Bayreuth, Kulturbühne Reichshof: Der Friedensengel von Siegfried Wagner 21./22.8.2021
Rebecca broberg (Mita) und Giorgio Valenta. Copyright: Martin Modes/Internationale Siegfried Wagner-Gesellschaft
In der Kulturbühne Reichshof, einem ehemaligen Bayreuther Kino, wurde jetzt im dritten Jahr eine Oper Siegfried Wagners aufgeführt, nachdem zu seinem 150.Geburtstag 2019 von der Stadt Bayreuth und den Bayreuther Festspielen vereinbart wurde, jedes Jahr eine seiner 16 vollendeten Opern während der Bayreuther Festspiele aufzuführen. Die Wahl fiel diesmal auf sein opus 10, Der Friedensengel, während des 1.Weltkriegs entstanden und 1926 am Landestheater Karlsruhe uraufgeführt. Seither kam keine szenische Aufführung mehr zustande. Der Friedensengel hat wie viele andere Opern S.Wagners einen historischen Hintergrund und spielt im 16.Jahrhundert in Franken. Willfried, unglücklich verheiratet mit Eruna und des Lebens überdrüssig, möchte mit seiner Geliebten Mita Selbstmord begehen. Diese weigert sich aber, weil sie am Leben hängt, und flieht aus seinem Haus, als sie seinen Dolch gewahrt. Die Mutter entdeckt ihren toten Sohn mit dem Abschiedsbrief und beauftragt den Diener Rudi, die Leiche in den Wald zu schaffen, daß es so aussieht, als sei er von Räubern erschlagen worden, und damit die Leiche in geweihter Friedhofserde begraben werden könne.- Mita ist in ein Kloster geflohen, wo ihre Seele aber keinen Frieden findet. Sie möchte zu ihrer Jugendliebe Reinhold zurückkehren, der ihr nicht abgeneigt erscheint, obwohl er inzwischen mit Gerta, seinem „Hausdrachen“ verheiratet ist, und will Mita als Magd aufnehmen. Beim Küssen werden sie aber von Gerta entdeckt, und diese bindet Mita als ‚Buhlerin‘ am Kirchentor fest. Inzwischen wird Mita aber auch als Mörderin Willfrieds gesucht und vor dem Fehmegericht angeklagt. Der frühere Geliebte Erunas, Ruprecht, wird aus Rachegelüsten zum Ankläger und vermutet den Selbstmord Willfrieds. Dazu soll der Diener Rudi gefoltert werden, gibt aber, von Kathrin seines Eides entbunden, die Wahrheit preis. Aufgehetzte Bauern sollen das Grab plündern, finden darauf aber die tote Mita unter Büschen versteckt und erleben in einer Vision den Selbstmörder Willfried im Frack, der von einem Engelschor bei der Kapelle sozusagen freigesprochen wird, und einen Friedensengel, Mitja, der Heilige, der davor schon Mita auf der Flucht aus dem Kloster begleitet hatte.
Musikalisch behandelt Siegfried Wagner den kruden Stoff sehr angemessen mit anhaltend düsteren Passagen, die vom Beginn des langen Vorspiels an in ihren Bann schlagen. In den ersten Szenen kommen aber auch prägnante Buffo-Momente ins Spiel, wenn Bürgermeister Balthasar, der Doctor und der Pfarrer in Kathrins Haus kommen, wo eine Hochzeit vorbereitet wird. (Die unglückliche Eruna versucht, Paaren zu ihrem Glück zu verhelfen und lädt sie ins Haus der Schwiegermutter ein.) Der Doctor vermißt Willfried den Kopf, was damals bei den Ärzten in Mode gekommen war, aus Gefallen für seine Mutter, die ihn bittet, dem Schwermütigen zu helfen. Die Vermessung fällt aber eher unangenehm für den Sohn aus. Begleitet wird die nachdrückliche Personenregie Peter P.Pachls von den Projektionen Robert Pflanz‘, die wie schon vor einem Jahr bei „Sonnenflammen“ in teils ätzenden Trickfilmen das Geschehen kommentieren, abwechselnd mit historischen Heeresaufmärschen und Kriegen, was eine Auflockerung und auch Ironisierung des eigentlich doch kruden Selbstmordthemas bewirkt.
So werden zur Klosterszene 2.Akt Nonnen in schwarzweiß Filmen lustvoll und voyeuristisch dargestellt und die vorgesehene Folterung der Fehme an Rudi quasi vorweg gezeigt. Die befreiende Flucht Mitas aus dem Kloster, der sich der Friedensengel beigesellt, bewirkt auch eine signifikante Wende im musikalischen Ausdruck: Er mutiert zu einem Freuden- Liebesgesang in hohen Sphären und mündet in die Liebesszene mit Reinhold, der wieder ein Beispiel für Derbheit und auch für die Liebes- und Lebensklugheit von Figuren Siegfried Wagners abgibt, auch wenn sie mal von einem ‚Drachen‘ in die Schranken gewiesen werden. Im Ganzen entsteht so ein geschlossenes musikdramatisches Werk, das zwar in der elektronischen Fassung die sorgfältige Instrumentierung Wagners nicht angemessen wiedergeben kann, indes aber einen eklatanten Eindruck dieser Oper, die unbedingt zu seinen Hauptwerken zählt, vermittelt.
Die historisch inspirierten Kostüme, die sehr liebevoll entworfen und ausgeführt erscheinen, stammen von Christian Bruns.
Die Supervision über das Bayreuth Digital Orchester hat Ulrich Leykam inne, und gleichzeitig dirigiert er die Solisten des ppp-musiktheaters vor der Bühne mit großer Umsicht.
Willfried ist der starke überzeugte Heldentenor Giorgio Valenta und bildet mit seiner Frau Eruna zu Beginn ein hochdramatisches Paar. Er möchte die Scheidung, die sie aber mit unbeirrtem makellos metallen glänzendem Sopran aus Liebe zu ihm zurückweist. Die Mutter Kathrin gibt die zu den beiden ganz gegensätzliche Maarja Purga mit warmem gut timbriertem Mezzosopran.
Mita, (Ex)Geliebte von Willfried, singt und gestaltet die langjährige Siegfried Wagner- Sängerin Rebecca Broberg. Sie läuft bei ihrem Gesang nach der Klosterflucht zu guter Form ihres angenehm natürlichen Soprans auf und kann die unschuldigen Liebesgefühle, die sie bewegen und die sie ausleben möchte, und die im mit Martern verbundenen Kloster keinen Widerhall gefunden haben, in der freien Natur ausleben. Sie gestaltet diese Passagen in echter Siegfried-Manier mit schöner Verve.
Balthasar, später auch Freigraf der Fehme, wie die anderen Richter schwarz-maskiert, gibt der (Spiel)baß Uli Bützer. Der Doctor, der später noch einmal szenisch als Totengräber auftritt, indem er die als kompakte Buchpakete dargestellten Grabsteine umpostiert, ist Chunho You mit markantem wohlklingendem Tenor. Der Pfarrer, als Spiel- Baßbariton bezeichnet, übernimmt Robert Fendl und ist maximal opportunistisch, was die Auslegung des Selbstmörder- Begräbnisverbots angeht. Der Bräutigam Reinhold ist Andries Cloete mit prächtig charakteristischem dunkel soigniertem Tenor, der köstlich spielt und die Frauen zu ‚bewegen‘ versteht. Seine Braut Gerta ist Rafaela Fernandez, die auch stimmlich mit glasklarem super Mezzo weiß, wo der Hammer hängt.
Das 2.Brautpaar Gundel (Anna Ihring) und Anselm (Lars Tappert) tritt eigentlich nur tänzerisch mit guter Pantomime im 1.Akt auf. A.Ihring ist hoher Koloratursopran und gestaltet den Engelschor mit. Den Ruprecht gibt mit leuchtend satten bis fanatischem Bariton und roten Haaren Reuben Scott, den verschüchterten Rudi mit gut prononciertem Baß Jakob Ewert. Den Cast vervollständigen Di Guan (Ein Fronbote), Angelika Muchitsch (Die schlampige Trine) und Marie Luise Reinhardt (Ein Festgast). Mitja und der Heilige wird von dem Bayreuther Knaben Matthis Bargel ergreifend dargestellt.
Die Damen treten auch in köstlichen Klein-Choreographien als Nonnen oder Konditorinnen auf.
Vielleicht wird dieser Opern-Wurf jetzt mal von dem einem oder anderen Intendanten in den Spielplan aufgenommen.
Friedeon Rosén