ Berliner Ensemble: „MAX UND MORITZ“, eine  Bösebubengeschichte für Erwachsene nach Wilhelm Busch,

27.05.2019 | Theater

Max und Moritz mit Annika Meier Constanze Becker Stefanie Reinsperger Sascha Nathan. Foto:JR-Berliner Ensemble.

Berlin / Berliner Ensemble: „MAX UND MORITZ“, eine  Bösebubengeschichte für Erwachsene nach Wilhelm Busch, 26.05.2019

„Da lachen ja die Hühner“, lautet ein Sprichwort, wenn etwas lustig, aber nicht ganz glaubwürdig ist. Im Berliner Ensemble gackern und flattern sie in Menschengröße, stecken doch ausgewachsene Schauspielerinnen und Schauspieler in den weißen Federkostümen, erdacht von Victoria Behr, die sich recht genau und erheiternd an Wilhelm Buschs Zeichnungen orientiert.  

Die aufgeregten Hühner flüchten vor dem eifrigen schwarzen Hahn, der das macht, was Hähne halt tun, so dass die Federn über die ganze Bühne (gestaltet von Matthias Koch) bis ins Publikum fliegen. Hektische Szenen, fabriziert nach Wilhelm Buschs „Max und Moritz“, dieser Lausbubengeschichte, die sein größter Erfolg als Zeichner und kreativer Versebastler werden sollte. Der turbulente „Erste Streich“ ist die lustigste Nummer, die Regisseur Antú Romero Nunes gelungen ist.

Auch Buschs Vorwort bleibt erhalten, wird aber als Comic inszeniert. In seinen kurzen Bildergeschichten die Vorläufer der heutigen Comics zu sehen, macht durchaus Sinn. Mit einem Mix aus kaum verständlichem Teeny-Sprech und Busch-Reimen ruckeln die beiden Tunichtgute mit abgehackten Gesten zunächst von einem gedachten Comic-Bild zum nächsten.

Als Zutat dient ein Penis-Vergleich. Den bringen hier allerdings zwei Damen zustande: Stefanie Reinsperger als der kompakte Max und Annika Meier als der schmale Moritz, beide auch entsprechend frisiert. Mit sichtlicher Wonne werfen sie sich, angefeuert von Ravels „Bolero“, in ihre Rollen und investieren all’ ihr Können in dieses Garnicht-Kinderspiel.  

Ein gelungener Auftakt, doch den richtigen Schwung bekommt das Stück, wie schon angedeutet, erst mit der Hühnerszene. Und dabei ist Sascha Nathan als Witwe Bolte, der in Gestik, Mimik und Sprache alles urkomisch zuspitzt, „eine Wucht in Tüten“, wie die Berliner sagen. „Meines Lebens schönster Traum, hängt an diesem Apfelbaum“, schluchzt sie (er) schließlich, nachdem sich das Federvieh, von den bösen Buben überlistet, am Ast dieses Baumes aufgehängt hat. 


Max und Moritz mit den Hühnern Constanze Becker, Stefanie Reinsperger, Annika Meier, Tilo Nest,  Sascha Nathan. Foto:JR-Berliner-Ensemble.

Die sieben Streiche plus Vorwort und Schluss sind im Programmheft abgedruckt. Zwei davon hat Busch dem Federvieh-Drama gewidmet, mitsamt der Angelei der gebratenen Hühner, die Max und Moritz durch den Schornstein bewerkstelligen. Der Rest, so dachte sich wohl Antú Romero Nunes, reiche kaum aus, um das Publikum in annähernd üblicher Länge zu unterhalten. Hier sind es 1 ¾ pausenlose Stunden.  

Also hat er Szenen aus Wilhelm Buschs „Maler Klecksel“ eingefügt und lässt Thilo Nest – vor seiner Rolle als Schneider Böck – erstmal als Kunstsachverständigen mit einem langen Stück Stoff („aus dem die Träume sind“, wörtlich) hantieren. Köstlich-ironische Verse sind das, doch spricht sie Nest eher im Bühnenhintergrund. Daher zünden sie kaum, und sein Hin und Her mit Gemälden – auch recht weit hinten – scheint das Publikum nicht wirklich zu interessieren.

Auf diese Weise breitet sich etwas Langeweile aus, ehe Thilo Nest tatsächlich als der simple, von Max und Moritz verspottete Schneider Böck, agieren darf. Ihm sägen die beiden hier nicht die Brücke an, deren Zerbrechen ihn in Lebensgefahr bringen könnte. Das wird durch eine heftige Dusche ersetzt, die ihm Max und Moritz verpassen. Immerhin bügelt seine resolute Frau – auch hier Sascha Nathan – dem Zitternden das Wasser aus den Kleidern und die Kälte aus dem Bauch, telefoniert dabei aber echt heutig, ständig mit zwei Apparaten.

Auch der zappelige Lehrer Lämpel – verkörpert durch Constanze Becker – wird angepasst, was an sich kein Fehler ist. Beim Musizieren in der Kirche sitzt er nicht verklärt an der Orgel, sondern entlockt seiner Flöte ziemlich schräge Töne. Max und Moritz schwänzen lieber seinen Unterricht und hecken einen weiteren Streich aus. Mit Krach-Bum  explodiert schließlich und recht original seine nicht mit Tabak gestopfte Pfeife.

Und statt der Maikäfer sammeln Max und Moritz begeistert Glühwürmchen anstelle von Maikäfern, um sie ihrem Onkel ins Bett zu stecken. Dank der Beleuchtung durch Ulrich Eh und untermalt von der Musik durch Johannes Hofmann ( Live-Musik: Carolina Bigge) gerät das zu einer poetischen Szene.

Abgesehen vom heutigen Mangel an Maikäfern zeigt sich schon bei der Bearbeitung dieses fünften Streiches die Tendenz, die mitunter gefährlichen Einfälle der beiden Knaben in dieser Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen zu verharmlosen. Immerhin beinhalten Buschs Verse Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Tierquälerei und schwere Körperverletzung. In manchen deutschen Regionen waren sie nach der Veröffentlichung im Jahr 1865 für Kinder unter 18 verboten. Das BE empfiehlt nicht unter 14 Jahren.

Echt weichgespült wird dann das gnadenlose Ende, das Wilhelm Busch den beiden verpasste,  die beim Bäcker eingebrochen waren und erwischt wurden. „Rickeracke! Rickeracke!“ Geht de Mühle mit Geknacke.“ – Bei Busch schrotet sie die bösen Buben in Stücke, eine dörfliche Lynchjustiz und Gesamtstrafe für ihre Taten. Nein, Wilhelm Busch war beileibe kein simpler Humorist.

Doch so streng urteilt heutzutage in den meisten Ländern kein Richter mehr, und solch einen Schluss will wohl kein Theatermacher dem Publikum offerieren. Der Shitstorm wäre sicherlich enorm. Im BE werden die beiden vom Müller „nur“ in einen Kasten gesperrt. Hinterher ringt der Max nach Luft und ein großes, von der Decke herabschwebendes Plastikmöbel – vielleicht ein Himmelstor – umhüllt den sterbenden Jungen. Der zitternde Moritz, der nicht alleine weiterleben will, wird auf die gleiche Weise erlöst.

Ein Ende mit Rührungspotenzial jenseits von Busch, und so behält per saldo das Lustige an dieser Lausbubengeschichte die Oberhand. Herzlich applaudiert nun das Publikum, einige kieksen. Riesenjubel klingt jedoch anders.  Ursula Wiegand

Weitere Termine: 26. 05 sowie am 01., 02. 15. und 16. 06

 

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