Bayreuth, Markgräfl.Opernhaus: Siegfried Wagner Konzert zum 150.Geburtstag 17.8.2019
Bei den Festspielen wurde heuer zum 150. Geburtstag von Siegfried Wagner, der am 6.Juni 1869 in Triebschen bei Luzern als einziger Sohn Richard Wagners geboren wurde, vielfältig erinnert, und eigens in einem Konzert im Weltkulturerbe Markgräfl.Opernhaus seines Schaffens als Komponist von etwa 20 Opern (darunter 4 unvollendeten), aus denen Szenen und Arien erklangen, gedacht. Das Konzert beginnt mit zwei instrumentalen Stücken, dem Vorspiel 2.Akt und dem Trio ‚Herzensgebot‘ aus opus 5 „Sternengebot“, reduziert für ein Trio Geige, Cello, Klavier von Karl Kittel, einem Mitarbeiter S.Wagners, gespielt von Roland Hardenberg, Ji-Eun Noh und Christian Ubber. ‚Sternengebot‘ handelt von Agnes, der Tochter des Salierherzogs Konrad, die die Willensfreiheit des Individuums der Vorbestimmheit des Schicksals durch einen Orakelspruch entgegensetzt. Die Sphäre der Agnes wird mit schwebenden Harmonien begleitet. Als Reminiszenz erklingt wieder die Musik, mit der Agnes der Rückkehr des Helferich, einem Feldherrn, den sie liebt, entgegengefiebert hatte. In einem Monolog dieses Helferich (2.Name S.Wagners) rechtfertigt er sein Handeln, in dem er sich zum Anwalt des Sternengebots gemacht und den Thronanwärter Heinrich vor den Mordabsichten Konrads bewahrt hat, diesen der Herzogstochter zugeführt und Agnes entsagt hat. Mit seinem bestechenden Tenor kann Hans-Georg Priese diese Handlungsart glaubhaft emotional herüberbringen und ‚geläutert‘ seinen Abzug als Kreuzritter antreten. Eine Lohengrin-Parallele kann nicht von der Hand gewiesen werden. Agnes‘ Schlußgesang, der ihre jubelnde Liebe zu Helferich verklärt und das Herzensgebot über die Sterne stellt, singt die Sopranistin Nadja Korovina mit großer Emphase.
Der 1.Teil wird abgeschlossen mit Siegfrieds Konzertstück für Flöte (1913). Die seinem Neffen Gilbert Graf von Gravina gewidmete einsätzige Komposition in Bogenform und ohne Kadenz greift auf Themen der Opern ‚Friedensengel‘ und ‚Herzog Wildfang‘ zurück. Die Moralpredigt (Friedensengel) ist aber ein Plädoyer für die freie Liebe Mit dem Herzog Wildfang wird auf die Tollheit des Grafen Gravina angespielt. Das wird sehr wirkungsmächtig gespielt von der Flötistin Claudia Stein congennial concertiert am Piano von David Robert Coleman.
Nach ‚Sternengebot‘ (1906) kam vor der Pause noch die frühere Oper ‚Schwarzschwanenreich‘ zum Zug, dann ein Sprung auf 1920 mit Der Schmied von Marienburg und Der Friedensengel von 1914. Aus ‚Schwarzschwanenreich‘, wo es um das Böse aber auch die magische Anziehungskraft der schwarzen Schwäne geht und um eine angebliche Kindsmörderin, die in Zeiten von mittelalterlichen Kriegswirren auf ihr Todesurteil wartet, folgt zuerst die Kerkerszene der Hulda. Ihr Gesang schildert die Sehnsucht nach Erlösung von Gewissensqualen sowie ihre psychische Zerrissenheit, die in einen immensen Klagelaut mündet. Dann löst sich in ihrer Vorstellung das Gefängnis transparent auf, und sie findet sich an einem unterirdischem See und einem zart erleuchtetem Schloß des Schwarzschwanenreichs wieder. Diese Vision empfindet sie wie eine Gnadenerteilung. Rebecca Broberg singt diese packende Szene mit emotionaler Tiefe und ihrem plastischen (Mezzo)sopran. Es schließt sich quasi als Rückkoppelung der Zwiegesang Hulda – Liebhold als szenisches Vorspiel zum 2.Akt an. Er baut sich auf ein Motiv der Blumenranken auf und symbolisiert auch die Utopie des Zusammenlebens zweier Außenseiter der Gesellschaft. Der Beginn ist ein Wechselgesang der Beiden, ähnlich wie bei ‚Tristan‘ im 2.Akt. Auch die Pulsierung mit wie schwebenden Achtelnoten setzt ein und mündet in absteigender Tonleiter in die Ausrufung der ‚holden Liebesnacht‘. Hans-Georg Priese und Nadja Korovina gestalten das einzigartig. Der Tenor gibt mit sicher und fest intonierten Phrasen die Vorgaben, der Sopran nimmt sie auf und variiert sie, bis sich die Stimmen ineinander verschlingen und in der Weite des Alls aufs Schönste verklingen.
Friedelind, die außerehelich gezeugt wurde, setzt sich im ‚Schmied von Marienburg‘ gegenüber ihrem ungeliebten Vater durch und verliebt sich in einen der Ordensritter der Marienburg, die der Vater haßt. Rebecca Broberg gestaltet das im Gesang bei dem Einsiedler, der sich als ihr wirklicher Vater herausstellt, mit heterogenen Gefühlen und viel Larmoyanz.
Zwei Szenen stehen sich beim ‚Friedensengel‘ gegenüber. Die eine ist die von Frau Kathrin, die andere bezieht sich auf diejenige der Mita. In der 7.Szene des 1.Aktes entdeckt Kathrin den Selbstmord ihres Sohnes Willfried. Sie leidet sehr, bis sie mit einem punktierten entschlußkräftigen Motiv die Spuren des Selbstmordes verwischen will. Dazu beschwört sie mit ihrer ganzen Mutterliebe den Knecht. Das vermittelt die Altistin Alessandra di Giorgio mit sehr beredtem dunkel grundiertem Ausdruck ihrer wohltimbrierten Stimme. In der Szene der Mita, der Geliebten Willfrieds, die diesen durch die Störung seines Ehefriedens mit Eruna anscheinend in den Selbtmord getrieben hat, übernimmt wieder Rebecca Broberg. Nach ihrer Flucht aus dem Kloster, wo sie sich kurzzeitig aufgehalten hat, preist sie ihre neue Freiheit in beseligten Melodien, und wird von Siegfried W. somit als hoffnungsfrohe Existenz gezeichnet, die in ein neues Leben schreitet.
Im 2.Teil versammeln sich mit ‚Banadietrich‘ (1909), und ‚Sonnenflammen‘ noch 2 Opern der mittleren Schaffensphase Siegfrieds, und mit den Opern ‚Die heilige Linde‘ (1927) und ‚Rainulf und Adelasia‘ (1922) der späteren Phase klingt das Konzert aus. Moderator Peter P.Pachl bezeichnet Wittichs Sonnengesang aus Banadietrich als „puccineskes Naturbild“ bzw. als die impressionistische Antwort auf vorausgegangene romantische Sonnengesänge (der monumentalste sicher in Schönbergs Gurreliedern). Priese singt ihn sehr dezidiert, auch in Hinblick auf seine Wunde, die ihm Schwanweiß, seine unerwiderte Liebe, nicht heilen will. Deren Abschied wirkt auch eher stoisch resigniert, da sich Banadietrich von ihr abgewendet hat, aber wird trotzdem mit starker Emphase von Nadja Korovina gesungen, wenn sie sich wieder ins nasse Element als Fischwesen stürzt.
In ‚Sonnenflammen‘ will der vom Vater wegen eines Fehltritts verfluchte Ritter Fridolin in den Kreuzzug ziehen, bleibt aber wegen der Liebe zu Iris, der Tochter des Hofnarren am byzantinischen Hof hängen. Hier hat er aber in Kaiser Alexios einen mächtigen Gegenspieler. Auch gerät ihm Byzanz mit seiner furchtbaren Sonnenhitze zum Symbol der ‚Sonnenflammen‘. Der Bariton Axel Wolloscheck gestaltet die Szene des Alexios, der sich auch als Machtmensch als von Iris begehrter Mann präsentiert, und mit der er einen Nachkommen zeugen will. Iris warnt Fridolin vor der versehrenden Sonne Byzanz‘, als solche entpuppt sich auch Alexios selber, der sich als ‚Sonne‘ verehren läßt. Wie Sonnenflammen treffen Fridolin aber auch Iris‘ (Rebecca Broberg) Augen. Auf sie verweist Fridolin, wenn er am Ende stirbt. Seinen Abschied gestaltet der heldenhafteTenor Stefan Heibach.
In der Heiligen Linde geht es um den Zusammenprall der Religionen. Der Germanenkönig Arbogast läßt unter dem Einfluß der Römer eine heilige Linde fällen. Seine Gemahlin Hildegard trennt sich darauf von ihm und schickt ihn später auf den Feldzug gegen die Römer, wo er sich als Held bewähren soll. Er fällt. Dagegen erscheint als Lichtgestalt der Markomanne Fritigern, der sich in Hildegard verliebt. Sie pflanzen eine neue Linde. Nadja Korovina singt die Szene der Hildegard mit allen ihren stimmlichen Vorzügen als Sopran, eine ambitionierte Frau.
Den Schlußpunkt bildet ‚Rainulf & Adelasia‘, sozusagen ein Anti-Tristan, da die beiden als Gegner erscheinen. In der Szene des Osmund zu Beginn möchte dieser die Schuld seines Bruders Rainulf aufdecken, die seine Mutter auf dem Totenbett fälschlicherweise ihm unter Eid zugesprochen hatte. die Szene wird baritonal ergreifend von Axel Wolloscheck vorgetragen. Es schließt sich der Gesang der Sigilgaita an, einer Seherin, die mit ihren parapsychologischen Fähigkeiten dem Guten zum Sieg verhelfen will, ein sinnlich beschwörender Monolog, vom voluminösen Alt Alessandra di Giorgios als eine Mischung aus Erda und Ortrud dargeboten. In der Großen Szene der Adelasia nach Osmunds Abschied entschließt sich diese, selber den Schuldigen Rainulf zu überführen. ‚Kobolde‘ und ‚gute Geister‘ wechseln sich musikalisch im Monolog unterstimmig ab, Sextolenketten tauchen in rhythmischer Spannung latent auf. Rebecca Broberg wächst bei der Gestaltung dieser musikalischen Idee des Opfermutes über sich hinaus. Es gelingt ihr eine flexibel gestaltete farblich divergierende Interpretation der intricaten Szene, in der ihr Sopran wie befreit aufblüht.
Friedeon Rosén