Berlin/ Barocktage der Staatsoper: „Le Concert des Nations & Jordi Savall“. Die reinste Wonne im Piere Boulez Saal, 1.12.2018
Ein neues Festival hat Matthias Schulz, der neue Intendant der Staatsoper Berlin, gestartet: „Die Barocktage der Staatsoper Unter den Linden“, diesmal vom 23. November bis zum 2. Dezember. Von nun an sollen dieses Barockfest jeden November stattfinden, eine großartige Nachricht für die vielen Fans Alter Musik. Gleichzeitig erlauben solche Barocktage dem Chef Daniel Barenboim und den Seinen auf Auslandstournee zu gehen.
Drei Opern standen auf dem Programm, darunter „Hippolyte et Aricie“ von Jean-Philippe Rameau, das noch bis zum 6. Dezember läuft. Außerdem gab es eine Tanz-/Theaterperformance sowie 10 Konzerte.
Am 1. und 2. Dezember gastierte der weltbekannte Dirigent, Gambist und Musikwissenschaftler Jordi Savall mit der 1989 von ihm und seiner Frau, der Sopranistin Montserrat Figueras, gegründeten Formation „Le Concert des Nations“, gebildet aus international geschätzten Sängerinnen und Sängern, die auch im Opernbereich Erfolge feiern.
Wie frisch und facettenreich klingt unter Jordis Händen, mal dirigierend, mal selbst die Viola da Gamba spielend, das Monteverdi-Konzert im Pierre Boulez Saal – dem von Frank Gehry geschaffenen Oval mit der von Yasuhisa Toyota designten exzellenten Akustik. Zur reinsten Wonne wird es und zu einem Höhepunkt dieser Barocktage.
Selbstverständlich musiziert „La Capella Reial de Catalunya“ (gegründet 1987) auf historischen Instrumenten, originalen und gelungenen Nachbauten. Andrew Lawrence-King, ein zum Könner gereifter Autodidakt, braucht vorab einige Zeit, um seine Doppelharfe zu stimmen, muss aber auch zwischen den einzelnen Stücken nachadjustieren. Der warme Klang solcher Instrumente entschädigt jedoch für die kleinen Pausen und trainiert auch die Ohren des Publikums.
Monteverdis „Madrigali guerrieri et amorosi“ aus dem VIII. Madrigalbuch stehen zunächst auf dem Programm. Zuerst sind die kriegerischen Madrigale zu hören, dann die liebesträchtigen inklusive einem Ballgeschehen. Dennoch sind Krieg und Liebe für Monteverdi keine Gegensätze. Der Krieg bleibt nicht ohne Liebe, die Liebe ist auch ein Kampf der Geschlechter. Diese Madrigale sind die Vorläufer seiner späteren, expressiv auskomponierten Opern.
Engagiert und glaubhaft gestalten die Sängerinnen und Sänger ihre Partien. Die Koloraturen glitzern, und auch die Herren besitzen (was nicht immer der Fall ist), gelenkige Kehlen. Wohllaut und Ausdruck gehen hier Hand in Hand. Imponierend sogleich der voll tönende, aber geschmeidige Bass von Mauro Borgioni.
Glasklar perlt der schöne Sopran von Monica Piccinini. Der Mezzo von Maria Beate Kielland kommt nach der Pause beim Solo der Nymphe (Ninfa) aus der Oper „L’Orfeo “ voll zur Wirkung. Lluís Vilamajó, Tenor mit Baritongrundierung, sorgt für die erforderliche Gefühlsstärke, der Countertenor Alessandro Giangrande, ein Spezialist für Alte Musik, für spezielle Glanzlichter. Sie alle überzeugen als Solisten ebenso wie in den chorischen Partien. Die Begeisterung für Monteverdis Musik drückt sich auch in ihren Gesichtern aus. .
Doch einer – der Bariton Furio Zanasi, übertrumpft im 2. Teil alle anderen. Feurig (nomen est omen), kraftvoll und mit allen Facetten schildert er den Kampf um Jerusalem zwischen dem Christen Tancredi und der Muslimin Chlorinda.
Zanasi läuft hin und her, ballt die Fäuste, zuckt zurück und scheint bei besonders erbitterten Kampfszenen selbst um Atem zu ringen. Ein zwanzigminütiges Musiktheater der Superlative rollt ganz ohne Notenblatt hier ab, verständlich auch für diejenigen, die diese von Torquato Tasso beschriebene Begebenheit nicht kennen.
Denn unüberhörbar geht es um Leben und Tod, jedoch von zwei einander Liebenden, die sich im Kampfgeschehen gar nicht erkennen. Schicksal und Stolz machen ihnen das Miteinander ohnehin unmöglich. Das immer wieder aufgenommene Duell unterstreichen die oft abrupten Klänge der Instrumente.
Alle beide lässt Monteverdi nur sehr wenig singen. Daher stehen nun Vilamajó als Tancredi und Monica Piccinini als Chlorinda weit entfernt einander gegenüber. Sie äußert Trotz, um schließlich tödlich verwundet und als in letzter Minute getaufte Christin mit einem Seufzer dahinzuscheiden.
Monteverdi hat die ganze Dramatik dem Erzähler überlassen und damit im Jahr 1624 ein Mini-Meisterwerk voll praller Emotionen präsentiert, das keine Fortsetzung in seinem Schaffen fand. Intensiv wie hier dargeboten reißt es nach wie vor die Zuhörer/innen fast von den Sitzen. Sofortiger Jubel belohnt Furio Zanasis furiose Leistung.
Diese 20 Minuten sind das absolute Highlight in diesem ohnehin beeindruckenden Monteverdi-Konzert und sagt mehr aus über Kampf contra Liebe als manch mehrstündige Opernaufführung. Selbst Monteverdis eigene Sinfonia a 6 aus „Cantate Domino“ als Schlussstück kann trotz (oder wegen) ihrer frommen Jubelstimmung der Tragödie um Tancredi und Chlorinda nicht Paroli bieten.
Zuletzt erneut vehementer Beifall verstärkt durch Getrampel für Monteverdis superfrische Musik und ihre überzeugenden Interpreten. Ursula Wiegand