Berlin/Admiralspalast: MALAKHOV & FRIENDS beglücken erneut die Berliner Ballettfans, 02.09.2016
VladimirMalakhov, Diana Vishneva. Copyright: Irina Tuminene
Er ist wieder da – der Tänzer Vladimir Malakhov – bis vor zwei Jahren Intendant und sozusagen Chef-Solist des Staatsballetts Berlin. Der Admiralspalast in der Friedrichstraße platzt bei diesem ersten Comeback aus allen Nähten. Die von ihm einst kreierte Gala „Malakhov & Friends“ mit dem Zusatz „Classic & Modern“ erweist sich erneut als Zugpferd und ist diesmal von besonderer Qualität. Mit heutigen Stars und jungen Interpreten, die aufmerken lassen, beglückt er in zwei Vorstellungen die nach seinem Abschied oftmals enttäuschten Berliner Ballettfans.
Anders als vielleicht erwartet, hält er sich zunächst zurück, begrüßt nicht gleich zu Beginn das Publikum und lässt den Freunden den Vortritt. So Mika Yoshioka und Galiotto Mattia vom Béjart Ballet Lausanne, die mit zwei Choreographien ihres Meisters beginnen, als Auftakt mit „Cing préludes pour violoncelle“ zur Musik von Johann Sebastian Bach, die allerdings den ganzen Abend vom Band kommt und insofern auf die unterschiedlichen Darbietungen zugeschnitten ist.
Ja, was macht so eine junge Frau wie Mika Yoshioka, wenn der Partner (Galiotto Mattia) lieber sein Cello streichelt als sie? Eine hübsch getanzte Studie mit Charme und Humor, bei der auch sie zuletzt das Cello liebkost. – Im 2. Teil des Abends beeindrucken die beiden anders. Blutbeschmiert, krass und aggressiv bringen sie den „Pas de deux de Chéreau et Mishima“. Eine Erinnerung an den exzentrischen Schriftsteller Yukio Mishima, der nach altjapanischer Sitte Selbstmord durch Bauchaufschlitzen beging (Beppuku, hierzulande Harakiri genannt).
Den ersten heftigen Beifall erhalten jedoch László Major & Daichi Uematsu von der vorher nicht angekündigten Györ Dance Groups, Hungary. Ihr intensiver, großartig getanzter Pas de deux löst besonders bei Teilen des Publikums Jubel aus. Daichi Uematsu, ein junger Tänzer mit Traumkörper und Ausstrahlung bestreitet im 2. Teil noch ein Solo auf dunkler Bühne, nur mit zwei Lämpchen an den Handgelenken, die infolge der Armschwingungen alle Bewegungen beleuchten. Tolle Idee, toll zelebriert!
Im Vergleich zu dieser knackigen Darbietung fällt das dritte Stück „A Midsummer Night’s Dream“, obwohl von George Balanchine, spürbar ab. Daraus können selbst Rainer Krenstetter, früher Erster Solotänzer des Staatsballetts Berlin und nun Principal Dancer am Miami City Ballet, zusammen mit Tricia Albertson kaum Funken schlagen. Das gelingt erst bei der schmissigen „Tarantella”, in der beide mit quicker Beinarbeit und der Österreicher mit wirbelndem Spaß ihr Können herzeigen.
Untermalt mit Sprachfetzen und zunächst auf 2 Hockern sitzend interpretieren Viktoria Brileva und Fedor Murashov vom Mariinsky Ballett – beide im karierten Röckchen und auch sie mit Schnurrbart – ein modernes Duett betitelt „Keep calm”. Diese Arbeit des russischen Nachwuchschoreographen Vladimir Varnava mit ihren von Fedor Murashov humorig getanzten Einlagen reißt mich nicht vom Hocker. Doch mit dem folkloristischen Pas de deux aus „Raimonda” in ebensolchen Kostümen gewinnen sie die Herzen der Zuschauer.
Selbstverständlich ist auch Mizuka Ueno, Principal Dancer des Tokyo Ballet, die oft in Berlin zu Gast war, mit dabei. In der „Carmen Suite”, eine Choreographie von Alberto Alonso, tanzt sie perfekt wie stets, zeigt sich aber eher als verführerisches Kätzchen. Das Zerstörerisch-Erotische, das einer Carmen innewohnt, bleibt bei ihr außen vor. Ganz anders beim „Cheek to Cheek” mit Luigi Bonino ist sie voll in ihrem Element. Rauf auf den kleinen Tisch, oben tanzend, runter vom Tisch, ständig in Bewegung, alles mit Charme und Pepp, alles wie anstrengungslos. Bonino hat’s mit 67 noch prima drauf, ist beweglich und hechtet auch mal unter dem Tischchen hinweg. Besser und lustiger geht’s nicht. Das fröhliche Highlight des Abends.
Gut anzusehen ist auch Emi Hariyama als „spezial guest“ mit „Dream“. Die Zierliche mit Maske und kurzem Reifröckchen überzeugt als Träumerin auf flinken Beinen. Als der Traum zu Ende ist, streift sie die Maske ab.
Das erste Superpaar bilden für mich Julia Stepanova und Denis Rodkin vom Bolschoi Ballett. Zuerst glänzen die beiden mit dem Pas de deux aus Marius Petipas „Le Corsaire”, und wie am Bolschoi trainiert wird und welch eine Fitness daraus resultiert, stellen die beiden in bewundernswerter Weise vor. Die Endlos-Pirouetten auf einem Bein und die weiten, teils angedrehten Sprünge von Denis Rodkin, die an den jungen Malakhov erinnern, ernten sofortigen Applaus.
Dass die beiden nicht nur solche „Show-Nummern“ gestalten, sondern auch Inhalte ausdrücken können, beweisen sie in „Macbeth” von Vladimir Vasiliev. Er, seiner Frau in jeder Beziehung hörig und durch sie bekanntlich zum Morden angestiftet, schlägt die Hände vors Gesicht, tut seine Verzweiflung kund, versucht sie abzuschütteln. Sie im blutroten Kleid klebt fast auf seinem Rücken, die Zarte dominiert den kräftigen Mann. In Begierde und Verbrechen bleiben sie untrennbar miteinander verkettet. Dass das Stück „Macbeth“ heißt, bräuchte gar nicht im Programm zu stehen, so deutlich wird das hier zum Ausdruck gebracht.
Zwei verdienen die Goldmedaille: Lucia Lacarra und Marlon Dino, bisher das Ausnahmepaar des Bayerischen Staatsballetts mit internationaler Reputation, das wegen des dort bevorstehenden Intendantenwechsels künftig als „feste Freie“ am Theater Dortmund arbeitet. In „Spiral Twist“ von Russell Maliphant windet sie sich liebevoll und schwerelos um den kräftigen (Ehe-)Partner, der sie zuverlässig in dieser hingebungsvollen, fast artistischen Darbietung unterstützt. Hinreißend aber auch das spätere „Light rain” von Gerald Arpino. Das Publikum hält angesichts dieses außerordentlichen Könnens den Atem an, um danach in Bravos und Jubel auszubrechen.
Und dann kommt ganz zum Schluss Vladimir Malakhov, der nach wie vor in Berlin wohnt und als Künstlerischer Berater des Tokyo Ballets tätig ist, auf die Bühne und erhält sofortigen Beifall. Zusammen mit Diana Vishneva vom Mariinsky Theater, die oft an seiner Seite getanzt hat, gestaltet er „The Old Man and Me“, das Hans van Manen speziell für ihn kreiert hat.
Mürrisch steht Malakhov da, bleibt trotz der erstaunlichen Po-Schwünge der jungen Frau zunächst völlig desinteressiert, wirkt ungehalten, zieht Grimassen. Erst allmählich schmilzt das Eis, das Leben kehrt zurück. Sie tanzen ein bisschen zusammen, doch das war’s. In entgegen gesetzter Richtung verlassen beide die Bühne. Der 48-jährige Malakhov wirkt nun wie ein Greis, der nichts mehr erwartet. Schluss mit der anfänglichen Komik, Altern ist hart, für Tänzerinnen und Tänzer ganz besonders.
Heftiger Beifall und Bravos, die sich bei Lucia Lacarra und Marlon Dino noch steigern, belohnen Malakhov und seine „Friends“.
Ursula Wiegand