Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus – Vinci Gala (Franco Fagioli; 11. September 2021)
Es ist noch nicht so lange her, dass Musikfreunden – Musikwissenschaftler seien dezidiert ausgenommen – der Name Leonardo Vinci unbekannt war. Nein, nicht der Künstler Leonardo da Vinci, sondern der um 1690 im süditalienischen Strongoli geborene und 1730 in Neapel verstorbene Komponist Leonardo Vinci. Dass heute auch Nichtspezialisten von ihm zumindest gehört haben, liegt nicht zuletzt an der vor einem Jahrzehnt veröffentlichten Einspielung seiner Oper „Artaserse“, die vor allem wegen ihrer fünf (!) Countertenöre zum Hörerlebnis geworden ist. Als konzertante Aufführung war diese Produktion im November 2012 auch im Theater an der Wien zu erleben (nachdem man das Werk in einer Produktion der Musikwerkstatt Wien bereits 2007 im Semperdepot kennenlernen konnte – damals allerdings nicht mit den originalen fünf Countertenören).
Einer der Mitwirkenden dieser legendären CD-Produktion ist Franco Fagioli. Und er war es auch, der gestern Abend (11.September) im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth im Rahmen des diesjährigen Festivals Bayreuth Baroque den Komponisten Leonardo Vinci einem begeisterten Publikum präsentierte. Arien aus „Gismondo, re di Polonia“, „Sirone, re di Persia“, „Medo“, „Catone in Utica“ und (natürlich) „Artaserse“ – alle übrigens mit Texten von Pietro Metastasio – wurden von Orchesterstücken des Komponisten und zwei von Georg Friedrich Händels Concerti grosso umrahmt.
Der in Argentinien geborene Franco Fagioli studierte zunächst Klavier, ehe er sein Gesangsstudium begann. Ausgebildet wurde er unter anderem am Instituto Superior de Arte, dem Ausbildungszentrum des Teatro Colón in Buenos Aires. Seine internationale Karriere begann 2003, als er den Bertelsmann-Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ in Gütersloh gewann.
Dass Fagioli zu den besten Countertenören weltweit zählt, und einige dieser Sänger sind bei Bayreuth Baroque zu hören und zu sehen, bewies der 40jährige an diesem Abend erneut. Scheinbar unendliche Phrasen singt er in einem Atem und in bestem Piano, der Wechsel von höchsten Tönen bis zu beinahe Alt Tiefen scheint ihm keinerlei Probleme zu bereiten. Und als wäre es die leichteste Übung überhaupt, formt jede Menge an halsbrecherischen Koloraturen. Kurz gesagt, Fagioli zeigte an jenem Abend jenes Können und jene Vielfalt an technischer Beweglichkeit und Stimmumfang, die einerseits von den Komponisten jener Zeit von ihren Interpreten verlangt worden ist und andererseits diese Werke für ein heutiges Publikum so hörenswert macht. Der nicht unkritische Betrachter gibt allerdings zu, dass bei allem Können und aller Kunstfertigkeit des Interpreten ein wenig Zirkusluft im Raum stehen bleibt.
Nicht ganz glücklich werden konnte der Besucher vor der Pause mit dem begleitenden Orchester. Armonia Atenea ist das Orchester bei den meisten Produktionen/Aufführungen von Bayreuth Baroque und vielleicht gab es deshalb leichte Ermüdungserscheinungen. Jedenfalls war der Klang im ersten Teil eher dumpf und es gab immer wieder längere Pausen, in denen die Musiker ihre Instrumente neu stimmten. Nach der Pause boten die Musiker unter der Leitung von George Petrou dem Solisten eine adäquate Begleitung.
Das begeisterte Publikum erklatschte und ertrampelte sich drei Zugeben, ehe Fagioli und der Dirigent das definitive Ende des Abends signalisierte. Dem Jubel schließt sich der Besucher aus Wien gerne an.
Michael Koling