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BERLIN/ Berliner Ensemble: FELIX KRULL von Alexander Eisenach nach Thomas Mann

12.01.2020 | Theater


Von links nach rechts: Martin Rentzsch, Constanze Becker, Jonathan Kempf, Marc Oliver Schulze, Sina Martens, Foto JR Berliner Ensemble

Berlin/ Berliner Ensemble:FELIX  KRULL“ von Alexander Eisenach nach Thomas Mann, 11.01.2020

Der genaue Titel lautet: „Stunde der Hochstapler – Das Krull-Prinzip“, und diese Wortwahl zeigt sofort, dass es in diesem Stück von Autor und Regisseur Alexander Eisenach nicht nur um das Fragment von Thomas Mann „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ geht.

Denn Eisenach erweitert diese in  Maßen spaßige Lebensbeichte ins Fantastische und ins Heutige sowieso. Denn das Lügen, ein bisschen Betrügen oder eine kleine Schummelei waren und sind stets allgegenwärtig. Auch selbst machen wir uns gerne was vor.

Wer will denn immer die nackte, traurige oder schlimme Wahrheit hören? Und wer behauptet: „ich lüge nie“, hat schon eine ganz dicke Lüge auf den Lippen. Eisenach mit seinen teils bizarren Einfällen bietet also Gymnastik für das Gehirn und die Lachmuskeln.

Eigentlich darf nun niemand diesen Bericht weiterlesen, der könnte ja auch eine Schönfärberei oder ein unverdientes Heruntermachen sein. In der Deutschen Oper Berlin hing mal vor vielen, vielen Jahren ein Zeitungsausschnitt mit einer Kritik. Doch der Schreiber war gar nicht im Haus und wusste daher nicht, dass die Vorstellung an diesem Abend ausgefallen war. Er berichtete über etwas, das gar nicht stattgefunden hatte. Ein weltweiter Einzelfall ist das wohl nicht gewesen. Gemogelt wurde schon immer, und im digitalen Zeitalter ist das besonders leicht zu bewerkstelligen.

So betrachtet sitze ich doch lieber im gut geheizten Großen Saal des Berliner Ensembles und lache genau wie die Sitznachbarin über all’ die kuriosen Einfälle, mit denen Alexander Eisenach die Story von Thomas Mann aufgepeppt hat, Kalauer (dumme Witze) inklusive.

Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, können mir glauben, dass zu Beginn wirklich ein schlanker Mann im Frack wild geigend und dabei heftig grimassierend auf der von Daniel Wollenzin gestalteten Bühne steht. Auf den ersten Blick wirkt sein Violinspiel recht versiert, doch Vivaldis Jahreszeiten fluten nur vom Band durch den ausverkauften Saal. Als der Beinahe-Künstler erschöpft zusammenbricht, tönt sie munter weiter.

Der Schein-Virtuose ist natürlich der Hochstapler Felix Krull, Sohn eines bankrotten Schaumweinfabrikanten. Vortrefflich verkörpert ihn Marc Oliver Schulze. Er zeigt ihn gekonnt als einen überaus Wendigen in allen Lebens- und Liebeslagen, der alle verzaubert und den Chef des Theaters (Martin Rentzsch) sofort begeistert. Dem nämlich kommt es nur auf die Kunst der Verstellung an, da das Publikum im Theater Illusionen statt Realität finden will. Die glaubhaft zu schaffen, sei auch hohe Kunst.

Krull, der schlau auch die politischen Ansichten  des Direktors  zu teilen vorgibt, wird nun gleich in die Schauspielertruppe integriert. Dass er dem Direktor nicht nur als geistreicher Partner, sondern auch als Mann gefällt, wird angedeutet, doch noch mehr gefällt er den Frauen, zunächst der hübschen Schauspielkollegin (Sina Martens) im goldfarbenen Rokoko-Outfit (Kostüme: Julia Wassner). Bald springt sie ihm auf den Rücken und lässt sich von ihm huckepack tragen, was dem Krull nicht ganz zu passen scheint.

Sie verkündet voller Überzeugung, dass Selbstoptimierung angesagt sei, und das ist ja tatsächlich sehr populär geworden. Dass die Illusionen aber nicht gar so leicht zu erzeugen sind, bemerkt sie andererseits auch. Beim Squasch-Versuch feuert sie die Bälle über die Köpfe der Zuschauer/innen hinweg. Doch die kommen nicht an sie zurück, woraus sie schließt, dem Saal fehle wohl die vierte Wand. Das Publikum macht fröhlich mit und wirft einige gefangene Bälle auf die Bühne zurück.

Die Hübsche steht auch in der Loge neben dem prolligen Theater-Mitarbeiter bzw. Kollegen.  Dieser simple Realo (Jonathan Kemps!) durchschaut den Scharlatan Felix Krull, auch wenn der im Eiltempo sogar seine Kenntnisse in Französisch und Englisch unter Beweis stellt. Der skeptisch Schlaue, der so nett den tumben Berliner mit leichter Sprachhemmung gibt, gewinnt sofort die Sympathien der Besucherinnen und Besucher.  

Andererseits wird Felix Krull auch zum Tiefstapler, der sich als Klempner bemüht, ausgerechnet auf der Bühne ein neues Klo zu installieren und nun damit sein Geld verdienen will. Den gibt, mit den Anschluss-Schläuchen hantierend, ebenfalls Marc Oliver Schulze, nun im Blaumann.

Etwa zur Halbzeit wird der rote Vorhang im Bühnenhintergrund weggezogen, und ein riesiges Clownsgesicht kommt zum Vorschein. Dort klagt eine Frau über Langeweile und ständige Müdigkeit. Doch kaum erblickt  sie den herumirrenden Krull, wird die Langbeinige extrem munter, reißt sich die Kleider vom Leibe und bedrängt ihn in sexy schwarzer Korsage.  Kaum zu glauben, aber das ist Constanze Becker, die sonst so großartig die Penthesilea und die Medea verkörpert.

Als Top-Schauspielerin kann sie das selbstverständlich genau so und schlüpft schließlich noch in die Rolle einer Professorin, die im besten Fachchinesisch aus einem Vortrag über die Entstehung der Welt zitiert.

Es bleibt jedoch nicht bei der Theorie. Mit unterschiedlichen Farben in drei Eimern will sie die Evolution den erstaunt Zuhörenden nahe bringen. Weiß und blau werden miteinander vermischt, bei der Entstehung des Menschen kommt blutrot (!) hinzu. Zuletzt flüchten sie alle in eine Badewanne als sei diese die Arche Noah zum Überleben. Welch eine Idee! Als Heilsbringer mit nacktem, farbbekleckerten Oberkörper entsteigt ihr als Sieger Felix Krull.

Zuletzt öffnet sich sich Bühne nach hinten und zeigt einen kunterbunten Jahrmarkt. „Hereinspaziert“ tönt es laut vom Tonband, dort warten die Super-Illusionen. Aber auch im Berliner Ensemble. 

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 14.01. der letzte im Großen Haus. – Weiter geht es im modernisierten Neuen Haus mit – bis auf den Hauptdarsteller – neuer Besetzung am 17., 18., 19., 24. und 25. Januar.

 

 

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