Bayreuth: Sonnenflammen, Oper von Siegfried Wagner 16.8.2020/Derniere
„Sonnenflammen“ ist Siegfried Wagners 8. von insgesamt 23 Opern (davon einige unvollendet). Er komponierte sie 1912, die UA fand 1918 im Hoftheater Darmstadt statt. Sie wurde jetzt in einer ’szenischen Vision‘ mit Digitalem Orchester in der Kulturbühne Reichshof, einem ehemaligen Bayreuther Filmtheater, zweimal erfolgreich aufgeführt. Eigentlich hatte Siegfried, der einzige Sohn Richard Wagners, nur mit seinem Opernerstling Bärenhäuter durchschlagenden Erfolg, alle seine weiteren Opern sind mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden, da er im 20 Jahrhundert mit seinen auch historischen Stoffen als konservativer Nischen-Komponist abgestempelt wurde und nicht zum Opern- mainstream passte. Auch heute erscheint, trotz zahlreicher Bemühungen, auch der jetzigen mit dem renommierten piano-pianissimo-musiktheater, ein Comeback nicht in Sicht.
‚Sonnenflammen‘ greifen in der wie immer eigenen Textfassung des Komponisten, eine zu Beginn des 13 Jahrhunderts spielende Episode zu Byzanz, der Hauptstadt des oströmischen Kaiserreichs, auf. Auf der Kulturbühne wird die spannende Handlung um einen Kreuzritter, der am Kaiserhof sein Glück machen will, mit beschränkten Mitteln, aber prächtig fantastischen Kostümen von Christian Bruns (Kostümdesign) vom Leiter des ppp-musiktheaters Peter P.Pachl umgesetzt, Bühnenbild & Videos: Robert Pflanz.
Giorgio Valenta, Julia Reznik. Foto (c) Martin Modes
Zentrum der Handlung ist die Liebe Fridolins zur Tochter des Hofnarren, Iris, die aber nur halb erwidert bleibt, denn Iris läßt sich auf vom Kaiser Alexios betören, der seinem Hofnarren Gomella befiehlt, Iris ihm als Strafe für einen Diebstahl gefügig zu machen. Außerdem ist seine Liebe zur Kaiserin Irene, die ihm nur einen degenerierten kranken Thronfolger geboren hat, erkaltet. Von Beginn an wird auf den Verfall des Kaiserreichs durch Videos hingewiesen, die etwa Filmaufnahmen aus der später untergegangenen Titanic mit lasziven Tänzen auf den Tischen oder verstörenden Bilder vom 1.Weltkrieg wiedergeben, aber auch köstliche Aufnahmen von Kühen, die sich auf der Weide vergnügen, und einem Teddy als Bauer. Regisseur Pachl zeigt im 2. Akt eine köstliche Strickszene, wo Iris, die Kaiserin Irene, Fridolin und selbst der Kaiser, letzterer auch, um bei Iris zu sein, mit langen Strängen und Stricken zur Abwicklung der Geschichte und des Reiches zusammen gefunden haben. Hinreißend auch die Tänzerinnen und Mänaden beim Fest, bei dem eine Allegorie Iphis & Phila gegeben wird, wobei in aufreizendem Rundtanz das Damenvokalsextett sich in zuckend ekstatischen Momenten ergeht. Unklar verbleibt, ob sich Iris wirklich Alexios hingegeben hat oder die Dirne Eunoe, die Gommella im Tausch mit seiner Tochter dem Kaiser unterschieben wollte. Jedenfalls gesteht Iris am Ende dem sterbenden Fridolin, der sich auf dem Höhepunkt des Festes aus Eifersucht & Vaterlandsliebe erstochen hat, ihre Liebe und wird von den Hofdamen auf Byzanz-Podestchen herausgetragen.
Die im hochromantischem Tonfall gehaltene Musik wurde von Dirigent Ulrich Leykam elektronisch erzeugt, wobei aber die von ihm rekonstruierte Partitur in allen Einzelheiten die Vorlage darstellte. Es handelt sich also um keinerlei elektronische Verfremdung. sondern um eine mit den Instrumenten- Originalklängen produzierte Fassung, so daß zuerst der Eindruck entsteht, es handle sich um eine Orchesteraufnahme. aber es ist eine elektronische Simulation, und es ist ein sehr guter kompakter Sound, besonders die massierten Streicher kommen in ihren teils rhythmisch skandierten Einsätzen ganz toll herüber. Nur die Dynamik könnte differenzierter sein, ist aber mit dem Bühnengesang auch durch das Dirigat sehr gut veklammert, bravo.
Dirk Mestmacher, Damen-, Herren Vocalsextett, Maarja Purga, Rebecca Broberg. Foto (c) Martin Modes
Den Alexios singt und vor allem spielt Uli Bützer, ein junges Talent, optimal dekadent und stimmlich mit fein intoniertem flexiblem Bariton. Für den Fridolin konnte mit Giorgio Valenta ein wirkliches As aufgeboten werden. Mit seinem fast durchgehend lamentös tenoralen Troubadour-Gesang, weil zweifelnd an der Liebe seiner Iris, stößt er in berückende Sphären vor. Dazu trägt auch die Verfluchung durch seinen ihm nachgereisten Vater Albrecht, Steven Scheschareg, mit markantem druckvollem Bariton, bei, der auch einen Bettler und den Wahrsager übernimmt. Der Gomella wird aufgrund des Todes von Johannes Föttinger ‚zweigeteilt‘ gegeben: szenisch von Dirk Mestmacher, der ihn in seiner schlauen Unterwürfigkeit auf den Punkt spielt, und gesungen von William Wallace, der ihn von der Seite mit hübschen Tenorphrasen in Mönchskutte barfuß singt. Robert Fendl ist stark bassal Ritter Gottfried und der Gesandte Venedigs. In Nebenrollen und im Männer- Vokalsextett ergänzen Reuben Scott, Alexander Geiger, Luca Micheli und Di Guan wohldisponiert.
Last but not least, zu den teils hervorragenden Frauen. Rebecca Broberg ist die Kaiserin, und auch sie lamentiert mit ihrem reifen dramatischen Sopran über ihre Stellung am Hof. Später verabschiedet sie sich sonor mit ihrem gleichgewandeten kranken Infanten in einem transparenten grünen Neglige-Überwurf. Die Iris singt in ihrer ersten Opernrolle nach dem Studium an der Ernst Busch Hochschule und einer privaten Gesangsausbildung und parallelen Schauspielengagements Julia Reznik aus Odessa. Sie hat einen diamantenen sehr kraftvollen Sopran aufzuweisen, den sie bereits sehr gekonnt in dieser jugendlich dramatischen Partie einsetzt. Ein gewisses starkes Einheitsforte könnte etwa der Opern-Debutantinnen Situation geschuldet sein. Für die gesanglich nicht besonders umfangreiche Rolle der Eunoe kann Xenia Gulanova ihre hübsche Figur und Aussehen in die Waagschale werfen.
Als Schaffnerin Eustachia konnte wieder der estnische Mezzosopran Maarja Purga überzeugen und ihre Kantilenen mit dunkel voluminösem Timbre suggestiv bis glutvoll ausgestalten.Rafaela Fernandez als erste Tanzdeuterin und Artemis, Anna Ihring, koloraturerprobt als Mänade und Tänzerin, Angelika Muchitsch als Iphis und Marie-Luise Reinhard als Tänzerin und Mänade singen stark im Soli Vocalsextett anstelle eines großen Chores.
Friedeon Rosèn
Foto folgt hoffentlich demnächst