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BERGAMO/ Donizetti-Festival: IL DILUVIO UNIVERSALE – Premiere

18.11.2023 | Oper international

BERGAMO / Festival Donizetti Opera: IL DILUVIO UNIVERSALE – Premiere
17.11.2023  (Werner Häußner)

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Enea Scala (Cadmo) und Maria Elena Pepi (Ada). Foto: Gianfranco Rota

Die Flut kommt, bevor der Fluch ausgesprochen ist. Kurz vorher noch hat eine Frau ihre tiefste Erniedrigung beklagt: Von der Freundin betrogen, vom Ehemann verstoßen, vom eigenen Sohn verflucht, wendet sie sich an den „Gott Adams“. Aber der scheint nicht zu antworten, bis ihr Peiniger, ihr Mann Cadmo, die perverseste Form des Sadismus auspackt: Wenn sie ihren Sohn wiedersehen will, dann soll sie eben jenen Gott verfluchen. Und da stürzt die Antwort von oben herab: die Flut, die das verdorbene Geschlecht der Menschen auslöscht. Nur Noah und seine Familie werden das Inferno überleben.

Die erfahrene Hand des Musikdramatikers Gaetano Donizetti greift in diesem erregenden Moment sicher zu. Das Gebet des Noé, die Arie der gequälten Sela („Senza colpa mi scacciasti“), die erhabenen Chöre: Donizetti zeigt sich im Aufbau des Finales als souveräner Musikdramatiker. Kein Wunder, dass die spätere Kritik diese Oper aus der Fastenzeit des Jahres 1830 als Wendepunkt sah: Von „Il Diluvio universale“ („Die Sintflut“) aus sah man die „zweite Karriere“ des Meisters aus Bergamo starten.

Donizettis „azione tragico-sacra“ steht in einer Tradition von Fastenzeit-Opern in Neapel, zu der Werke wie Gioacchino Rossinis „Mosé in Egitto“ oder „Atalia“ von Donizettis Lehrer und Förderer Giovanni Simone Mayr gehören. Mit biblischen Stoffen und Verzicht auf Tanz und virtuosen Ziergesang in feurigen Cabaletten zollte man der ernsten Bußzeit Tribut. Der Komponist verwandte auf seine biblische Oper viel Zeit für Recherche, vom Buch Genesis der Bibel bis zu einer Dramenvorlage von Francesco Ringhieri. Diese Sorgfalt ist zu spüren: Die Hauptpersonen sind szenisch wie musikalisch starke Charaktere, es gibt keine Umschweife, das Drama läuft zielstrebig auf sein katastrophales Ende zu.

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Szene aus Donizettis „Il Diluvio universale“ in Bergamo. Foto: Gianfranco Rota

Bezug zur gefährdeten Schöpfung gesucht

Geschickt verwebt das Libretto von Domenico Gilardoni die fantasievolle Vorgeschichte der biblischen Sintflut mit den privaten Konflikten der Protagonisten: Noé und seine Söhne bauen die Arche, deren Vollendung Cadmo, Anführer der heidnischen „Satrapen von Sennaar“ zu verhindern sucht. Seine Frau Sela hat sich heimlich dem alttestamentlichen „Gott Adams“ angeschlossen und sucht daher oft die Familie Noés auf. Das weckt in Cadmo den Verdacht einer außerehelichen Beziehung, der von Selas Vertrauten Ada genährt wird, die heimlich Cadmos Geliebte ist. Der verborgene Glaube Selas ist der Brennpunkt, in dem das verhängnisvolle Missverständnis der vermeintlichen Untreue Selas und die religiös-politische Entwicklung hin zu einer Bestrafung der lasterhaft lebenden Menschheit zusammentreffen.

Beim alljährlichen Festival „Donizetti Opera“ in der Kulturhauptstadt Italiens 2023 Bergamo versucht das Produktionsteam MASBEDO, den Bezug der biblischen Geschichte zur gefährdeten Schöpfung heute herzustellen. Das international bekannte Künstlerduo Niccolò Masazza und Jacopo Bedogni aus Mailand ist dafür bekannt, sich mit den künstlerischen Mitteln von Film und Video großen existenziellen Menschheitsproblemen zu stellen und ihre Metaphern und Symbole aus den Quellen der großen Religionen und überzeitlicher Mythen-Erzählungen zu speisen. Folgerichtig – und wie so manches Mal bei anderen opernausstattenden Künstlern – steht die bildende Kunst im Mittelpunkt.

Die Bühne des Teatro Donizetti in Bergamos Unterstadt wird beherrscht von einem riesigen Bildschirm. Die Metapher des Wassers dominiert die fast drei Stunden der Vorstellung, beginnend vor der Ouvertüre mit Meerestaucher-Aufnahmen. Später rauschen Erdrutsche und Überschwemmungswogen über den Schirm, driften brechende Eisschollen auf einen Wasserfall zu, kreiseln Autos und Häuser in schlammigen Fluten und leuchtet eine bleiche Sonne über einer unendlich öden Wasserwüste.

Das Sintflut-Motiv ist allgegenwärtig und dominiert die Szene, auf der zur Eröffnung Menschen in Regencapes Gott anflehen, das Universum nicht untergehen, den Erdkreis nicht im Meer zerbrechen zu lassen und den fatalen Irrtum, der die Seele der Menschen verdüstert, zu verzeihen: Worte aus Donizettis Eröffnungschor, die wie für unsere Zeit geschrieben erscheinen – ob man sie wörtlich auf Flutkatastrophen und den Anstieg des Meeresspiegels oder metaphorisch auf den drohenden Untergang unserer von Konsum, Technik und unendlich komplexen ökologischen und gesellschaftlichen Beziehungsgeflechten geprägten Zivilisation bezieht.

Bilder des gesellschaftlicher Zynismus‘

Dazwischen sind teilweise als Live-Video (Sabino Civilleri, Manuela Lo Sicco) eingespielte Szenen zu sehen. Sie evozieren Bilder eines gesellschaftlichen Zynismus, der sich mit spöttischem, hedonistischem Gebaren und bewusst provoziertem Ekel von der Betroffenheit durch die Katastrophenszenarien distanziert. Eine gewaltige Installation also, die nur einen gravierenden Nachteil hat: Sie korrespondiert so gut wie nicht mit der Performance auf der Bühne. Dort ist fast nur Arrangement zu sehen: Sänger stehen brav aufgereiht und starren singend ins Publikum, die vokal souveräne, beeindruckende Giuliana Gianfaldoni entfaltet als Sela ein ridikulöses Arsenal überlebter Operngesten, andere Sänger wie der geschmeidig singende, szenisch jedoch steife Noé von Nahuel di Pierro scheinen neben ihrer Figur zu stehen, statt ihre Charaktere zu verkörpern. Die Bildflut und die karge theatralische Anlage der Inszenierung stehen in kuriosem Gegensatz zueinander – ein heftiges Buh-Gewitter am Ende quittiert diese Diskrepanz.

Musikalisch dagegen hat die Wiederentdeckung eines seit 1837 so gut wie nicht mehr gespielten Stücks – es gab zwei CD-Aufnahmen 1985 und 2005 und 2010 eine szenische Produktion bei den Festspielen in St. Gallen – ihre Meriten. Riccardo Frizza am Pult des Orchestra Donizetti Opera entdeckt den Rossini-Hintergrund mancher Stellen, betont aber auch die Modernität und die Qualität von Ensembles wie des Quintetts „Gli empi `l circondano“ oder des auf Verdis „Nabucco“ vorausweisenden Gebets des Noé „Dio tremendo, onnipossente“.

Viel Beifall erntet Enea Scala, weil er es schafft, die Figur des fiesen Satrapenführers  mit dynamischer Energie zu repräsentieren. Stimmlich ist Scala ein eigener Fall: Sein Tenor ist voluminös, höhensicher und präsent, aber die Emphase der brillanten Töne speist sich zu oft aus druckvoll statt mit lockerer Eleganz gebildeten Tönen und Phrasen. Nahuel di Pierro zeigt als Noé einen gepflegten, entspannten Bass, der vielleicht eine Spur patriarchaler Autorität vertragen hätte. Maria Elena Pepi ist die rot gewandete Intrigantin Ada, deren Stimme so verführerisch locker und edel klingt, dass man sie gerne in einer umfangreicheren Rolle wiederhören würde.

Auch die Flanken der Hauptpartien sind von Sängern wie Nicolò Donini (Jafet), Davide Zaccherini (Sem) oder Eduardo Martínez (Cam) ansprechend besetzt. Wieder hat das Festival in Bergamo eine Oper für die Gegenwart zurückerobert, bei der man nicht so recht versteht, warum sie trotz der CD-Aufnahmen im Theaterbetrieb unbeachtet bleibt. Im nächsten Jahr kündigt Bergamo zwischen 15. November und 1. Dezember bekanntere Werke Donizettis an: Neben die gemeinsam mit dem irischen Wexford Opera Festival produzierte „Zoraida di Granata“ (aus Anlass des 200. Jahrestags der Uraufführung) treten „Roberto Devereux“ und der Dauerbrenner „Don Pasquale“, jeweils in neuen, kritischen Editionen.

 

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