BENJAMIN BRUNS: Ein Tenor auf dem Weg von Mozart in jugendlich-dramatische Regionen
Karl Masek
(Das Gespräch fand am 20. Jänner 2020 in den Räumen der Wiener Staatsoper statt)
Benjamin Bruns. Foto: Andrea Masek
Beethoven-Jahr 2020: Sie sind mitten in der Probenarbeit zur „Leonore“. Ist der „Florestan“ eine Erstbegegnung? Was kann das Publikum erwarten? Kann man schon etwas verraten?
Ich muss ein bisschen einschränken! Es ist keine wirkliche Erstbegegnung. Ich hab schon vor eineinhalb Jahren mal die Arie des Florestan ausprobiert, an der Musikhochschule in Detmold. Da gab’s ein Beethoven-Symposion, und da hab ich diese Arie mit dem Hochschulorchester schon mal gesungen.
Ist der Florestan in dieser Urfassung sehr anders?
Ja! Es ist eine komplett anders angelegte Partie. Und es ist eine Geschmacksfrage, was man dann besser findet. Man muss sich einfach darauf einlassen, es ist von der Anlage her ein komplett anderes Stück. Hat mit dem Fidelio, „den man kennt“, gar nichts zu tun. Das ist noch in der Tradition der Klassik, sozusagen mozartisch. Die Arie des Florestan: Sie klingt viel intimer, liegt insgesamt ein bis zwei Töne tiefer, hat nicht die dramatischen Ausbrüche und nicht die von allen meinen Fachkollegen gefürchtete Stretta am Ende – also ich fürchte sie ja nicht, aber einfach deshalb, weil ich diese Rolle noch nicht gesungen habe (lacht), aber ich habe mich vom „Fidelio“ bisher bewusst ferngehalten, damit ich keine Vergleiche anstelle! Und man wird dann auch dem Stück nicht gerecht. Man kann das schon in gewisser Weise als „Work in progress“ betrachten, weil, an einigen Ecken und Enden merkt man schon, dass Beethoven kein genuiner Opernkomponist war. Er hat natürlich die Formensprache beherrscht, aber bis zur praktischen Umsetzung ist das noch ein weiter Weg. Wir singen ja die 1. Fassung 1805, und bis zur Fassung von 1814 kann man schon eine Weiterentwicklung feststellen. Bei den Accompagnato-Rezitativen merkt man das …, Textverteilungsdinge, die liegen in der Urfassung … noch ein bisschen ungünstig …
Zur Inszenierung …
… ja, was darf ich darüber verraten? (lacht) … Also, der Schluss ist im Prinzip eine große Apotheose. Es ist eine spezielle Inszenierung, auf die man sich besonders einlassen muss wie auf das Stück als solches … man sollte sich nicht reinsetzen, nur um zu schauen, was da jetzt ein bisschen anders ist. Wir bewegen uns sehr heutig, aber mit dem Bestreben, die Texte sinnvoll umzusetzen. Nicht so, dass man alles als Metapher begreift. Also beispielsweise, wenn von Ketten die Rede ist, dann sind auch Ketten da. Ich mag es gerne, wenn es auch ‚handfest‘ wird, zumal auch Beethovens Musik … ja, auch eher handfest ist!
Gibt es Veränderungen im Text?
Es gibt im Libretto nur ganz wenige Änderungen. Der Florestan ist bei uns nicht in der Zisterne oder im Keller, deswegen kommt im Dialog Leonore-Rocco das Wort Zisterne auch nicht vor. Der Rocco sagt dann auf Leonores „…es ist so kalt hier…“: „…natürlich, es kommt ja kein Sonnenlicht herein…“ Aber es gibt Hinzufügungen. Wir haben eine Schauspielerin dabei, es wird also ein paar zusätzliche Sprechtexte geben, die für die Stimmung, glaube ich, ganz schön sind… Mehr will ich aber dazu noch nicht sagen!
Sie sind seit 2010 Ensemblemitglied, haben debütiert als Graf Almaviva in „Il barbiere di Siviglia“, hatten ihre erste Premiere am Haus mit Händels „Alcina“ als Oronte. Sie sind gemeinsam mit Dominique Meyer gekommen. Wo hat er sie entdeckt? In Dresden?
Wo er mich das erste Mal gehört hat, weiß ich nicht. Er hat mich jedenfalls eingeladen, im Théâtre des Champs-Élysées den Ferrando in Cosi fan tutte zu singen, daraufhin bekam ich den Vertrag für Wien.
Sie haben in diesem Jahrzehnt bisher 28 Rollen in mehr als 150 Vorstellungen gesungen, die meist gesungene Rolle war der Tamino, 30x, und haben dabei eine kolossale stimmliche Entwicklung genommen vom „Tenore di grazia“ über Barock, das Mozart-Fach bis hin zum jugendlich-dramatischen Tenor mit Wagner und Richard Strauss. Schritt für Schritt. Ist das für Sie, stimmlich gesehen, eine logische Entwicklung?
Für mich absolut ja! Auch der richtige Zeitrahmen. Die Stimmanlage ist da, das merkt man selbst, aber ich wollte mir bewusst auch Zeit lassen. So lange weiterhin Mozart singen, wie es geht, sagte mein Lehrer immer. Ich wehre mich auch gegen dieses Schubladen-Denken ‚er singt jetzt nur noch Wagner und Strauss‘. Und es bleibt mir nach wie vor wichtig ein weiteres Standbein: Johann Sebastian Bach – das Weihnachtsoratorium, die Passionen…
Benjamin Bruns als Ottavio (Don Giovanni), Irina Lungu (Donna Anna). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
… Mozart also weiterhin eine Konstante von Belmonte bis Tamino, von Ottavio bis zu Idomeneo … kommt der auch noch?
Unbedingt! Idomeneo war noch nicht, er hätte bereits kommen sollen, das war aber dann dispositionell nicht möglich.
Und die Entwicklung, step by step: Vom Steuermann zum Erik, vom Jaquino zum Florestan, der Lohengrin, der schon in Salzburg war und auch in Chemnitz kommt, vom Brighella zum Bacchus, vom David zum Stolzing,…
… durchaus! Den Stolzing würde ich gerne singen!
Ich mach jetzt aber den Sprung zurück zu den Anfängen. Nach Hannover. Sie sind ja einer von vielen Sängern mit Sängerknaben-Vergangenheit. Wie kam es dazu? Sie waren Stimmlage Alt. Interessant dabei, dass viele Knabenaltisten später Tenöre wurden (berühmtestes Beispiel: Peter Schreier, der beim Kreuzchor in Dresden war), die Sopranisten eher Baritone oder Bässe.
Ich habe immer schon sehr gern gesungen. Darauf gekommen, dass ich mit dem Singen etwas machen sollte, waren eigentlich Lehrer in der Grundschule. Die haben meine Eltern so lang genervt, bis sie aufgegeben haben. Eine Lehrerin sagte dann zu meinen Eltern, in Hannover gibt’s doch einen Knabenchor, dann haben meine Eltern gesagt, wenn wir ihn da reintun, lassen sie uns dann in Frieden? (lacht)…
Haben Sie auch Soli gesungen?
Ja, ich hab tatsächlich in Hannover in der Zauberflöte den 3. Knaben gesungen. Ich hab alle meine damaligen Kollegen viel später wieder getroffen! Tamino war Rainer Trost, in Wien ja kein Unbekannter, Pamina war Ute Selbig, die ja jetzt schon seit Jahrzehnten in Dresden singt, Johannes Martin Kränzle, der aktuelle Bayreuther Beckmesser, war damals Papageno, dirigiert hat Christof Prick, der auch viel in Wien gemacht hat. Renate Behle, die später in Hamburg meine Lehrerin war, hat 2. Dame gesungen. Und Camilla Nylund war damals Königin der Nacht(!!). Als ich sie einmal darauf ansprach, hat sie mich groß angeguckt: „Was, ich hab Königin gesungen??“ Mit Rainer Trost hab ich mir mal eine Barbier-von-Sevilla-Serie an der Semperoper geteilt. Beim Vorstellen hab ich gesagt: „Wir kennen uns aus Hannover, ich war der 3. Knabe!“ Sagt er „STOP, rede nicht weiter! Ich will nicht wissen, wie alt ich bin!“ (lacht)
Wie war dann die Entwicklung zum Tenor?
Also, als Knaben-Alt wollte ich nicht Tenor werden. Wäre am liebsten Altus geworden damals. Der Stimmbruch war schrecklich, weil Singen plötzlich nicht mehr ging. Das ging dann aber schnell vorbei. 6 Monate, dann war „der Drops gelutscht“. Dann musste ich mich mit der neuen Stimmlage zurechtfinden. Wobei mir das Melodie-Singen anfangs langweilig war. Tenöre haben ja immer die Melodie! Wenn ich zurückdenke: Als 2. Alt bei Bach, da waren nie Melodien! Wenn man bedenkt, 2. Alt in der Matthäuspassion, das ist manchmal fast atonal. Da denkt man dann: WOW! Wie hab ich das damals richtig intoniert? Erstaunlich! Mit der Zeit hab ich dann aber doch Spaß am Melodiensingen gefunden und mich mit dem Tenorsein angefreundet.
Auffallend viele Tenöre hätten durchaus auch Orchestermusiker werden können. Ich nenne nur Fritz Wunderlich (Horn), Siegfried Jerusalem (Fagott, unter Celibidache im Radiosymphonieorchester Stuttgart, bevor die Tenor-Karriere losging), Klaus Florian Vogt (Horn, der spielte auch im Orchester), Daniel Behle (Posaune). Sie haben Fagott gespielt. War Orchestermusiker zu werden, eine Option?
Absolut! Ich hatte immer einen Plan B. Für den Fall, dass einem gesagt wird, das mit dem Singen ist zwar eine nette Idee, aber mach bitte etwas anderes! Man sollte immer mehrere Standbeine haben. Das war bei mir Schulmusik mit Hauptfach Fagott, da habe ich die Aufnahmsprüfung gemacht. Begabung hin, Begabung her, ob man das „Zeug zum Theater“ hat, ist wieder etwas anderes. Schön singen allein genügt ja nicht … Ich weiß noch, wie traurig mein Fagottlehrer war … ‚ mein einziger Spieler, bei dem das Fagott wie ein Fagott klingt‘ …
Gab es Mentoren?
Ja, natürlich. Mein erster Lehrer war Peter Sefcik, der selber noch ein Schüler von Willi Domgraf-Fassbaender war, dem Vater der Brigitte Fassbaender. Er war Stimmbildner beim Knabenchor, kennt mich also seit meinem 9. Lebensjahr. Der kennt meine Stimme besser als ich selber. Er kommt nach wie vor zu Premieren. Wenn ich mal ein Problem habe, gibt’s eine Telefonkonferenz, und er schafft sogar Ferndiagnosen über Telefon, sagt mir dann ‚bei der Stelle musst du schon drei Takte vorher aufpassen‘ und so weiter. Renate Behle war auch wichtig für mich. Gelegentlich konnten wir nicht an der Hochschule arbeiten, da war dann Unterricht bei ihr zuhause. Und wenn der Daniel auch zu Hause war, hat er beim Unterricht korrepetiert!
Sie haben ein breit gefächertes Repertoire, welches das slawische Fach, die klassische Moderne von Berg bis Einem, Charakterrollen wie z.B. den Loge und Operette (kürzlich war wieder der Alfred in der Fledermaus!) einschließt. Was singen Sie am liebsten?
Meine musikalischen Hausgötter sind – in dieser Reihenfolge – Bach, Mozart, Händel. Sonst brauche ich Herausforderungen. Ich singe auch den Strauss und den Wagner sehr gerne. Aber auch die breite Fächerung des Repertoires zwischen Oper, Konzert und Liederabenden ist mir wichtig, weil ich der Ansicht bin, dass sich das gegenseitig befruchtet. Es hat jede Seite Facetten, die ich nicht missen möchte. Und es zwingt, die Stimme flexibel zu halten. Das ist sehr gesund! Wenn man viel Wagner oder Richard Strauss gesungen hat – und auf der Opernbühne arbeitet man ja eher „mit dem groben Pinsel“ – dann ist z.B. Bach ein wunderbares stimmliches Korrektiv, die Stimme in Form zu bringen und schlanker zu führen.
„Daphne“. Ileana Tonca, Benjamin Bruns (Leukippos), Margaret Plummer. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Raritäten, selten gespielte Opern, wie z.B. Daphne und Ihr meiner Meinung nach großartige Leukippos: Den haben Sie nur 3x gesungen, dann bis jetzt nicht mehr. Salopp gefragt: Zahlt sich da die Mühe des Lernens aus?
Musikalisch auf jeden Fall! Wenn das gute Stücke sind, habe ich auch für 3x kein Problem damit, viel Zeit zu investieren. Noch ein Beispiel: Einems „Dantons Tod“ war für mich auch nur dreimal. Ich wollte das unbedingt machen! Den „Camille Desmoulins“, eine Rolle, die Julius Patzak aus der Taufe gehoben hat! Gibt es einen größeren Ritterschlag, diese Partie auch singen zu dürfen? Es ist so grandiose Musik, und in dieser großartigen Inszenierung…
Ihre Erfahrung mit Festspielen, am Beispiel Bayreuth!
Das ist natürlich viel konzentrierter als sonstwo. Dazu kommt dieses besondere Publikum, aberwitzig im positivsten Sinne, wo die meisten mehr über diese Stücke wissen als wir. Das nötigt einem schon eine gehörige Portion Respekt ab! Man fokussiert sich da – das war auch bei den Osterfestspielen in Salzburg so, bei der Arabella mit Thielemann, Fleming und Hampson. Da sang ich noch den Elemer. Da ist nichts drum herum und man hat wenig Ablenkung.
Die meisten sind da wirklich die ganze Zeit vor Ort. Den Namen eines gewissen Dirigenten nennen wir jetzt nicht…
…(lacht) DAZU SCHWEIGE ICH!!… Man muss sich auch so Inseln schaffen, wo man nur an EINEM Stück arbeitet. Einmal hatte ich’s übertrieben und hatte in einer Saison 5 Rollendebüts. Das war natürlich Irrsinn. Daphne war nicht einmal noch „draußen“, waren schon die Proben für das „Matteo“- Rollendebüt in Arabella. Es ist toi,toi,toi, alles gut ausgegangen, aber ein zweites Mal sollte mir das nicht mehr passieren, ist die Lehre daraus.
Regiekonzepte: Sind Sie flexibel und „pflegeleicht“, oder sind Sie ein Hinterfrager und Diskutierer?
(schmunzelt): Ich behaupte, dass ich pflegeleicht bin. Wenn Sie eine/n Regisseur/in oder einen Dirigenten fragen, kann natürlich sein, dass die ihnen ganz was anderes erzählen! (Holt aus): Es ist so: Auch wenn ich eine andere Auffassung habe, muss ich doch das machen, was der Regisseur …. Also, die Intention muss stimmen… und im Repertoirebetrieb kann man da schlecht über alles mit den Regieassistenten diskutieren. Da muss man gelegentlich die Kröte schlucken und es halt machen. Anders ist es bei Festspielen oder bei Premieren, wo etwas neu erarbeitet werden kann. Da kann ich schon mit Regisseuren streiten, um dann gemeinsam zu einem guten Ergebnis zu kommen. Und man muss mir schon überzeugend darlegen können, WARUM ich jetzt genau das machen soll, und da kann es schon mal sein, dass gesagt wird, der Bruns ist gar nicht so einfach wie er immer tut. Man muss mir einen guten Grund liefern, WARUM das jetzt nötig ist, „irgendwo hinzukriechen“. Oder: Wo steht im Text, WARUM ich dieses oder jenes machen soll. Ich versuche dann alles zu machen, so lange es den Gesang nicht schädlich beeinflusst. Aber: Gib mir einen Grund für diese Aktion! Es geht ja darum, dass es Sinn und Zweck des Theaters ist, glaubwürdig zu sein!
Ihre internationale Karriere hat längst Fahrt aufgenommen. Wird man Sie auch in der nächsten Direktion sehen und hören können…
…bisher nicht! Es ist natürlich schade, Ich habe die Wiener Staatsoper im abgelaufenen Jahrzehnt als Stammhaus und künstlerische Heimat liebgewonnen, und die dort tätigen Menschen sind mir ans Herz gewachsen.
Werden Sie freischaffend gastieren und sich die Angebote aussuchen? Rollenwünsche in logischer Weiterentwicklung nach dem Lohengrin?
Ja, ich werde frei gastieren! Zu den Rollenwünschen: Es ist im Moment noch nichts wirklich spruchreif, aber in dieser Richtung könnte es gerne weitergehen. Bei Wagner Stolzing, auch Parsifal wäre denkbar. Aber langsam, peu a peu. Weiterhin Mozart als „Konstante“. Bacchus irgendwann einmal, auch der Kaiser (Frau ohne Schatten).
Vielen Dank für das Interview – und alles Gute!
Ich danke Ihnen!