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BERLIN: AIDA – die Deutsche Oper rettet die neue "Aida" – 2. Abend

26.11.2015 | Oper

Berlin: Die Deutsche Oper rettet die neue „AIDA“, 2. Abend, 25.11.2015

Tatiana Serjan (Aida), Alfred Kim (Radames), Anna Smirnova )Amneris), Foto Marcus Lieberenz
Tatiana Serjan (Aida), Alfred Kim (Radames), Anna Smirnova (Amneris). Foto: Marcus Lieberenz

Ein Mann im dunklen Pullover geht während der Ouvertüre nachdenklich auf einem in die Sitzreihen hineinragenden Steg Richtung Publikum. Das soll Radames sein, eigentlich ein  Kriegsheld, hier aber in Gestalt von Alfred Kim ein verträumter Ägypten-Fan mit einem Schreibtisch voller Papiere, Bücher, einer Land- und einer Postkarte, die die Pyramiden zeigt.

Dann ein Aufschrecken. Der Chor setzt ein. Zwei Plätze neben mir (in der 11. Reihe) ein Bass mit solch einer kräftig-fabelhaften Stimme, dass ich mich frage, warum der nicht zur Solistenschar gehört. Einige Reihen tiefer weitere Kollegen, hinter mir singen herrlich klar einige Frauen.

Auf der Bühne – erfreulicherweise nicht im Graben – musiziert das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung des jungen temperamentvollen Andrea Battistoni, der mit großen Gesten die Einsätze gibt, selbst oft mitsingt und seinen Verdi im Herzen hat. Dolby surround wie bei den Kino-Übertragungen aus der Met oder der Royal Opera in London. Ein großartiges, ungewohntes Hörerlebnis, das Details aufleuchten lässt. Aber live!

Dieses Arrangement ist die beste Idee des noch recht jungen Regisseurs Benedikt von Peter bei der Aida-Neuinszenierung. Das es funktioniert, ist jedoch der Deutschen Oper Berlin zu verdanken, d.h. ihrem perfekt aufspielende Orchester und vor allem den von William Spaulding hervorragend einstudierten Chören, deren Mitglieder trotz der Entfernung voneinander einen berauschenden Raumklang verwirklichen.

Das musikalische Gelingen ist auch den Sängerpersönlichkeiten zuzuschreiben, singen doch einige aus dem dunklen Off. Vom Rang schafft sich Ante Jerkunica als König Ägyptens mit seinem volumigen Bass eindrucksvoll Gehör, ebenso Simon Lim als der gestrenge Oberpriester Ramfis.

Amonasro, König der verfeindeten Äthiopier, ist bei Markus Brück in bester Kehle und bereichert vor allem im 3. Akt bei den „Diskussionen“ mit seiner Tochter Aida das Geschehen. Mit zartem Sopran singt die Stipendiatin Adriana Ferfezka eine Priesterin. Attilio Glaser, ebenfalls Stipendiat, bewährt sich in der kleinen Rolle des Boten.

Sie alle sind, wie gesagt, nicht auf der von Katrin Wittig gewollt simpel gestalteten Bühne zu sehen, denn die gehört nur dem Mann Radames zwischen zwei Frauen, geliebt von Amneris und Aida. Der Regisseur spielt so nach eigenen Worten auf die Ménage à Trois, die Dreiecksbeziehung bei Verdi an, der als knapp Sechzigjähriger die Sängerin Teresa Stolz in sein Haus holte, die 1872 bei der Erstaufführung in Italien die Aida sang. Eine Ehekrise war die Folge.

In Berlin driftet nun diese Aida-Variante ins Abseits. Soll etwa der hier als vertrottelter Wissenschaftler, eher aber als lebensfernes „Würstchen“ agierende Radames (der von Amneris tatsächlich mit Wurststücken und einem fetten Butterbrot beglückt wird), der Wiedergänger von Verdi sein? Benedikt von Peters „Theseus“ mit Klopapier vor Jahren an der Komischen Oper kommt mir in Erinnerung.

Angesichts seiner Aida-Inszenierung würde wohl niemand vermuten, dass die robuste Anna Smirnova, die sich selbst eine Pharaonenkrone aus Zeitungspapier bastelt, die Tochter des Herrschers sein könnte und die Aida eine Sklavin. Schon die Kostüme (von Lene Schwind) passen sich der Umdeutung an. Amneris trägt unkleidsames Dunkelblau, die Sklavin jedoch ein elegantes weißes Abend- oder Brautgewand. Zwischen diesen beiden der Mann im ständig gleichen dunklen Pulli.

Die Dreiecksgeschichte, die diese Oper zweifellos ist, spielt hier also in einem eher bäuerlichen Rahmen. Aida, die über die Bühne geistert und von Radames nie berührt wird (!), ist wohl nur ein Traumbild ist, das ihm den tristen Alltag versüßt. Es genügt ihm, ständig ein Pendant ihres weißen Kleides gegen seinen Körper zu pressen. Und den Ohrwurm „Holde Aida …“ singt Alfred Kim mit einem solch kratzigen Tenor, dass ich mich frage, ob das zu dieser Anti-Verdi-Version gehört.

Auch glaubt man ihm kein Wort, dass er laut Libretto der Heerführer sein möchte, der Ägyptens Truppen gegen die Äthiopier befehligt. Als er als Sieger heimkehrt und vom Volk (dem Chor) gefeiert wird, steht er bedeppert da. Ein Antiheld, der mitleidsvoll – von Amneris zeitgemäß mit Flüchtlingsbildern aus Zeitungen garniert – die Freilassung der Gefangenen erbittet.

Inzwischen hat Kims Tenor immerhin an Strahlkraft deutlich gewonnen. Jetzt kann er dem kräftigen Mezzo von Anna Smirnova, seiner Hausfrau-Pharaonin, Paroli bieten. Zum markigen Mann wird er schließlich doch noch: Nachdem er gegenüber Aida ihrer beider Fluchtweg leichtsinnig ausgeplaudert hat und damit zum Verräter Ägyptens geworden ist, sucht er keine Entschuldigung.

Dass die lebensbejahende Amneris – nun ganz großartig singend und sogleich mit Beifall bedacht – um Gnade für ihn bittet und außerdem bis zuletzt um seine Liebe kämpft, interessiert ihn überhaupt nicht. Offenbar ersehnt er das barbarische Urteil, lebendig ins Grab eingemauert zu werden, in das sich bekanntlich Aida schon hineingeschlichen hat.

Deutsche Oper, Tatiana Serjan als Aida, Foto Marcus Lieberenz
Tatiana Serjan (Aida). Foto: Marcus Lieberenz

Und nicht erst jetzt ist Tatiana Serjan in der Rolle dieses Traumgebildes der wundersame Star des Abends. Mit glockenreiner Intensität lässt ihr Sopran keine Wünsche offen. Die Sehnsucht nach ihrer verlorenen Heimat, die Liebe zu ihrem Vater und die noch größere zu Radames, die sie in seelische Konflikte stürzt – all’ das macht sie anrührend glaubhaft. Verdis düstere „opera lirica“ wird durch sie Realität. Mit ihr sind es die Instrumentalisten und die Sängerinnen und Sänger die Verdi letztlich triumphieren lassen. Heftiger Schlussjubel ist an diesem zweiten Abend der verdiente Lohn.   

  Ursula Wiegand   

Weitere Termine: 28.11., 3., 6. und 10.12.

 

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