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BERLIN / Bar jeder Vernunft: TIM FISCHER „ABSOLUT“ – neues Liedprogramm

24.10.2016 | Konzert/Liederabende

BERLIN / Bar jeder Vernunft: TIM FISCHER „ABSOLUT“ – neues Liedprogramm, 23.10.2016

Bildergebnis für tim fischer jim rakete
Tim Fischer copyright Jim Rakete

„Und Niveau stört sowieso, mir ist nach Schabernack zumut! Absolut“ kann das Motto des neuen Abends der Chansonlegende Tim Fischer und seines Begleiters und Komponisten Rainer Bielfeldt lauten. Doch halt. Nicht so einfach. Erstens entzieht sich Tim Fischer jeder Kategorie, wie er etwa unverwechselbar deutsches Auftreten und Singen mit kosmopoliten Farben mischt. Perfekt sitzt der Smoking, perfekt der Scheitel und erst recht jedes Wort und jede Pointe. Wo andere mit rein stimmlichen Mitteln ihre Show aufziehen, sind es bei Fischer aber auch die sparsame Mimik, gezielt eingesetzte Gesten und die schalkhaft ausdrucksstarken Augen, die jeden fesseln und manchmal lauter „singen“ als die Stimme selbst es vermag. Letztere ist bei Fischer eher ein Organ des Sprechgesangs, ein Charaktertenor, der alles aus dem Wort und der schauspielerischen Diktion schöpft.

Tim Fischer ist Sprachvirtuose und Vollprofi, dessen Show à la Broadway oder Las Vegas wie am Schnürl abläuft. Vielleicht zu Beginn gar ein wenig zu glatt und einstudiert, zu klinisch perfekt und vorhersehbar. Freilich beherrscht Tim Fischer die Idiome der vorgetragenen Nummern von Thomas Pigor („Don’t look“, „Hitler“), Edith Jeske („Nur für Geld“), Hildegard Knef („Wieviele Menschen waren glücklich, dass du gelebt“), Hugo Wiener („Wie man einen Torte macht“ oder Jacques Brel (Je suis bien „Mir geht’s gut“ oder Voir un ami pleurer „Ich weiß“). Bei Brel klingt die deutsche Übersetzung oft holprig, die Emotion käme mit der frz. Sprache purer und besser rüber. „Ne me quitte pas“ darf nicht mit dem Konsonantenmonster „Bitte geh nicht fort“ übersetzt werden.

Wie ein Conférencier aus einem Etablissement der Berliner dreißiger Jahre stürzt der fesche Fischer auf die Bühne, beherrscht mit seiner Aura sofort Raum und Leut und legt los. Kein Rundherum, ein echter Chansonabend wartet auf das Publikum, das ihn offensichtlich anhimmelt. Ein echter Sonnyboy, ein Verführer und Bezirzer, einer, der bei „Vollmond schon einmal ein Vampir sein möchte.“ Tim Fischer projiziert mit seiner Stimme Scherenschntte in den Saal, die Erzählungen in schwarz-weiß nehmen Gestalt an durch das wenige Licht und ein Gesicht, das aus der Stummfilmzeit die Expressivität mit dem Heute der medialen Wirksamkeit vereint.

Tim Fischer singt seine Lieder wie ein Junge mit einer Portion Diabolik und Unschuld, routiniert und im Verlauf des Abends persönlicher und berührter/berührender. Eine große Disziplin steckt hinter dieser Kunst, deren Maß an Distanz in einem steten Seiltanz ausgelotet werden muss. Ein bisschen erinnert Fischer an den genialen Christoph Waltz, wo der Abgrund ja auch hinter dem schönsten Lächeln lauert. Tim Fischer eignet sich die Lieder vollkommen an, bei stets wohlkalkulierter Wirkung und immenser Bühnenpräsenz. Ein Girardi aus dem Tiergarten, ein Nestroy an der Spree, ein Zauberer im Zelt. Bei aller Virtuosität und Präzision schwingt bei Fischer aber auch etwas Bodenständiges und Volkstümliches mit, Dekadenz ist trotz der dandyhaften Optik seine Sache nicht. Nach der Pause mischt sich in die Maske des Mimen über die Liedtexte („Nur bei den Augen“, „Schau sie schläft“, „Das Lied von der alten Liebe“, „Pflanz Lavendel auf mein Grab“) persönliches Erleben, Schmerz, das Wissen um Vergangenheit und Vergänglichkeit, eine Melancholie in Schönheit geronnen. Besonders bei der Ludwig Hirsch-Bearbeitung zu „Komm großer schwarzer Vogel“ scheint die Zeit stehen zu bleiben. Frivolere Titel wie die „Rinnsteinprinzessin“ oder „Unterm Säufermond“ läuten das Finale ein, das im Lied „Maulende Rentner“ kulminiert. Natürlich jubelt das Publikum bei “Ja, im Land der maulenden Rentner bin ich zu Haus“. Der gelernte Wiener schmunzelt ob der Selbstironie und des schwarzen Humors, der im sonst so trockenen Berlin doch manchmal recht ordentlich Urständ feiert.

Am Ende in Anwesenheit der ehrwürdigen Nonnen Benefiz für ein wohltätiges Hospiz und das Versprechen, auch wirklich alle gekauften CDs signieren zu wollen. Ein Poet mit Bodenhaftung dieser Fischer! Bravo.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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