Berlin Staatsoper, Barocktage: „MEDEE“ von Marc-Antoine Charpentier, Premiere am 19.11.2023
Magdalena Kožená (Médée und Reinoud van Mechelen (Jason). Foto: Ruth Walz
Mit der Oper „Médée“ des Franzosen Marc-Antoine Charpentier lernt das Publikum in den beliebten Barocktagen der Staatsoper nun eine weitere Version dieser alten griechischen Sage kennen, die vor allem aus der Feder des Dichters Euripedes (480-406 v.Chr.) stammt.
Charpentier und sein Texter Thomas Corneille haben sich mit ihrer Tragödie weitgehend an den berühmten Griechen gehalten, wobei Tragödie – vom Schluss her betrachtet – eine fast harmlose Bezeichnung des Geschehens ist. Was diese Médée und ihre zuletzt besonders grausamen Handlungen betrifft, erleben wir eine sehr rabiate Fassung, und das passt leider genau in manch ein heutiges Geschehen.
Umso schöner ist jedoch die Musik dieser Oper aus dem Jahr 1693, die Charpentier, eigentlich ein Komponist geistlicher Werke, zu Papier brachte und dafür damals viel Lob empfing. Zu Recht, lässt sich weiterhin sagen.
Diese Oper hat man nun dem Freiburger Barockorchester, geleitet von Simon Rattle, und zahlreichen Sängern und Sängerinnen anvertraut. Rattle legt sich ins Zeug und dirigiert mit spürbaren Interesse. Dennoch fehlt beim Orchesterklang einiges an Volumen und Lebendigkeit, was mit der Größe des zu beschallenden Saals zu tun haben mag.
Magdalena Kožená (Médée) und Ensemble auf Frank Gehrys Bühne. Foto: Ruth Walz
Darüber hinaus könnte dieser Eindruck auch mit der „Inszenierung“ von Peter Sellars zu tun haben, von der erstaunlicherweise kaum etwas zu sehen ist. Vor dem Dauer-Bühnenbild, geschaffen vom jetzt 94jährigen Stararchitekten Frank Gehry – bestehend aus zwei sonderbaren Felstürmen und drei schimmernden Wolken über dunklem Innenraum – ist Herumwandeln und oft Rampensingen angesagt. Dass in den 3 ½ Stunden mal Langeweile aufkommt, wundert nicht.
Ansonsten sind ganz vorne zwei Drahtkäfige zu erblicken, die Médée (Magdalena Kožená) und mitunter auch die Königstochter Créuse (Carolyn Sampson) umschließen. Es ist jedoch Magdalena Kožená, die die gesamte Aufführung mit ihrem ausdruckstarken Mezzo prägt und schauspielerisch zusammenhält, ohne im mindesten zu ermüden.
Ebenfalls glänzt als Jason Reinoud Van Mechelen, versiert in Barockmusik; mit leuchtendem Tenor und Darstellungstalent. Er präsentiert sich als ein Mann, der nur an sich denkt und ansonsten immer eine Ausrede parat hat.
Das versucht er auch gegenüber Médée, die sehr wohl erkennt, dass er sich von ihr abgewendet und der aparten Königstochter Créuse innig zugewandt hat. Er wagt es sogar, Médée aufzufordern, ihr leuchtend sonnengelbes Kleid seiner neuen Herzensdame zu überlassen.
Médée tut es sofort, da sie weiß, welch ein böser Zauber in dem Kleid steckt. Sie muss nun eines dieser sonderbaren rosaroten Gewänder (Kostüme: Camille Assaf) anziehen, die auch der stimmstarke Chor, einstudiert von Dani Juris, tragen muss.
Einen Konkurrenten hat Jason jedoch: den Oronte, verkörpert von Gyula Orendt. Der möchte ebenfalls die Prinzessin heiraten. Als ihm der König andeutet, dass das vielleicht möglich wäre, rennt Oronte mehrfach glücklich um den Herrscher herum. Fit in den Füßen, fit im Bariton-Singen, endlich ein lebendiger Moment, doch niemand klatscht.
Den König Créon verkörpert Luca Tittoto mit einem anfangs etwas kratzigem Bass. Er hat Médée, der Fremden, die das Volk hasst und fürchtet, Asyl geboten. Doch nun stört sie am Hof und muss zusammen mit ihren zwei Kindern in die Verbannung.
Jetzt gibt es für Médée kein Halten mehr. Nur noch Rache hat sie im Kopf. Wie von Sinnen läuft sie hin und her. Noch überlegt sie, ob sie die beiden gemeinsamen Kinder, die Jason liebt, töten soll, um dem Ungetreuen den allergrößten Schmerz zuzufügen.
Médée scheint dem Wahnsinn nahe zu sein, ist es wohl bereits. Sie kennt ihre quasi göttliche Machtfülle und wendet sie rücksichtslos an. Den König lässt sie erblinden, er verliert auch den Verstand und ersticht Oronte. Seine Tochter, die ihn retten will, verbrennt in Médées Kleid. Ihre Abschiedsgesänge werden ihr persönlicher Höhepunkt. Die getöteten Kinder – was als Handlung nicht gezeigt wird -liegen neben der wild gewordenen Médée am Boden.
Peter Sellars hatte vorab in einem Interview mit der Berliner Morgenpost die Oper als „heilendes Ritual“ bezeichnet. Können selbst solche Gewaltorgien heilen? Die Geschichte auf unserem Globus spricht dem entgegen.
Jedenfalls hat Sellars in den 3 1/2 Stunden, die dieses Werk dauert, dafür fast nichts getan. Das hat die sensationelle Magdalena Kožená übernommen und wird zuletzt begeistert gefeiert. Auch Simon Rattle und alle anderen, wie Jehanne Amzal als Cléone und Marketa Cukrová als Nérine und Bellone, erhalten viel Applaus, ebenso der Chor und das Orchester. Peter Sellars muss jedoch lautstarke Buhs einstecken. Dennoch lohnen die wundervolle Musik mit ihrem Klangreichtum und das Können aller Mitwirkenden einen Besuch dieser Vorstellung.
Ursula Wiegand
Weitere Termine am 23. 25. und 30.11. sowie am 02.12.