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BERGAMO / Festival Donizetti: IL CAMPANELLO / DEUX HOMMES ET UNE FEMME

03.12.2025 | Oper international

BERGAMO / Festival Donizetti: IL CAMPANELLO / DEUX HOMMES ET UNE FEMME

28.11. 2025 (Werner Häußner)

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Cristina de Carolis (Rita, oben) und der Chor der Accademia Teatro alla Scala. Foto: Studio U.V. – Courtesy Donizetti Opera – Fondazione Teatro Donizetti

Jeder Regisseur – und natürlich jede Regisseurin – dürften bestätigen: Eine Komödie zu inszenieren ist herausfordernd. Zumal, wenn es um Stücke geht, die mit dem Humor vergangener Zeiten Menschen von heute nicht ohne weiteres erreichen. Ein anderes Tempogefühl, abgestandene Witze, unverständliche Anspielungen – dagegen sollen neu geschriebene Texte, Überformungen, Aktualisierung oder Klamauk helfen: Die Methoden, sich dem Verfallsdatum lustiger Theaterprodukte zu erwehren, sind vielfältig und können schmerzhaft danebengehen. Selbst anscheinend „unsterbliche“ Meisterwerke des komischen Genres wirken nicht mehr unmittelbar: Offenbachs „Orphée aux Enfers“ oder seine „Belle Hélène“ sind oft malträtierte Beispiele.

Was tun? In Bergamo beim Festival Donizetti hatte Stefania Bonfadelli die undankbare Aufgabe, zwei Kurzopern des musikalischen Stadtgottes für einen Abend im Teatro Sociale auf die Bühne zu bringen. „Il Campanello“ schildert, wie der abgeblitzte Liebhaber einer jungen Frau, die einen verschrobenen Apotheker geheiratet hat, dem Rivalen die Hochzeitsnacht vergällt. „Deux hommes et une femme“, besser bekannt als „Rita“, macht sich wesentlich drastischer über Ehe-Kabale lustig: Da geht es um häusliche Gewalt, einen notorisch prügelnden Mann und sein Opfer, das zur schlagkräftig-dominante Gattin eines hilflosen Weicheis mutiert. Die Schenkelklopfer-Lustigkeit von 1860 war damals schon nicht Ohne – in Frankreich war häusliche Gewalt ein ernstes Thema –, hat aber heute einen Beigeschmack, der einen naiv erzählenden Zugang eigentlich verschließt.

Bonfadelli rettet sich aus der Affäre, indem sie im Sechziger-Jahre-Setting Serena Roccos (ein beinah filmreifer Bühnenbau) und Valeria Donata Bettellas (stylisch und ironisch erfundene Kostüme) flotte Geschichten erzählt, ohne ein bemüht lustiges Overacting zu pflegen, aber auch ohne tieferschürfendes Bemühen, den deftigen Libretti mehr als dralle Komödiantik abzugewinnen. Die körperlichen Züchtigungen im Hotel Rita finden unkommentiert statt. Einen kritischen Blick auf Beziehungsgewalt darf man nicht erwarten. Wer das akzeptieren kann und erträgt, dass Selbstverständlichkeiten von damals heute einen schalen Nachgeschmack haben, vor allem, wenn sie amüsieren sollen, wird von Bonfadellis aus langer Bühnenerfahrung gespeisten Regie entspannt bedient.

Nächtlicher Notdienst in der Apotheke

Im „Campanello“ hat der gute Pharmazeut nächtlichen Notdienst, und sein missgünstiger Neider bimmelt nacheinander in drei Verkleidungen, um sich vermeintlich mit Medikamenten zu versorgen, tatsächlich aber, um das frische Paar nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Am Morgen muss der Apotheker zu dringenden Geschäften abreisen. Die Ehe bleibt unvollzogen, die junge Gattin alleine: Die Nachtglocke hat’s verursacht.

Das Sujet ist für heutige Verhältnisse nur noch begrenzt lustig, bietet aber den beiden männlichen Protagonisten in den Rollen des Apothekers Don Annibale Pistacchio und seines Widersachers Enrico reichlich Gelegenheit, schauspielernd und in der Parodie verschiedener musikalischer Genres ihr Können zu zeigen. Während Pierpaolo Martella die wachsende Ungeduld des geplagten Medizinmanns mit seinem auf Volumen und präsente Projektion getrimmten Bassbariton arm an Zwischentönen in den Raum schleudert, nutzt Enrico Bossi in der einst auf den phänomenalen jungen Bariton Giorgio Ronconi zugeschnittenen Partie des Enrico seinen Spielraum aus. Die Stimme zeigt zwar eine ziemlich harte Version dessen, was man heute in Italien unter „Belcanto“ subsumiert, aber die Plapperarie „Non c’è male d’ascoltar“ mit ihrer schwindelerregenden Aufzählung an Leiden und Gegenmittelchen ließe selbst einen Dulcamara erblassen. Beide Sänger sind – wie der Sopran für die junge Ehefrau Serafina – Teilnehmer der „bottega Donizetti“, bei der sie in diversen Workshops auf ihre Rollen beim Festival vorbereitet werden. Lucrezia Tacchi, noch sehr jung, singt die Arie der Serafina mit soubrettig spitzen Momenten, wenn sie um Stütze und Projektion ringt. Diese Stimme darf noch reifen.

Zupackende Pensionswirtin

Viel entschiedener packt Cristina de Carolis zu: Die Pensionswirtin Rita herrscht in ihrem Drei-Sterne-Etablissement mit buchstäblich eiserner Hand, die ihr ohnmächtiger Ehemann Pepé immer wieder zu spüren bekommt. Doch die Täterin ist selbst Opfer: Ihr früherer Mann misshandelte sie schwer, bis der Seemann bei einer Schiffshavarie spurlos verschwand. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als der Totgeglaubte plötzlich wieder quicklebendig in der Tür steht. Wer soll nun Rita bekommen? Interessiert ist keiner der beiden Männer – eine pikante Umkehrung der üblichen Opern-Konstellation zweier männlicher Rivalen um die Liebe einer Frau.

Italienische Frauenstimmen sind heute oft auf eine Hyperpräsenz getrimmt, die mit hartem Vibrato und kaum mehr flexiblen und gerundeten Tönen erkauft wird. Cristina de Carolis scheint zunächst in diese Richtung zu tendieren, aber ihr Mezzo ist angenehm geschmeidig und in der Gestaltung hält sie sich von vokalen Feuerwerk-Effekten fern. So klingt die messerscharfe Aggressivität einer Frau, die sich ihrer Haut wehren musste, ebenso glaubhaft wie die melancholischen Seiten Ritas.

Die Entdeckung des Festivals ist jedoch der Tenor, der mit Servierschürzchen die Lobby der Locanda Rita fegen muss: Cristóbal Campos Marín pflegt einen lockeren, weichen Stimmansatz, unverkrampft gebildete Höhen und eine flutende Stimmfülle, die seine (leider in der Rolle zu selten geforderten) Legati zum Genuss machen. Hier könnte ein Tenor von Format heranwachsen, ideal für das Repertoire der Zeit Bellinis und Donizettis. Dass Alessandro Corbelli als schlagkräftiger Seebär Gasparo seinen Beifall abräumt, versteht sich. Der Routinier kann nicht nur dem Nachwuchs viel mitgeben. Er bringt eine Erfahrung ein, die alles Buffoneske leicht und selbstverständlich erscheinen lässt.

Philologie im Dienste des Theaters

Das große Plus der Aufführungen beim Festival Donizetti ist die musikologische Sorgfalt: Allen Produktionen liegt eine kritische Edition zugrunde, die im Falle von „Deux hommes et une femme“ Paolo Rossini und Francesco Bellotto erstellt haben. Das Stück ist bisher nur in Form eines putzigen italienischen Öperchens unter dem Namen „Rita“ bekannt gewesen, aber Donizetti hatte es 1838 nach seiner Ankunft in Paris für die Opéra-comique geschrieben, wo es jedoch nicht zur Aufführung kam. Ebenso zerschlug sich eine Aufführung auf Italienisch in Neapel. So blieb das Werk unaufgeführt, bis es 1860 – schon als Reminiszenz an alte Zeiten – an der Opéra-comique als „Rita ou Le mari battu“ gegeben wurde. Für die neue Edition wurden das einzige bekannte Exemplar des französischen originalen Librettos und der ursprüngliche Titel der Oper verwendet.

„Il Campanello“ basiert auf der 1837 von Donizetti veränderten zweiten Version der ein Jahr zuvor für das Teatro Nuovo in Neapel geschriebenen Farsa; die Edition besorgte Ilaria Narici. Dirigent Enrico Pagano hatte also für sein Orchestra Gli Originali beste Voraussetzungen und setzt den locker-spielerischen Tonfall der buffonesken Musik in smarten, samtigen, im „Campanello“ wohl auch wegen der Akustik manchmal eher milchigen als brillanten Klängen um.

Der zweite Teil des Abends klang spritziger: Donizetti setzte für Paris nicht nur ein ehrgeiziges instrumentales Niveau voraus, sondern schielte auf den rhythmischen Elan, mit dem die Meister der Pariser Unterhaltungsindustrie wie Auber oder Adam ihr Publikum gewannen. Der Chor der Accademia Teatro alla Scala unter Salvo Sgrò verbindet die Schauplätze Apotheke und Pension, indem er einmal Hochzeits-, dann (stumme) Hotelgäste verkörpert. Das szenische I-Tüpfelchen setzen freilich zwei ältere Damen, die in köstlich altmodischen Kostümen in der Hotellobby ihren Tee tranken und eine stumme Konversation trieben, die beredter nicht hätte ausfallen können.

Das Festival Donizetti in Bergamo präsentiert vom 13. bis 29. November 2026 drei frühe Werke: den vor 200 Jahren uraufgeführten „Alahor in Granata“ (1826) „L’Esule di Roma“ (1828), und „Le Convenienze ed Inconvenienze teatrali“, besser bekannt unter dem Titel der modernen Bearbeitung als „Viva la Mamma!“ (1827).

 

 

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