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BAYREUTH im Kino/Münster Schlosstheater: LOHENGRIN. Festspieleröffnung

Farbe blau in allen Nuancen

26.07.2018 | Oper

Piotr Beczala
Ganz der Elektriker: Piotr Beczala als Lohengrin. Copyright: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

Bayreuth Festspielhaus – Münster denkmalgeschütztes Kino Schloßtheater

 Lohengrin – Premiere zeitversetzt am 25. Juli 2018 – Farbe blau in allen Nuancen

 Es waren  u.a. jüngst Georg Baselitz für die Oper München  und vor einigen Jahrzehnten Ernst Fuchs für die Oper Hamburg oder auch  rosalie schon  für die Bayreuther Festspiele, die als  anerkannte und  finanziell erfolgreiche Maler  für eine Opernaufführung das Bühnenbild schufen. Dabei bestand die Gefahr, daß zwar eindrucksvolle Bilder, aber keine Bühnenräume für eine Handlung mit Massenszenen entstanden.  Dies galt nicht für die Eheleute Neo Rauch & Rosa Loy, die  bei den Bayreuther Festspielen für die Neuinszenierung von Wagners „romantischer Oper“ „Lohengrin“  Bühnenbild und Kostüme entwarfen. 

Auffällig war aber zunächst die Verwendung der Farbe blau in allen möglichen Helligkeits-Nuancen sowohl für die Zwischenvorhänge, das Bühnenbild, die der grossen Zeit der niederländischen Malerei entfernt nachempfundenen Kostüme dies sogar bis hin zu den Haarfarben. Nicht ganz verständlich waren eine Art Flügel wie von Fliegen als Kronmantel für König Heinrich und später für Lohengrin, natürlich auch in hellem  „Rauch“ – Blau. (Zitat Katharina Wagner) Ausnahme blieb die von innen in grellem Orange gehaltene Hochzeitskemenate – eine Art Trafo-Station.

Die paßt zu einem weiteren wichtigen Element der Inszenierung, nämlich der Verbindung Lohengrins offenbar zu einer elektrischen Kraftzentrale. So tauchten zum glücklicherweise farblich nur ganz dezent begleiteten Vorspiel Überlandleitungen auf. Als Thronsitz König Heinrichs dienten elektrische Spulen. Der Palast des ersten und die Münster-Kirche im zweiten Akt zeigten über dem Eingangstor  Warnzeichen für elektrische Spannung, die  bei Lohengrins Ankunft aus den „Lüften“ mittels einer Art Drohne statt Schwan aufblitzten. Auch Lohengrins Schwert hatte die Form eines solchen Spannungs-Warnzeichens. Sein Kampf mit Telramund fand nach star-wars-Art  überirdisch statt. Vor dem Sonnenaufgang im dritten Akt leuchteten die Spitzen einiger Hellebarden der Krieger natürlich auch in Hellblau, was angesichts der noch dunklen Bühne starke märchenhafte Wirkung  hinterließ. (Licht Reinhard Traub)

Eigentlich beeindruckendster Teil des Bühnenbilds war die Ausnutzung der riesigen Bühne für die Massenszenen. Man kann sich gar nicht erinnern, daß sie so weiträumig ist. Hier hatten die Chöre und alle Solisten selbst vor dem erwähnten Palast genügend Raum, um nicht an der Rampe singen zu müssen, was nach Auskunft des Dirigenten Christian Thielemann stimmliches Forcieren der Sänger bei der Akustik des Festspielhauses unnötig macht. Im letzten Akt wirkte dann ohne Aufbauten die Bühne noch grösser, was den live-stream und Kino –  Besuchern durch Kameraaufnahmen von oben besonders deutlich wurde.

Ganz im Gegensatz dazu waren die Zwischenvorhänge sich dauernd verändernde eher abstrakte Gemälde. So  zeigte etwa die erste Szene des  zweiten Aktes vor einem natürlich dunkelblauen Hintergrund in dauernder Bewegung  einen wirklich „düstren Wald“, in dem Elsa aus der Trafo-Kemenate ihr „Euch Lüften“ sang und das unheilvolle Duett mit Ortrud begann.

In diesem Rahmen zeigte Regisseur Yuval Sharon, wie Elsa zweimal befreit wurde,  zuerst durch Lohengrin vor der bereits beginnenden Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen und dann auch  dank Ortruds Intrige  durch eigene Initiative  vom Frageverbot Lohengrins. Dazu passte, daß Elsa schon beim ersten Frageverbot die Hände wie gefesselt zusammenpreßte, Lohengrin sie dann in der Trafo-Station als Brautzimmer der Einfachheit halber auch wirklich an die elektrische Induktionsspule fesselte, sie dann  aber bis zum Schluß trotzig das orangefarbene Kleid, trug, in dem sie sich aus Lohengrins Fesseln befreit hatte

Ansonsten verlief die Handlung mit allem auch militärischem Pomp wie von Wagner erdacht. Von letzterem wirkte manches eher erheiternd etwa, wenn im zweiten Akt ein Maler eine Bild des „Münsters“ anfertigte, oder als Elsa und Lohengrin in der Hochzeits-Trafo-Station  ihr „Fühl ich so süss..“ aus Büchern vorlasen, vielleicht  gab es  darin ja auch einschlägige Empfehlungen für junge Brautleute, aber es ging ja bekanntlich alles schief.

Wie nicht anders zu erwarten, war das musikalische Niveau von allerhöchstem Rang, jedenfalls soweit man es durch die Lautsprecher im Kino beurteilen konnte. Es wurde durchweg textverständlich gesungen (wichtig im Festspielhaus  ohne Übertitel).

Placido Domingo schrieb einmal, achtzig Prozent der Musik des Lohengrin „lägen auf der Linie einer Verdi-Oper, sogar in den Ensembles“. Darin geübt bewies Piotr Beczala sein sängerisches Können durch gefühlvolle Kantilenen, zurückgenommene p- und strahlende Spitzentöne. Aber auch die restlichen Teile im dritten Akt  mit dem  für Wagner typischen rezitativischen Gesang gelangen ihm mit  seinem helltimbriertem Tenor eindrucksvoll und er hatte genügend Stimmreserven für eine glanzvolle Gralserzählung. Inniges Gefühl vermittelte Anja Harteros  mit langen Kantilenen ohne falsches Vibrato ihrer helltrimbrierten Stimme bereits beim Gebet  im ersten Akt und auch beim extrem langsam dirigierten „Euch Lüften“ im zweiten Akt. Gleichzeitig spielte sie überzeugend die allen Verboten trotzende junge Frau. Für ihre  oder eigentlich Lohengrins Gegenspielerin in der dankbaren Rolle der Ortrud zeigte Waltraud Meier  passend stimmlich mit jedem Ton, passend schauspielerisch mit jeder Geste und jedem Gesichtsausdruck (im Kino gut zu sehen)  eine ganz bewundernswerte Meisterleistung. Wenn man ihre unangestrengten Spitzentöne –  auch bei den „Entweihten Göttern“ –  genoß, kann man nur bedauern, daß dies ihre letzte Saison in Bayreuth sein soll. Tomasz Koniecny hatte für Telramund den passenden  mächtigen Bariton. Mit gewohnt edlem und immer tongenauen Baß adelte Georg Zeppenfeld die machtvollen Ansprachen König Heinrichs. Mächtig ließ auch Egils Silins  die bombastischen militärischen Aufrufe des Heerrufers tönen.

Weniger grosse Rollen wie die „Edlen“ Telramunds – aus irgendeinem Grund alle mit Brille – oder der Brautjungfern und  Edelknaben waren wie in Bayreuth üblich optimal besetzt.

Auch wie üblich ist ganz stark zu loben der Chor der Bayreuther Festspiele wie in den Vorjahren einstudiert von Eberhard Friedrich, insbesondere, wenn etwa der Herrenchor vielfach geteilt pp zu singen hatte. Dafür war günstig, daß die Chorführung bis auf wenige Bewegungen im Takt der Musik, martialisches Faustdrohen, oder fromme Gebetshaltung der Hände  bei Erwähnung Gottes weitgehend statisch war.

Erfahren durch lange Tätigkeit und deshalb vertraut wie kaum ein anderer mit den akustischen Tücken des Festspielhauses leitete Christian Thielemann  überlegen das musikalische Geschehen. Im Kino waren alle Feinheiten der Soli einzelner Instrumente gut zu hören, so etwa die Violinen gleich im  wunderbaren Vorspiel mit folgendem Einsatz der Holz– und dann  der Blechbläser oder etwa die Celli im Vorspiel zum zweiten Akt oder dort später die Baßklarinette und andere Holzbläser mit dem unterschwellig ertönenden Thema des Liebesverbots. Zu loben sind auch die aus verschiedenen Richtungen ertönenden Bläser beim Sonnenaufgang im dritten Akt – wahrscheinlich im Theater besser zu hören als im Kino.

Zum Schluß zauberte Lohengrin als Elsas Bruder Gottfried einen nunmehr ganz in Frosch – grün gekleideten gesichtslosen Mann auf die Bühne. Beim allgemeinen „Weh“ fielen dann alle um.

Das Publikum im nicht klimatisierten aber fast ausverkauften Schloßtheater (einem Kino unter Denkmalsschutz) hielt trotz dieses  Bayreuth-feeling bis zum grossen Schlußapplaus im Festspielhaus  durch, und applaudierte sichtlich ergriffen zaghaft sogar im Kino,  am meisten für Thielemann und Waltraud Meier.

Sigi Brockmann 26. Juli 2018

PS: Die Aufführung wird am Samstag, dem 23. Juli 2018 – also übermorgen – ab 20.15 auf 3-sat – Fernsehen gesendet.

 

 

 

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