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BERLIN/ Komische Oper"MARINKA" – Weihnachtsbäckerei. Europa-Premiere der Emmerich Kálmán-Operette

19.12.2016 | Operette/Musical

Berlin/ Komische Oper: Happy End bei Emmerich Kálmáns und Barry Koskys „MARINKA“-Weihnachtsbäckerei, Europa-Premiere, 18.12.2016

Johannes Dunz, Ruth Brauer-Kvam und Peter Bording. Foto Robert-Recker.de
Johannes Dunz, Ruth Brauer-Kvam, Peter Bording. Copyright: Robert Recker.de

Es gehört schon seit 5 Jahren zum Ritual. Kurz vor dem Christfest erfreut Barry Kosky, entdeckungsfreudiger Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin, das Publikum mit einer Weihnachtsüberraschung.
Diesmal und letztmalig wurde ein in Europa noch nie aufgeführtes Werk von Emmerich Kálmán locker-flockig aufgebacken und auch neu garniert, sprich textlich von George Marion Jr. überholt und – wegen der verloren gegangenen Partitur – durch Ferdinand von Seebach frisch instrumentiert. Die halbszenische Darbietung hat der Chef selber angerührt und sich vorab herzlich beim Chefdramaturgen Ulrich Lenz für die seit Jahren erfolgreiche Mitarbeit bei diesem Tun bedankt.

Zu sehen und zu hören ist „Marinka“, ein romantisches Musical in zwei Akten von 1945. Es ist die einzige Operette, die Kálmán im Exil in New York komponierte und immerhin 235 mal aufgeführt wurde, davon 165 mal am Broadway und ansonsten in der Provinz.

Die Musik und die Story interessierten, zumal die Amerikaner die Tragödie durch den Film Mayerling kannten. Gemeint ist der Doppelsuizid des österreichischen Thronfolgers Kronprinz Rudolf und seiner noch minderjährigen Geliebten, der Baroness Marie Alexandrine von Vetsera 1889 im Jagdschloss Mayerling bei Wien.
Die offizielle Version des Wiener Hofs lautete auf Selbstmord des Kronprinzen. Der seiner Geliebten wurde gar nicht erwähnt. Doch in Kálmáns US-Austria-Variante, basierend auf dem Buch von George Marion Jr. und Karl Farkas, stimmt das keineswegs. Angeblich hat Josef Bratfisch, der tatsächliche Leibfiaker seiner Majestät, seinem Urenkel gänzlich anderes anvertraut.

Dieser Kutscher, der alle amourösen Eskapaden des Kronprinzen kannte, das erste Treffen mit Marinka im Jagdschloss einfädelte und auch am Todestag vor Ort war, berichtete folgendes: Kaiser Franz Joseph, der das Verhältnis der beiden als staatsschädlich missbilligte, sei klammheimlich in Mayerling aufgetaucht und habe das Liebespaar nach Amerika geschickt. Unerkannt hätten die beiden dort glücklich gelebt. Statt der tödlichen Tragödie also ein reichlich fantasievolles Happy End. Mit einem gewissen Augenzwinkern wird dieses neue Backrezept nun vorgestellt.

Johannes Dunz, Kronprinz Rudolf, Ruth Brauer-Kvam, Marinka, Foto Robert-Recker.de
Johannes Dunz, Ruth Brauer-Kvam. Copyright: Robert Recker.de

Die Gesangsnummern, die 1945 in den USA fast zu Hits wurden, wie „Sigh by Night“ oder das melancholische „One Last Love Song“, gefallen auch dem internationalen Berliner Publikum. Zu verdanken ist das zunächst dem temperamentvollen Wiener Gast Ruth Brauer-Kvam als Marinka und ihrem jungen Partner Johannes Dunz (Tenor) als Kronprinz Rudolf. Musikalisch überzeugend, sie auch extrovertiert, bringen das die beiden. Herz, Schmerz – so gesungen und so süffig vom Orchester der Komischen Oper unter der Leitung von Koen Schoots gespielt, begeistert auch 1916 in der Komischen Oper.

Dass mit „Only One Touch of Vienna“ und „If I Never Waltz Again“ beim damals 62 Komponisten die Sehnsucht nach dem fernen Wien durchschimmert, kommt auch hier gut an, zumal wenn sich die Paare dabei im Dreivierteltakt drehen.

Peter Bording
, nicht Kutscher, sondern Taxifahrer, agiert als Charmebolzen-Conférencier mit wohlklingenden Bariton, zumal wenn er „Old Man Danube“ schmettert, übrigens Koskys erklärter Lieblingssong in dieser Operette, allerdings mit unüberhörbaren Anleihen an „Old Man River“. Die Frau an seiner Seite ist Talya Lieberman als Gräfin Landowska, und die bräuchte mit ihrem strahlenden Opernsopran sicherlich kein Mikroport. Benötigen es denn die drei anderen? Selbstverständlich füllt der stimmstarke Chor, einstudiert von David Cavelius, den Saal ohne Verstärker.

Insgesamt betrachtet bringt das witzige österreichisch-amerikanische Dialog- und Gesangsmischmasch das Publikum sofort und immer stärker in Stimmung, nach jeder Nummer gibt’s Zwischenbeifall. Wir geölt läuft diese schmissige Musical-Operettenshow, zumal Ruth Brauer-Kvam als super-bewegliche Betriebsnudel lässt nichts anbrennen. Die schönen Kleider der beiden Damen und das elegante Outfit der zwei Herren (Kostüme: Katrin Kath) vervollständigen dieses rundum geglückte, vorweihnachtlichen Back-Experiment. Und wenn sie nicht zu viele Kosky-Kekse genascht haben, leben Kronprinz Rudolf und seine Marinka noch heute, aber leider nur noch einmal am 30. Dezember in Berlin-Mitte.   

Ursula Wiegand  

 

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