Salonkultur als Ersatz für die Bayreuther Festspiele
Statt großer Oper wird in Bayreuth Kammermusik zelebriert – das Münchner Voyager Quartet spielt in diesem Sommer alle Streichquartette Beethovens in der Villa Wahnfried. Beim dritten Abend waren wir vor Ort.
Foto: Peter Kees
Es waren Künstler wie Franz Liszt oder Wagners „Parsifal“-Dirigent Hermann Levi, die zu Lebzeiten Richard Wagners als Gäste im Salon der Villa Wahnfried weilten. Im 19.Jahrhundert war der Salon zentraler Ort der bürgerlichen Gesellschaft. Dort wurde diskutiert und musiziert. Ein wenig in jene Salonkultur versetzt fühlen kann man sich diesen Sommer im Bayreuther Richard Wagner Museum. In Wagners Saal musiziert das Münchner Voyager Quartet sämtliche Streichquartette Ludwig van Beethovens vor erlesenem Publikum. Mehr als 25 Zuhörer und Zuhörerinnen sind dort ob der geltenden Hygienemaßnahmen derzeit nicht zugelassen. Und so bekommt ein Streichquartettabend im Hause Wahnfried eine ganz besonders intime Note. Zwar sind weder Liszt noch Levi anwesend, doch man wähnt sie seien es.
Museumsdirektor Sven Friedrich ist ein glücklicher Wurf gelungen, das Voyager Quartet mit dem Beethoven-Zyklus für die Wahnfried-Konzerte zu engagieren, in einem Sommer, in dem die Bayreuther Festspiele ausfallen.
Beethoven war Wagner ein großes Vorbild. Der Sachse verehrte den großen Tonschöpfer und Humanisten. Zur Grundsteinlegung seines Festspielhauses führte er am 22.Mai 1872 sogar Beethovens neunte Symphonie im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus auf. Und da die Feierlichkeiten zu Beethovens 250. Geburtstag dieses Jahr sich coronabedingt ebenfalls kaum entfalten können, ist es umso willkommener, die gesamten Beethovenschen Quartette in Bayreuther Salonatmosphäre erleben zu können.
Vergangenen Sonntag standen die Streichquartette Nr. 5 A-Dur op. 18 Nr.5, Nr. 10 Es-Dur op. 74, das „Harfenquartett“ und Nr. 7 op. 59 Nr. 1 auf dem Programm. Eines also aus den sechs frühen Streichquartetten und zwei aus der mittleren Schaffensperiode des Meisters. Was zu hören war, war geballte Emotionalität. Großen Klangzauber zelebrierten die vier Musiker (Nico Christians, 1. Violine, Maria Krebs, 2. Violine, Andreas Höricht, Viola und Klaus Kämper, Cello). Während sie beim A-Dur-Quartett op. 18, das noch sehr im Zeichen der Wiener Klassik steht – Beethoven hat sich hier eines „Haydn-Quartette“ von Mozart zum Vorbild genommen -, zart und spielerisch agierten, eine gewisse Dramatik dabei nicht ausließen, so entfalteten sie den romantischen Klangreichtum in den beiden mittleren Quartetten vollends. Das Es-Dur-Quartett Opus 74 mit dem Beinamen „Harfenquartett“ schrieb Beethoven im Sommer und Herbst 1809 in Baden bei Wien. Noch im Mai tobte in jenem Jahr vor den Toren Wiens die Schlacht bei Aspern, eines der blutigsten Gemetzel der Napoleonischen Kriege. Mehr als 40.000 Soldaten verloren in wenigen Stunden ihr Leben. Etwas davon liegt in diesem Werk. Schwermut und Idylle sind gleichsam verbunden, Kampfeslust und tiefste Depression, Frieden und Freiheit.
Mit den 1806 komponierten Quartetten Opus 59, später dem russischen Grafen Rasumowsky gewidmet, hatte Beethoven die klassische Formsprache längst überwunden. Komplexität in Form und Klang prägen die Werke; sie sind dichter, auch länger. „Flickwerk eines Wahnsinnigen“ nannten Zeitgenossen diese Quartette. Der Cellovirtuose Bernhard Romberg soll seinerzeit als er das Scherzo aus dem F-Dur-Quartett vom Blatt zu spielen begann, wütend aufgestanden sein und die Cellostimme auf den Boden geworfen und mit Füßen getreten haben. Der Satz beginnt mit einem Cellosolo auf einem einzigen Ton.
Das Voyager Quartet, das sich 2014 aus Mitgliedern des Cherubini Quartetts, des Modern String Quartets und Mitgliedern des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gegründet hat, lässt aufhorchen. Unmittelbarkeit erklingt, Kraft, Freiheitsliebe und humanistisches Streben, ganz im Sinne Beethovens. Die Voyager sind nicht auf Schönfärberei aus. Es gelingt ihnen vorzüglich, unter die Oberfläche der Noten zu greifen und dabei so manche Patina abzutragen. Wagner hätte sicher seine Freude gehabt. „Beethoven,“ so der Bayreuther Meister, „war und bleibt wohl unbestritten der kühnste Segler auf den Fluten der Harmonie. Jeder seiner Fahrten auf des Tonreichs gränzenlosen Ocean gestaltet sich zu einer Entdeckungsreise, von wannen er stets Neues, noch Unbekanntes aus weiter Ferne mit zurück in die Heimat bring.“ Diese Entdeckungsreise war an dem Abend in Bayreuth deutlich geworden.
Dass das Voyager Quartet an jenem Sonntag als Zugabe das Tristan-Vorspiel in einer Fassung des Bratschers Andreas Höricht für Streichquartett spielte, kann als Hommage an den Hausherrn verstanden werden, zeigt aber auch, dass Wagner etwa 50 Jahre nach Beethoven auf dem grenzenlosen Ozean der Harmonie nochmal ein gutes Stück weiter gesegelt war.
Am 9., 16. und 23.August folgt die Fortsetzung dieses Zyklus. Einem der frühen Beethoven-Quartette stehen jeweils mittlere und späte gegenüber.