Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Berliner Ensemble: DIE DREIGROSCHENOPER – ein Volltreffer

21.08.2021 | Theater

Berlin/ Berliner Ensemble: „DIE DREIGROSCHENOPER“, ein Volltreffer. 20.08.2021

be, dreigroschenoper, nico holonics, foto jörg brüggemann, ostkreuz
Nico Holonics. Foto: Jörg Brüggemann/OSTKREUZ

Die Musik fetzt sofort los. Adam Benzwi und seine Band – bestehend aus James Scannel, Doris Decker, Otwin Zipp, Stephan Genze, Ralf Templin und Vít Polák – versetzen den ausgebuchten Großen Saal vom Berliner Ensemble (BE) gleich in eine unentrinnbare Kurt-Weill-Stimmung.

Die Musik-Crew leicht unterhalb der Bühne lässt nichts anbrennen und eher auflodern. Vier Saxophone von Sopran bis Bariton, sowie Posaune, Kontrabass, Trompete und Schlagzeug sind im Einsatz, das absichtlich oft verstimmte Klavier dringt ebenfalls durch – um zunächst die tüchtigsten Lärmerzeuger zu nennen.

Harmonium, Klarinette, Flöte, Piccolo, Gitarre und Banjo sind auch mit dabei. Eigentlich müsste diese teils schrille Hommage an den frühen Jazz und die Goldenen Zwanziger das Publikum aus den Sesseln katapultieren. Waren die Leute bei der Uraufführung 1928 an genau diesem Ort, dem damaligen Theater am Schiffbauer Damm, ebenso sittsam?

Im BE bleiben alle brav auf ihren Stühlen, nur der Glitzer-Vorhang gleich hinter der Mini-Kapelle gerät leicht ins Schwingen. Aus dem schaut bald ein Gesicht mit Glitzer-Perücke heraus und singt mit rauchiger Stimme die Moritat von Mackie Messer, den wohl bekanntestes Song der Dreigroschenoper und erhält dafür sofort starken Beifall.

Eines wird schon in diesen Anfangsminuten spürbar und schnell zur Gewissheit: Für Regisseur Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, ist Kurt Weills Musik das Wichtigste in der Dreigroschenoper. Ohnehin hält er große Stücke auf Weill, der in der Nazizeit in die USA emigrierte, dort aber seine Karriere fortsetzen konnte. Kosky räumt ihm gar den gleichen Stellenwert wie Richard Wagner für Deutschlands Musikentwicklung ein.

Aus diesem Grund scheint der Text von Bertolt Brecht, angefüllt mit Sozialkritik, für Kosky nur das passend gereimte Gerüst für diese knackige Revue mit all’ ihren schmissigen, teils auch romantisch angehauchten Songs zu sein.

be, dreigroschenoper, bettina hoppe, nico holonics, foto jörg brüggemann
Bettina Hoppe, Nico Holonics. Foto: Jörg Brüggemann/OSTKREUZ

Tatsächlich ist ein raumhohes Gerüst im Hintergrund aufgebaut (Bühne: Rebecca Ringst). Kletterkünste und Singen einige Meter über dem Boden sind angesagt und werden perfekt geboten. Brechts Klassenkampf-Attitüde, die heutzutage trotz ähnlicher Probleme oft so sonderbar altbacken wirkt, wird von Weills Musik und der Schauspielkunst aller Beteiligten in den Hintergrund gerückt. Nach manch trägen Dreigroschenoper-Versionen ist nun Koskys Version die unterhaltsamste, ohne flach zu wirken.  

Den außergewöhnlichen Schauspielerinnen und Schauspielern am BE kommt das durchaus entgegen. Mit spürbarer Begeisterung werfen sie sich in ihre Rollen. Die können nicht nur musicalmäßig gut singen, sondern dieses bekannte Stück auch mit Komik ausstatten. Die sind superfit im Kopf und im Körper.

Doch einer gewinnt in seiner Gesamt-Wendigkeit die Goldmedaille: Nico Holonics als Mackie Messer. Der vibriert pausenlos, dem fällt immer was ein. Der ganze Körper im Tanzmodus. Kein Wunder, dass die Polizei ihm lange vergeblich auf den flinken Versen ist.

Allerdings ist der amtierende Sheriff Tiger-Brown sein Freund aus Jugendjahren. Der schützt ihn, selbst wenn Mackie auch ihm gegenüber nicht zart besaitet ist. Es scheint ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden zu bestehen, und in dem hat Mackie das Sagen. Vermutlich aus diesem Grund hat Kosky den Sheriff mit Kathrin Wehlisch in der Hosenrolle besetzt.  

be, dreigroschenoper, cynthia micas, nico holonics, foto jörg brüggemann, ostkreuz
Cynthia Micas, Nico Holonics. Jörg Brüggemann/OSTKREUZ

Sehr bemerkenswert singt und agiert auch Tilo Nest als Jonathan J. Peachum, der mit Hilfe einer Bettlertruppe sein Geld verdient. Dennoch wirkt er fast wie ein Gentleman und seine Frau Celia Peachum – Constanze Becker! – beinahe wie eine Grand Dame im edlen Nerz (?), aber mit fast nichts darunter. (Kostüme: Dinah Ehm). Die wurden in den eigenen Werkstätten gefertigt, erwähnt die dicke Programmzeitung, die außerdem mehrere Vorträge bereithält. Vielleicht fand sich der Pelz auch in Omas Kleiderschrank.

Das weiße Tüllkleid eher nicht, das die höchst charmante Cynthia Micas bei jedem Schritt ihrer von Mackie zurecht bewunderten schönen Beine selbst beim Gerüstklettern wippen lässt. Mackie macht ihr angeblich einen Heiratsantrag, und sie darf sich als Beweis einen seiner Ringe aussuchen.

Doch Tiger-Brown unterzeichnet die Heiratsurkunde keineswegs, und Konkurrentinnen gibt es allemal. In diesem Genre wird nun Bettina Hoppe als Seeräuber-Jenny zum Mittelpunkt. Ein Schiff wird kommen, so träumt sie, aber eines mit acht Segeln, 50 Kanonen und 100 Piraten.

Das wird die Bevölkerung erschießen, die sie ausnutzt und peinigt. Ein Wunschtraum von Unterdrückten, von Kurt Weill musikalisch nachgebessert. Auch an diesem Abend wird dieser Dauerbrenner, so wie er vorgetragen wird, sofort mit heftigem Beifall belohnt.

Fast noch mehr räumt Laura Balzer als Lucy Brown, des Sheriffs Tochter, ab, die hinter Papas Rücken ein Verhältnis mit dem unwiderstehlichen Mackie hat. Im schulterfreien hellblauen Kleidchen springt sie über die Bühne und kräht ihre Songs absichtlich mit falschen Tönen heraus.

Na, ist die überhaupt schon volljährig?  Mackie hat danach sicherlich nicht gefragt. Gegenüber Polly, die mit ihr um Mackie streitet, täuscht die Kleine eine Schwangerschaft vor. Der Vater und andere kommen hinzu. Es wird die lustigste Szene überhaupt.

Schließlich hat die Polizei Mackie nach einer Reihe von Messer-Morden doch noch erwischt. Doch schon bei der Henkersmahlzeit mit Spargelschlucken fängt das Publikum an zu kichern, und er selbst singt noch, als er schon ziemlich lange am Galgen baumelt.

Doch originalgetreu muss auch bei Kosky der charmante Mörder keineswegs sterben. Er wird von der Königin, die einen Besuch in der Stadt macht, begnadigt, in den Adelsstand erhoben und erhält einen hohen Posten sowie eine stattliche Leibrente obendrein.

Das Fazit: die Skrupellosen entrinnen der verdienten Strafe und schaffen es stattdessen, auf der Erfolgsleiter immer weiter nach oben zu klettern. Dazu Brechts Motto: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“. Man muss beispielsweise nur Dinge vermitteln, die gerade dringend gebraucht werden, um das eigene stattliche Salär noch weiter aufzubessern. Da solches und Ähnliches bekannt ist, wirkt dieser erhobene Zeigefinger überflüssig.

Die Anwesenden spenden schließlich langen, tosenden Applaus. Den haben die im Graben und auf der Bühne mehr als verdient. Für das BE ist diese neue, durch Corona verzögerte Dreigroschenoper – eine Glanzbesetzung vorausgesetzt  – sicherlich ein lange Zeit unkaputtbares Schmuckstück.     

Ursula Wiegand   

 

 

Diese Seite drucken