BERLIN / Deutsche Oper: MACBETH – 5. Vorstellung seit der Premiere; 8.12.2024
Foto: © Eike Walkenhorst
Warum geht es in „Macbeth“ vereinfacht gesagt? Verdi zeigt uns nach Piave/Shakespeare, welche seelischen Schäden brutaler politischer Ehrgeiz im Individuum anrichten kann. Konkret, mit welchen Ausformungen psychischer Instabilität, Wahngebilden und Paranoia – von düsterer Einsamkeit gar nicht zu sprechen – die Verführung von Macht via den Gang über Leichen in der Regel einhergeht. Die größte Furcht von autokratischen Herrschern besteht darin, dass andere ihnen ihre Macht streitig machen und ihnen gefährlich werden könnten. Da ist sogar Kindesmord ein probates Mittel, um potentielle Widersacher aus dem Weg zu räumen. Der bethlehemitische Kindesmord durch Herodes den Großen in der Bibel spricht Bände davon.
In weiterer Folge geraten Kritiker, politische Opposition und oftmals ganze Völker in Geiselhaft von Spitzeltum, Unterdrückung, Folter und Mord. Dass dabei am Ende nie etwas anderes herauskommt als wiederum der gewaltsame Sturz des Usurpators, zeigt uns nicht nur das Schicksal von Macbeth und seiner Lady, sondern ist auch historisch zig Mal verbrieft, ohne ein prominentes aktuelles Beispiel bemühen zu müssen.
Die Hexen in Verdis Oper mit ihren vorhersehbaren Prophezeiungen können für das Abgleiten in eine klaustrophobe Parallelwelt der Macht stehen, wo Jasager im spirituell dunklen Gewande Echoräume hermetischer Selbstbeschau bedienen und die Macht durch deren abergläubisch akzeptierten Hokuspokus scheinbar abgesichert wird. Bis sich der Wind dreht und der nächste Potentat die Macht an sich reißt. Und das Spiel wieder von vorne beginnt.
Marie-Ève Signeyrole dreht den Spieß in ihrer Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin einfach um und führt uns in eine dystopische Welt, eine alternative Realität, in der die Hexen als heimliche Hauptakteure für die Manipulation durch aus digitalen Informationen generierten Bedarfen und Meinungsdiktaten stehen. Finstere Gestalten in der Optik amerikanischer Quäker, die Investmentgesellschaften strategisch vertreten. Da wird im Programmheft über BlackRock, automatisierte Vermögensverwaltungsprogramme (Aladdin), die „tripple wichtin hour“ und die Gefahren künstlicher Intelligenz verhandelt. Alles in einem verschwörungstheoretischen Unterton, die in den beiden Monologen der Oberhexe, einem kybernetisch erweiterten Hybridwesen à la Ms. Tang Yu, zu Beginn des ersten und dritten Aktes kulminiert.
Signeyrole und Dramaturgin Louise Geisler: „Die Menschen nehmen ihr Schicksal weniger selbst in die Hand, als dass sie auf die zahlreichen Reize der digitalen Welt reagieren. Wir sind sowohl Anstifter als auch Opfer dieser Manipulation….Dabei vergessen wir, dass unsere sozialen Netzwerke genauso gefährlich sein können wie die Hexen in Macbeth“. Alles so banal wie richtig. Und was hat das mit dem in zunehmenden Wahnsinn schlitternden Ehepaar Macbeth zu tun? Nichts. Genauso, wie das vor allem im Vorspiel zum dritten Akt mit Samenspende des Macbeth und künstlicher Befruchtung der Lady in einem Nebenraum visualisierte, ganze Thema Fruchtbarkeit bzw. Kinderlosigkeit nichts mit der Oper zu tun hat. Der nackt durch die Szene laufende Mann mit Hirschgeweih darf als Symbol der Männlichkeit und Wiedergeburt gleich mehrfach geschlachtet werde. Damit nicht genug, reißt Macbeth beim Bankett das Herz eines erlegten Tiers aus den Eingeweiden und drückt es an sein eigenes.
Foto: © Eike Walkenhorst
Ich gehe mit den anderen Meinungen d’accord, dass die vielen Aspekte, die hier oberflächlich angerissen werden, zu einem szenischen Verwirrspiel führen, die den Blick auf das Eigentliche verstellen: Die klare Parabel mit ihrer scharfen Warnung an die Verantwortlichkeit des Einzelnen für sein Tun, für den laufenden Missbrauch, der wie ein Bumerang auf die Täter zurückfällt, als auch die Folgen, die daraus individuell als auch gesellschaftlich resultieren.
Den dramaturgisch ausgelutschten Kniff des Live-Mitfilmens auf der Bühne und der Dopplung der Theaterbilder durch Filmbilder kennen wir durchaus in Genüge durch Volksbühnen-Star Frank Castorf & Co. Dass der Rückgriff auf ein verselbständigtes Schottland und einen Krieg mit Norwegen der umstrittenen Öl- und Gasreserven willen nicht sonderlich real ist, kann, wenn schon die Netflix Serie „House of Cards“ als „Macbeth-inspiriert“ zitiert wird, durch eine andere, aktuellere Serie, nämlich „Diplomatische Beziehungen“, Staffel 2, kritisch hinterfragt werden.
Schade um den Aufwand, denn in den ansehnlichen, luxuriös schwarz verwinkelten Bühnenräumen von Fabien Teigné könnte die Geschichte vereinfacht und dadurch verständlicher erzählt werden.
Bleibt die musikalische Seite des Abends. Die Deutsche Oper war ausverkauft und das Publikum war dem Applaus und finalen Zuspruch für die Protagonisten zufolge sehr beeindruckt. Und wirklich, Roman Burdenko als hellbaritonaler Königsmörder und um seine Herrschaft bangender König, Felicia Moore als seine vorerst ehrgeizig- kaltblütige, in eine Todesspirale abgleitende Lady (sie ließ sich als verkühlt ansagen, davon war aber stimmlich rein gar nichts zu merken), Andrei Danilov als seine Familie und toten Kinder tenormächtig beweinender Macduff und der junge kroatische Bass Marko Mimica als hingemeuchelter, einstiger Kriegskollege Banquo sorgen für einen vokal gediegenen bis exzellenten Abend.
Burdenko glänzte in seiner großen Arie im vierten Akt „Perfidi!… Pieta, rispetto, amore“, Moore legt in der berühmten Schlafwandelszene, in der sie die Morde an Duncan, Banquo und Lady Macduff Revue passieren lässt, ein traumhaftes hohes Des hin, das in solcher Leichtigkeit wohl selten zu hören war. Überhaupt scheint ihr die ganze Rolle technisch überhaupt kein Problem zu machen und es ist schön, einmal einen ganz jungen Sopran ohne starkes Vibrato in dieser mörderischen Rolle zu hören.
Wenn etwas tiefer geschürft werden sollte, könnte bemerkt werden, dass Moore vom Volumen her an ein mittleres Haus besser passt als an die große Deutsche Oper und darstellerisch zulegen könnte, dass Burdenko stimmfarblich Dämonie abgeht und Mimica die tiefsten Noten des Banquo zwar erwischt, aber halt in der Expansionsfähigkeit an Grenzen gelangt.
Foto: © Eike Walkenhorst
Als durchaus erfreulich habe ich die Leistungen von Thomas Cilluffo als Malcolm und Maria Vasilevskaya als Kammerfrau wahrgenommen.
Enrique Mazzola dirigierte das Orchester und den Chor der Deutschen Oper Berlin mit Sinn für dramatischen Effekt, meist in gelungener Koordination mit der Bühne, aber insgesamt in den Tempi schwerfällig und musikalisch kantig im Vergleich zur raffinierter Italianitá, wie wir sie von Claudio Abbado, Riccardo Muti oder Giuseppe Sinopoli her kennen.
Fazit. Ein durchaus intensiver Repertoireabend, an dem vor allem die Sängerinnen und Sänger alles gegeben haben, was sie zu bieten haben, und dafür entsprechend vom Publikum gefeiert wurden.
Dr. Ingobert Waltenberger