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BERLIN/ Berliner Ensemble: DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES von Bertolt Brecht, Premiere

13.01.2019 | Theater


Vorne Aysima Ergün als Antigone, hinten Skye MacDonald, Annina Walt, copyright Julian Röder

Berlin/ Berliner Ensemble: DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES von Bertolt Brecht, Premiere, 12.01.2019

Zwei junge Frauen – Aysima Ergün und Annina Walt –  sitzen auf einem schrägen Gestell mit einigen abgedeckten und zahlreichen offenen Quadraten. (Bühne: Wiebke Bachmann). Auf und vor diesem Raum füllenden Gestell rollt in 90 Minuten die Tragödie ab. Das Hin und Her wird dabei oft zu einer Kletter- und Sprungübung. Doch das machen die fitten jungen Leute – bei dieser Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ – mit Mut und Geschick.

Jedenfalls ist dieses Gestell eine prekäre Behausung für die beiden verwaisten Schwestern Antigone und Ismene, die ihnen König Kreon, ihr Onkel, zugewiesen hat. Hinter (angeblich) verschlossenen Türen trauern sie um ihre beiden Brüder Eteokles und Polyneikes, die dem Krieg um Theben zum Opfer gefallen sind.

Junge Menschen spielen hier ein Stück von Sophokles in der Bearbeitung von Bertolt Brecht, die er – zurückgekehrt aus dem Exil in den USA – auf Hölderlin basierend gefertigt und in der Schweizer Stadt Chur selbst zur Uraufführung gebracht hatte. Es war sein Neustart in die deutschsprachige Theaterwelt, die später im Berliner Ensemble ihren Höhepunkt fand. 

Hoffentlich ist es auch für die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler gelungener Start in ihren anspruchsvollen Beruf. Gut und deutlich sprechen sie die antikischen Verse, für die sich Brecht an der deutschen Übersetzung Hölderlins von 1804 orientierte. In gekürzter Fassung bringt Regisseur Veit Schubert das Stück im Kleinen Haus, der Nebenbühne des Berliner Ensembles, zur Premiere.

Ganz hat er sich auf den machtgierigen, grausamen König Kreon von Theben und seine nächsten Angehörigen konzentriert, eine gute Entscheidung. Das 2.500 Jahre alte Drama um diese fluchbeladene Familie, die Kreon schließlich durch die uneinsichtige Verfolgung seiner Machtpolitik zu Grunde richtet, wird dadurch gegenwartsnah. An heutigen Beispielen ist kein Mangel.

Zu Kreons Familie gehören sein Sohn Hämon und die schon genannten, in seiner Obhut befindlichen Blutsverwandten Antigone, Ismene, Eteokles und Polyneikes, die Kinder des Ödipus, der unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter Iokaste heiratete.

Die gebar diese vier Kinder, die eigentlich die Schwestern und Brüder von Ödipus und die Enkel von Iokaste sind. Bei Kreon, Iokastes Bruder, wachsen sie nun ungeliebt auf und leisten bald Widerstand. Ein – abgesehen von den verzwickten Verwandtschaftsverhältnissen – gerade für junge Menschen nachvollziehbares Verhalten.    

Bekanntlich ist es die in der Theatergeschichte unsterblich gewordene Antigone, die sich als Erste den Anordnungen Kreons widersetzt. Leidenschaftlich und überzeugend spielt und spricht Aysima Ergün diese Schlüsselrolle. Anlass ihres Widerstands ist die ungleiche Behandlung der beiden toten Brüder.  

Laut Sophokles haben sich beide  – verschiedenen Parteien angehörig – im Kampf gegeneinander getötet. Bei Brecht ist der eine – Polyneikes – aus dem Getümmel geflohen, aber von Kreons Soldaten erwischt und gehängt worden. Der Tapfere erhält ein ehrenvolles Begräbnis, der Deserteur bleibt auf Befehl Kreons unbeerdigt, seine Leiche wird den Hunden und Geiern überlassen. Der Einzug ins Totenreich ist ihm dadurch versperrt. Wer ihn dennoch begraben will, soll mit dem Tod bestraft werden.

Antigone will sich Kreons Befehl widersetzen und den Bruder nach dem Willen der Unterweltgötter anständig beerdigen. Dennoch spielt bei Brecht das Religiöse kaum eine Rolle. Bei seiner Antigone siegen ihre Bruderliebe, der menschliche Anstand und der Abscheu gegen die perfide Staatsgewalt über alle Vorsicht. Den eigenen Tod kalkuliert sie fast euphorisch mit ein.

Anders Annina Walt als die lebenslustigere Ismene, die keinen Sinn darin sieht, Kreon zu trotzen. Heftig und fast spöttisch widerspricht sie Antigone. Sie will leben und sich anpassen. Bald geraten die beiden in Streit.

Den Kreon spielt der schlanke Oscar Hoppe. Der brüllt nicht herum, der ist ein gefährlich leiser, beherrschter Typ im schwarzen Businessanzug (Kostüme: Isabel Waluga), der unbarmherzig seinen Willen durchsetzt und gegen Argumente immun ist. Eher verraten seine Finger als seine Mimik, was er denkt und insgeheim fühlt. Seine super-akkurate Frisur mit Seitenscheitel kennzeichnet ihn als selbst ernannten Law-and-Order-Mann.

Die Argumente von Antigone, dass ein Toter bestattet werden muss, lassen ihn völlig kalt. Und in welch ätzender Haltung hört er sich den Bericht des vor Angst und Eile schwitzenden Wächters (Enno Trebs!) an, der um sein Leben fürchtet, da er zwar Polyneikes’ Sandgrab entdeckt, aber diese Person, die es errichtete, nicht gefasst hat. Erst, als er selbst den Tod fürchten muss, nennt er Antigone als vermutliche Täterin.

Die kommt und verteidigt mutig und stolz ihre Tat. Plötzlich ist Ismene an ihrer Seite und behauptet, auch sie habe beim Begräbnis mitgewirkt und sei schuldig. Zwei Schwestern, die sich nun um die Märtyrerinnen-Rolle streiten.

All’ das wird immer wieder von dem auf drei Sprecher verkleinerten Chor kommentiert, von Lorenz Grabow, Maximilian Paier und Leon Maria Spiegelberg in Tarnuniformen und Springerstiefeln, die fast alle Schauspieler tragen, um sich bei den Sprüngen auf und vom Bühnengestell nicht die Knöchel zu verrenken.

Wichtig waren die auch, als die Öffnungen des Schräggestells mit Holzplatten abgedeckt wurden, woran sich selbst der König beteiligte. Der Krach, mit dem das absichtlich erfolgte, war wohl seine Botschaft an Antigone und das bereits murrende Volk: bis hierher und nicht weiter. Zwei Quadrate bleiben offen. Dort steigt Antigone hinab in ihr Verließ.

Echt hitzig wird’s nun auch zwischen Vater und Sohn und insgesamt immer spannender. Ganz friedlich fängt sie an, die Diskussion zwischen Kreon und Hämon. Skye Macdonald gibt ihn als einen liebenswert Lächelnden im Hippy-Look, der gerne Gitarre spielt und mit Regierungsgeschäften sicherlich nichts im Sinn hat. Er, Antigones Verlobter, bittet um die Freilassung der Geliebten. Doch Kreon bleibt hart und reißt dem Sohn schließlich die Königskette vom Hals. Freiwillig steigt nun auch Hämon hinunter in den Kerker.

Erst dem blinden Sänger (und Musikanten) Tiresias (Aniol Kirberg) gelingt es mit seinen düsteren Prophezeiungen, dem starrsinnigen König die Augen zu öffnen. Der begibt sich nun selbst ins Verließ, wo sich Antigone bereits erhängt hat.

Hämon zu ihren Füßen zückt das Schwert, verpasst Kreon jedoch und tötet sich selbst. Szenen, die nicht zu sehen sind. Heraus steigt Kreon als ein Einsamer, der weiß, dass seine Tage gezählt sind. Oscar Hoppe zuckt nur lakonisch die Schultern und verliert nicht die Beherrschung. Die Feinde rücken schon an, sein Ende ist nahe. Flüchten wird er nicht.

Schon lange ist es mucksmäuschenstill im vollbesetzten Kleinen Haus, konzentriert lauscht das überwiegend junge Publikum den ebenso jungen, engagiert spielenden Schauspielern/innen und dem alten weisen Sophokles in dieser erfrischenden Aufführung. Seine Antigone bleibt ein Dauerbrenner und steht auch in der Nachbarschaft auf dem Spielplan.

Jetzt bricht der Beifall los, wird beim Erscheinen von Aysima Ergün und Oscar Hoppe noch um einige Phon stärker und schließt auch das Regieteam mit ein.  

Ursula Wiegand   

    

 

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