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BAYREUTH/Festspiele/ UCI-Kino Welt Millenum Tower: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Premiere

26.07.2017 | Oper

Bayreuther Festspiele  – UCI Kino-Welt/Millenium Tower Wien 25.7.2017

„DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ (Direktübertragung der zeitversetzten Premiere)

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Klaus Florian Vogt. Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Barrie Kosky gab nun seinen Einstand auf dem „Grünen Hügel“. Für seine Inszenierungen und Produktionen konnte er ebenso berühmt wie berüchtigt sein. (2005 in Wien am „Ring“ hatte er einen „Lohengrin“ geliefert, den wir aber schon von allem Anfang nicht geschluckt haben!) Doch Alle, die Bedenken schon im voraus geäußert hatten, befanden sich total im Irrtum. Die positiven Ergebnisse von 3 Jahren detailliertester Proben-Arbeit in Bayreuth übertrafen alle Erwartungen. – Das Publikum bejubelte am Schluss zu Recht die beiden Werk-Debütanten – die delikate fein ziselierte und voll erblühende Orchester-Arbeit von Dirigent Philipp Jordan „im mystischen Abgrund,“ ebenso wie Koskys oft überschäumende Personenführung…Fazit: Premieren-Jubel nach den neuen Bayreuther „Meistersingern!“

 Barrie Kosky lieferte „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“

 Diese kam Sturzbach-artig von der Bühne. Die Projektion auf dem Bühnen-Vorhang samt genauer Zeit-, Orts- sowie eingeschlossen, exakt hoher Außentemperatur-Angabe ließen schon zu Anfang schmunzeln. Der Salon der Villa Wahnfried – schwerer dunkler alt-deutscher Stil in Eiche Vollholz – gerammelt voll mit „Meublage“ (Bühnenbild: Rebecca Ringst) u n d mit Menschen. Das so glanzvolle C-Dur-Vorspiel läuft voll bebildert ab – als „stumme Pantomim‘ “! Wie in einem Stummfilm mit Begleit-Musik passiert turbulentes Geschehen – eine stattliche weibliche Kraft des Wahnfried-Personals (Wiebke Lehmkuhl) einn Witwe-Bolte-Verschnitt, war mit den Richard Wagner-Hunden eben „Gassi“, der hereinwuselnde rabenschwarze riesige Neufundländer heißt diesmal laut seinem Lätzchen „Marke“ (und nicht „Russo“!). – Augenscheinlich ist Empfangs-Tag, also „Jour“, in der großbürgerlichem Wagner-Behausung! Im Fauteuil hingestreckt liegt Frau Cosima (Anne Schwanewilms), sie pflegt leidend ihre Migräne, aber als Dame und Hausfrau dennoch tapfer ihre Pflichten erfülltend. Post-Pakete werden reingetragen und übergeben, u.a. ihr später so berühmt gewordenes Portrait. Der “Meister“(Michael Volle) mit typischem Samt-Barett am Kopf, empfängt hoch-erfreut das Gemälde und strahlt. Ebenso Freude über ein Poststück mit feinst bedruckter Seide, die der bekanntliche Liebhaber von „Putz“ sich kokett probierend umlegt. Der pausenlose Strom von Freunden und Gästen reißt nicht ab, immer mehr Menschen strömen zu Besuch herein, gekleidet in der Mode des 19.Jhs. (Kostüme: Klaus Bruns). Man wähnt sich mitten in einem berühmten Schwank der Gebrüder Schönthan „Der Raub der Sabin(ch)erinnen“ zu befinden. Derart überschäumend, aber nur gestisch präsentiert sich das gesellschaftliche Leben in „Wahnfried“. Der reiche Großbürger Pogner (Günther Grossböck) begrüßt huldvoll seine Freunde. Soeben vom Zug angekommen, stellt sich Dirigent Hermann Levi (Johannes Martin Kränzle) ein, usw. Wie detailliert sich da „gestandene“ Opernsänger als präzis agierende Schauspieler von derart hohen schauspielerischen Gnaden zeigen, beweisen ihre vielen minutiösen Gesten und körpersprachlichen Bewegungen, sodass man nur staunen kann, angesichts ihrer sorgsam geprobten und gezeigten Ausdrucksmöglichkeiten als lediglich stumme Typen…

 Zum Ende des Vorspiels – erfolgt ein toller „coup de théâtre! Die bis jetzt nur stumm schauspielenden Sänger mutieren in die feierlichen Schluss-Akkorde hinein- zu den singenden Charakteren in der Oper! Michael Volle wird zu Hans Sachs, Cosima wird zum spielerisch kokett mädchenhaften Evchen, Günther Groissböck ist nun ihr Vater Goldschmied-Meister Veit Pogner. Vom Wahnfried-Personal wird Wirtschafterin Wiebke Lehmkul zur Magdalene, ihr Anbeter wird zum Lehrbuben David (Daniel Behle). Der historische Bayreuth-Dirigent Dirigent Hermann Levi mutiert zum nervös nickenden, zwickenden Stadtschreiber Beckmesser. Alle sind vorerst noch recht ruhig im „Auge des Taifuns“, doch wehe, wenn der losgelassen!! Die amüsanten Ereignisse überstürzen sich, denn „Villa Wahnfried“ spielt Kammer-Oper im großbürgerlichen Salon. Da öffnen sich die Flügel-Türen, Sitzgelegenheiten werden zusammengestellt und eingenommen, zuerst als Zuschauer – und darauf spielend und singend als allgemein bekannte Opern-Charaktere!

Die Szene am Anfang des 1. Aktes in der Katharinen-Kirche wirkt hier natürlich aus Raummangel ziemlich Kabinett-mäßig gedrängt. In ihr verhält sich auch Hermann Levi ziemlich komisch als Sixtus Beckmesser, wegen Unkenntnis des religiösen Rituals des Andersgläubigen. (Herr) Ritter Walter von Stolzing (Klaus Florian Vogt), schon vom „Jour“-Besuch im Salon mit der Wagner-Familie und deren Freunden bekannt, agiert gar nicht so sehr überrascht, wenn er nun Mutter Cosima als behütetes Töchterl Eva vor sich hat, samt ihrer jungmädchenhaftigen Körpersprache. Hat der Stolzing womöglich auch einen Mutter-Komplex, wie der David gegenüber Magdalena?  Als Evas angeschwärmter Ritter wirkt Tenor Vogt nicht mehr so knabenhaft zart wie früher, er präsentiert sich als rechtes Mannsbild, stimmlich als Strahlemann im Preis-Lied und sehr erfreulich im Agieren.

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Michael Volle. Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Wie laut Libretto protegieren die Meistersinger, vor allem Pogner und Sachs, den jungen Ritter und würden ihm die Meistersinger-Würde und Eva als Preis gönnen, natürlich nur als Kenner ihrer Kunst. David als einpeitschender Tutor handelte die Singschul in der Kirche ab, psalmodiert also nun am Erard-Flügel im Wahnfried-Salon. Recht schulmeisterlich knapp verläuft seine „Register-Arie“ der vielen wunderlichen Töne und Meister-Weisen für Stolzing als Adept! Hinter dem Klavier, wie aus einer Erdspalte gekrochen, kommen immer noch weitere historische Meistersinger-Kollegen in ihren Pracht-Kostümen hervor und präsentieren sich. Sie kommen und bringen noch mehr Bewegung ins enge Getriebe. Nur allzubald quillt der Wahnfried-Salon über vor weiteren Meistersängern, die sich einbringen oder es tun wollen. Allesamt werden sie mit reichlich Kaffee bewirtet und jeder einzelne macht beim namentlichen Aufruf an seiner Tasse mit dem Löfferl ein Glockenspiel! Sie agieren so übermütig humorig, dass man meint, nicht die Bohne allein mache die gute Laune?! – Welcher „Geist“ war da noch am Werke? Das immer wieder durch die Flügeltüre hereinbrechende Jungvolk, passend in die historischen Gewänder gehüllt, macht das Tohuwabohu im Salon noch lebhafter. Beckmesser/Levi präsentiert sich schlussendlich als gestrenger Merker wegen seines Diktums „versungen und vertan“…als rechter Misnick, wirkt er doch wie in einer köstlichen Kombination von Alberich und Mime…

Am Schluss des noch viel stärker als sonst turbulenten 1. Aktes bleibt als einziger Meistersinger Sachs übrig. Wie atomisiert ist die historische Dekoration verflogen. Überraschend wird die Szene zum Tribunal in einem modernen Gerichts-Saal (demvon Nürnberg gar?) Hans Sachs/als Komponist Richard Wagner tritt in einen modernen Zeugenstand und muss Zeugnis ablegen. Ein US-Soldat in Uniform und Stahlhelm verharrt stumm neben ihm. – So bricht grausam Realität ins heitere Spiel ein und bleibt auch in den folgenden beiden Akten weiter beherrschend.           

 Diese Bilderflut wie im 1. Akt findet keine Fortsetzung im weiteren Verlauf des Abends, dafür aber gibt es eine großartige Personen-Regie im neutralen Rahmen des Tribunals. Hier verzichtet Kosky auf demostrative politische Stellungnahme. An vorderster Stelle steht die großartige Ausformung der einzelnen Charaktere. Umwerfend, wie Michael Volle die Doppelrolle Hans Sachs/Richard Wagner spielt und einfach grandios singt! Als wichtigster Gegenspieler ist Johannes Martin Kränzle hinreißend und keineswegs unsympatisch, sondern mit wohlwollender Komik gezeichnet. Günther Groissböck streift als Parvenu die Karikatur eines wohlhabenden Grossbürgers. Überaus lebendig geriet das „Quintett“, in dem Anne Schwanewilms ihre stimmlichen Qualitäten zeigen konnte. Ebenso harmonisch sekundierten hier Klaus Florian Vogt, Daniel Behle, Wiebke Lehmkuhl und natürlich Primus inter pares Michael Volle.

Ein Super-Lob muss an Philipp Jordan gehen, der den Regisseur musikalisch in jedem Detail in die Hände arbeitete. Seine „Meistersinger“ waren weit entfernt von jener Erdenschwere, die Richard Wagner allzuoft vorgeworfen wird. Der Vergleich mit Verdis „Falstaff“ drängt sich auf… Es war ein Lust-Spiel in des Wortes tiefstet Bedeutung!

Ist es nötig darauf hinzuweisen, dass sich dahinter eigentlich die ganze Menschheits-Tragödie verbirgt…?

 Norbert A. Weinberger                    

 

 

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