Berlin / Berliner Ensemble: „DER THEATERMACHER“ von Thomas Bernhard, Inszenierung Oliver Reese. Zweite Aufführung am 21.10.2022
Stefanie Reinsperger als Theatermacher. Foto: Matthias Horn
Im Berliner Ensemble (BE) steht nun Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ auf dem Programm, eine Komödie, die Claus Peymann am 1. September 1986 im Wiener Burgtheater uraufführte und dafür deutliches Missfallen erntete. Die damalige „Frittatensuppe“, gewürzt mit hämischen Anspielungen auf die Salzburger Festspiele, mundete dem dortigen Publikum keineswegs.
Doch wie reimte einst Wilhelm Busch mit Blick auf die Witwe Bolte: „Wofür sie besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt“. Bei ihr ging es zwar um ein Sauerkohlgericht, doch das tut wohl nichts zur Sache. Diese in Berlin mitsamt Frittatensuppe wieder aufgetischte Komödie wird zur schmackhaften Mahlzeit und zuletzt vom Publikum im prall gefüllten Saal intensiv bejubelt.
Zu verdanken ist dieser Erfolg Oliver Reese als Regisseur und vor allem Stefanie Reinsperger als der völlig überspannte Theatermacher. Im braunen Anzug und hellem Trenchcoat (Kostüm Elina Schnizler) wirft sie sich gut zwei Stunden lang in diese Partie und verkörpert glaubhaft den selbsternannten „Staatsschauspieler“ und Theaternarr Bruscon, der selbst den einfachen Dorfmenschen hohe Kultur bieten will.
Nach Live-Musik mit Mozart-Anmutung, gespielt hinterm Vorhang von Valentin Butt, Peer Neumann, Natalie Plöger und Ralf Schwarz, befinden sich das Publikum und der Theatermacher in der tiefsten Provinz. In Utzbach, einem Dorf mit nur 280 Einwohnern und dort in einem unaufgeräumten und angeblich stinkenden Wirtshaussaal (Bühne: Hansjörg Hartung).
Doch auch er, dieser Theatermacher mit einer gelben Billa-Plastiktüte in der Hand, ist menschlich, gesundheitlich und künstlerisch genau so heruntergekommen wie dieser Saal. Vergeblich schwärmt er von dem etwas größeren Dorf Gaspoltshofen, wo er vorher viel Beifall erhalten hätte. Doch in Utzbach ist er auf dem Tiefpunkt angekommen. Er ahnt es, und will es doch nicht wahrhaben. In der Billa-Tüte versteckt er sogleich zwei geklaute Klorollen.
Er schnauft und ringt an diesem angeblich schwülen Tag ständig nach Atem. Im Kreuz hat er es außerdem, schief läuft und stolpert er oft hin und her. Doch ausgerechnet hier, wo die Leute mit Kunst nichts am Hut haben, will er sein Meisterwerk „Das Rad der Geschichte“ aufführen. Zuletzt müsste der Saal total dunkel sein, sonst würde sein Stück scheitern, fordert er vom Wirt. Der – großartig und fast wortlos gespielt von Wolfgang Michael – schaut den kautzigen Fremdling mit seinen sonderbaren Wünschen an, als käme der gerade vom Mond, und das Publikum beginnt zu lachen.
Zum Essen für ihn und seine Familie fordert der Theatermacher einen Tisch, und der Wirt bringt tatsächlich einen Klapptisch herbei. Was es denn gäbe, fragt der Gast. „Frittatensuppe“, antwortet der Wirt. Die ist sowieso die tägliche und womöglich einzige Nahrung für den Möchtegern-Künstler und seine Familie. Auf die Suppe muss er aber noch eine Weile warten. „Wir haben heute in Utzbach Blutwursttag“, erklärt der Wirt. Das Wurstmachen hat also Vorrang.
Als die Suppe endlich gebracht wird, muss der Theatermacher das Tablett mit der großen Porzellanschüssel auf den Schoß nehmen, hat er doch in der Zwischenzeit den penibel aufgestellten Klapptisch in einem Wutanfall zertöppert. Die sehr heiße Suppe schlabbert er zum Teil in die Schüssel zurück. Aus der löffelt er dann auch kleine Portionen für seine Familie.
Der gegenüber verhält er sich als Alleinherrscher und wahrer Kotzbrocken. Die aber muss seine Theaterrollen spielen, ob sie will oder nicht. (Claus Peymann meinte einst recht stolz, er sei mit dem Theatermacher gemeint gewesen). Der hier agierende Theatermacher, also Stefanie Reinsperger, bezeichnet die Seinen als die Untalentierten, doch andere Mitwirkende gibt es nicht. Die Tochter, gespielt von Dana Herfurth, guckt jedenfalls völlig apathisch und äfft aus Protest die Gesten nach, die ihr der Vater vormacht. Andererseits vergreift er sich fast an ihr und streichelt ihre Beine.
Stefanie Reinsperger als Theatermacher, Adrian Grünewald als Sohn Ferruccio. Foto: Matthias Horn
Der Sohn Ferruccio (Adrian Grünewald), den verletzten oder gebrochenen Arm in einer Binde tragend, versucht willig, aber vergeblich, Vaters Gestaltungswünschen nachzukommen, wird aber auch von ihm beschimpft. Und echt wütend ist der „Staatsschauspieler“ über seine Frau (Christine Schönfeld), weil sie bei den Proben immer an der wichtigsten Stelle einen Hustenanfall bekommt.
Schließlich hustet sie so stark, dass man sie sofort ins Krankenhaus bringen möchte. (Fast ein Wunder, dass ihre Stimme es aushält). Das ist, wie sich bald herausstellt, jedoch ihr Protest gegen die Torturen ihres Mannes. Dennoch schafft es Stefanie Reinsperger, dem Publikum auch etwas Verständnis für diesen gescheiterten Menschen zu vermitteln, dem das Theater wirklich am Herzen liegt. Und wenn der glücklich an frühere Erfolge zurückdenkt, wird auch ihr Gesicht weich und ihre Augen strahlen.
Schließlich entlädt sich ein Gewitter, das Wasser strömt durch die Saaldecke, Dachplatten fallen hinunter. Der Theatermacher im Napoleon-Kostüm wird pudelnass und ebenso die Familie. Seine schlanke Frau hustet noch einmal, doch dann beginnt sie zu lachen. Sie lacht hustenfrei, sie lacht und lacht. Das ist ihre Rache für die jahrelangen Torturen, jetzt bekommt der Theatermacher die Quittung für sein übles Verhalten. Das ist sein Ende, und er weiß es.
Das Theater hat jedoch noch nicht ausgedient! Das Publikum jubelt anhaltend und feiert besonders und zu Recht die fabelhafte Stefanie Reinsperger.
Ursula Wiegand
Weitere Termine zunächst am 31.10, 1.11. und 17.11.