Berlin, Barocktage der Staatsoper im Pierre Boulez Saal mit Jordi Savall am 25.11.2023
Jordi Savall. Foto: Peter Adamik
Von Anfang an waren Jordi Savall, der bescheidene, aber weltbekannte Grand Seigneur mit seiner Gambe, und sein Ensemble „Le Concert des Nations“ bei den Barocktagen der Staatsoper mit dabei. Und auch jetzt waren und sind seine beiden, auch von ihm dirigierten Konzerte im Pierre Boulez Saal schon seit Monaten ausverkauft. Das erste am Samstag Nachmittag (25.11) um 15:00 Uhr, das zweite am Sonntag (26.11.) um 11:00 Uhr.
In diesem Jahr konzentriert sich dieses außergewöhnliche Team auf den französischen Komponisten Marc-Antoine Charpentier (1643-1704), von dem in den jetzigen Barocktagen bereits die Oper „MEDEE“ Premiere hatte.
Jordi Savall hat jedoch eine ganz andere Wahl getroffen. Zu hören sind auch nicht die weltweit bekannten Fanfaren aus Charpentiers „Te Deum“, mit denen stets der Eurovision Song Contest eröffnet wird. Auch hat er nicht eine der 400 Motetten eingefügt, die der schaffensfreudige Franzose komponiert hatte. Es waren vielmehr dessen zahlreiche, der Jungfrau Maria gewidmeten Werke, die ihr Leben schildern, die Jordi Savall sehr angesprochen haben.
Zu hören sind also Verkündigung, Empfängnis, Geburt, Marias jubelndes Magnificat und das Stabat Mater, das sie als trauernde Mutter unter dem Kreuz ihres geliebten Sohnes musikalisch zeigt. Dass auch andere Komponisten diese Themen aufgegriffen haben, tut nichts zur Sache.
„An der Seite der vielen oft bemerkenswerten historischen Aufführungen, die die Wiederentdeckung von Charpentiers Werk wie Meilensteine markieren, wollten wir eher eine bestimmte Sicht der geistlichen Dimension des Musikers durch eine Auswahl von Kompositionen vermitteln, die vom Mariengedanken inspiriert worden sind.“ So erklärt Jordi Savall die Idee zu diesem Konzert, in dem sich 11 Stücke aneinander reihen.
Jordi Savalls „La Capella Reial de Catalunya“ ist selbstverständlich auch mit dabei. Zwei Herren dieser relativ kleinen, aber bestens geschulten Schar tun beides: sie spielen auf ihren historischen Instrumenten, und manchmal singen sie auch.
Das zeigt sich schon bei dem ersten, relativ langen Stück, in dem neugierige Menschen die Engel befragen, wer der Größte im Himmel ist. Aus dem ersten Rang geben die jungen Sängerinnen die Antwort, dass es die schöne Jungfrau Maria ist.
Da die drei Damen Elionor Martinez und Anna Piroli (1. und 2. Sopran) sowie Natasha Schnur (Mezzo) wirklich wie die Engel singen, könnten das wohl auch die Zuhörenden glauben.
Im Parkett bei und in der Kapelle – sozusagen auf dem Boden der Tatsachen – singen die Könner William Shelton, Countertenor, Ferran Mitjans, Tenor und Guglielmo Buonsanti, Bariton. Imke David, Tenor, spielt außerdem noch die Bass-Gambe. Für die Violone ist Xavier Puertas zuständig, für die Theorbe Rolf Lislevand, für Orgel und Cembalo Michael Bähringer.
Die diesmalige Diskant-Gambe ist bei Jordi Savall und Philippe Pierlot in besten Händen, wobei Jordi Savall die Hände auch zum Dirigieren benötigt. Er leitet die Seinen mit zumeist kleinen, aber präzisen Gesten.
Denn alle wissen genau, was zu tun ist, und das wissen auch die singenden jungen Damen, die „vom Himmel herabkommen“ und sich nun zu den Instrumentalisten gesellen. Die insgesamt kleine, aber feine Schar füllt mit ihrem Wohlklang ohne größere Anstrengungen diesen ovalen Saal mit seiner perfekten Akustik.
Relativ kurz sind Marias Lebensstationen Empfängnis und Geburt Jesu sowie das Salve Regina, in dem jedoch innig um Marias Hilfe gebetet wird. Der böse Herodes und die Weisen aus dem Morgenland fehlen auch nicht.
Beim Magnificat, Marias Jubelgesang, vereinen sich die Sängerinnen und Sänger, um diesem Geschehen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Sehr gut gelingt ausdrucksmäßig auch das „Stabat Mater für die Religiösen“, so wurde es vom Komponisten genannt.
In diesem Stück beweint Maria, wie schon erwähnt, ihren Sohn am Kreuz. Beim Versuch, sie zu trösten und Positives aus Jesu Tod zu extrahieren, tun sich alle zusammen, die Singenden und die Instrumentalisten.
Den Abschluss machen die der Jungfrau Maria gewidmeten Litaneien, die Charpentier für ein Kloster komponiert hatte. Mit den vereinten Stimmen der sechs Sängerinnen und Sänger erhält Maria nun eine riesengroße Anerkennung für ihre Verdienste. Mehrfach wird sie sogar als Königen der Engel und der Menschen aller Klassen gepriesen.
Dennoch bleibt sozusagen „die Kirche im Dorf“, und ein kräftiges Cembalo-Solo will das womöglich betonen. Wer letztendlich die Macht hat, wusste Charpentier bei aller Marienverehrung offenbar sehr genau. Zunächst mit einem „Kyrie eleison“ und zuletzt mit dem „Agnus Dei“ wird unter dem Einsatz aller sechs Sängerinnen und Sänger schließlich Jesus selbst angerufen und um Erbarmen angefleht.
Solch eine tiefe Religiosität ist allerdings vielerorts rar geworden oder gar nicht mehr vorhanden. Die Lobeshymnen für Maria könnten irritieren. Der lateinische Text und die wunderbare Musik von Marc-Antoine Charpentier übertönen jedoch dieses überschwängliche Marienlob. Da solches von Jordi Savall und den Seinen so gut und überzeugend dargeboten wird, ist das kein Fake.
So ist auch der weltweite Eindruck, sind doch Jordi Savall und sein Ensemble auf den renommiertesten Festivals zu Gast und wirken sogar bei Opernproduktionen mit. Zahlreiche Auszeichnungen sind die Folge. In Berlin folgte dem heftigen Jubel des Publikums eine Zugabe. Ursula Wiegand