Markgräfliches Opernhaus Bayreuth – POLIFEMO (12.September 2021)
Mit der bejubelten Wiederaufnahme von Nicola Porporas Oper „Carlo il Calvo“ in der Regie von Max Emanuel Cencic hatte Bayreuth Baroque am 1.September begonnen, mit einer konzertanten Aufführung seiner Oper „Polifemo“ ging das diesjährige Festival gestern, 12.September, ebenso erfolgreich zu Ende. Und wer zumindest eine dieser beiden Opern und vielleicht auch noch eines der dazwischen liegenden Konzerte hören und sehen konnte, der wartet zweifellos schon voll Spannung auf das Programm des nächsten Jahres.
Nicola Antonio Porpora, geboren 1686 in Neapel, gestorben 1768 in seinem Geburtsort) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der neapolitanischen Schule. Er war aber nicht nur Komponist, sondern auch Gesangslehrer; seine wohl berühmtesten Schüler waren die Kastraten Farinelli und Caffarelli. Als einer der schillerndsten Gestalten seiner Zeit hat er der Opernentwicklung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entscheidende Impulse gegeben. Er wirkte in Italien, vor allem in seiner Heimat Neapel, aber auch in London, Dresden und Wien, wenn auch nicht immer mit großer Fairness seinen Konkurrenten Händel und Hasse gegenüber, wohl aber stets auf die Entfaltung elementarer musikalischer Schönheiten bedacht. Mit Gesangsstimmen wusste er umzugehen, sowohl was ihre Ausbildung als auch ihren effektvollen Einsatz betraf. Niemand kannte die männliche Stimme besser als Porpora, und so schrieb er in rascher Folge Werke mit vielen Arien speziell für Kastratenstimmen. Zum Jahresbeginn 1735 schrieb er für die Opera of the Nobility, die als Konkurrenzunternehmen zum Opernimperium Händels in der britischen Metropole aufgebaut worden war, die Opera seria „Polifemo“, die mit Farinelli in der Rolle des Aci uraufgeführt wurde.
Das Libretto von Paolo Rolli basiert auf zwei bekannten griechischen Mythen, die beide mit dem Zyklopen Polyphem verknüpft sind: die Geschichte um die Nymphe Galateia und den Hirten Akis sowie die Begegnung mit Odysseus, die für den einäugigen Riesen wenig vorteilhaft ausgeht. Porpora schuf für die vielfarbigen Szenen eine Musik von großer Ausdruckskraft und Virtuosität, die ihre Wirkung damals wie heute nicht verfehlt. Die Arie Alto Giove erlangte durch den Film „Farinelli: il castrato“ neuen Ruhm.
Diese Wirksamkeit auf ein interessiertes und begeisterungsfähiges auch heutiges Publikum stellte die gestrige Aufführung mit einem Ensemble, das optimaler kaum sein könnte, unter Beweis. Nach dem Soloabend von Franco Fagioli am Vortag standen für diese Produktion zwei andere der wichtigsten und besten Countertenöre der Gegenwart miteinander auf der Bühne – Max Emanuel Cencic in der Rolle des Ulisse und Yuriy Mynenko als Aci. Für beide scheint es beinahe keine stimmlichen Grenzen zu geben; nicht zuletzt in den Kadenzen einzelner Arien zeigen sie eine Virtuosität, wie sie spätere Komponisten den großen Primadonnen abverlangen. Und ebensolche Virtuosität bei und mit halsbrecherischen Koloraturen bietet Julia Lezhneva als Galatea, die nach ihrer Arie am Ende des 1. Aktes das Publikum nahezu zum Rasen bringt. Pavel Kudinov (an dessen Zeit an der Volksoper sich der Schreiber noch erinnern kann) singt mit beweglichem Bass die Titelrolle des Polifemo. Die israelische Sopranistin Rinnat Moriah ist eine sehr gute Nerea und Sonja Runja komplettiert als Calipso mit warmen Mezzo das vorzügliche Ensemble. Nur zwei kurze Auftritte hat der Chor des Bayreuth Baroque Opera Festival; nämlich zu Beginn des 1.Aktes und im Finale des 3.Aktes.
Überaus gut disponiert und voll barockem Wohlklang spielten die Musiker*innen von Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou, der gelegentlich auch das Continuo vom zweiten Cembalo aus unterstützte.
Dem großen Jubel des begeisterten Publikums, coronabedingt war das Haus leider nicht voll besetzt, schließt sich der aus Wien angereiste Besucher gerne an. Und ebenso freut er sich auf die dritte Auflage von Bayreuth Baroque im September kommenden Jahres.
Michael Koling