Manni Laudenbach, Stephen Gould, Lise Davidsen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Bayreuth Festspielhaus – Münster historisches Kino Schloßtheater
Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg – Premiere am 25. Juli 2019 zeitversetzt
Wie seit einigen Jahren gewohnt wurde die gestrige Premiere der Romantischen Oper von Richard Wagner Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg live zeitversetzt, wie das heute heißt, in Kinos übertragen, so auch in das Kino Schloßtheater in Münster. Da dieses Kino unter Denkmalschutz steht, war der vollbesetzte Vorführraum nicht klimatisiert, am bisher heissesten Tag des Jahres kam somit richtiges Bayreuth-Gefühl auf, es wurde aber kostenlos gekühltes Wasser angeboten.
Die Vorführung paßte insofern besser als andere Opernaufführungen ins Kino, da die Regie von Tobias Kratzer maßgeblich durch Videos geprägt war. Besonders im ersten und zweiten, weniger im dritten Aufzug, wurden zu sämtlichen Vor- und Zwischenspielen, aber auch parallel zum Bühnengeschehen, Videos von Manuel Braun eingespielt.
Wie heute auch schon fast üblich wurden zusätzliche Personen in die Handlung eingeführt, hier der Drag-Künstler Le Gateau Chocolat (Schokoladenkuchen) und der aus dem Roman von Günter Grass bekannte Oskar mit der Blechtrommel und hier mit Wagner-Barett dargestellt von Manni Laudenbach – beide eigentlich ohne Einfluß auf die vom Komponisten festgelegte Handlung,
Zum Choralteil des Vorspiels fuhren diese mit Venus am Steuer – verführerisch kostümiert – und daneben Tannhäuser als Clown kostümiert auf den vorderen Sitzen eines alten Citroen-Busses mit einem Hasen nach Schlingensief auf dem Dach vorbei an der stillgelegten Biogasanlage von Baumgarten. (Bühne und Kostüme Rainer Sellmaier). Lachen im Publikum, auch im Kino, verriet, daß die Anspielungen verstanden wurden. Nach dem leitmotivisch in der ganzen Inszenierung verwendeten auf Plakaten gedruckten anarchischen Ausspruch Wagners frei im Wollen frei im Tun frei im Geniessen wurde geliebt und gekifft. Zum Mittelteil des Vorspiels wurden an einer Burger-King-Filiale Wartburger und Benzin geklaut – ein auf der Weiterfahrt im Wege stehender Polizist wurde umgefahren – passend zu den ff-Akkorden, wo Wagner wild vorschreibt. Zum Venusberg wurde vor einer kleinen Hütte mit Frau Holda unter dem Dach gepicknickt – das Naht euch dem Strande kam aus dem Kofferradio. Der Schluß des Duetts zwischen Venus und Tannhäuser wurde hinter der Windschutzschutzscheibe des Citroen gesungen, worauf Venus Tannhäuser aus dem Wagen schmiß, zusammen mit dem Klavierauszug der Oper, der ebenfalls in der Inszenierung leitmotivisch immer wieder auftauchte. Der junge Hirt fuhr mit dem Fahrrad vor – sein Lied an Frau Holda wunderschön legato und mit ausdrucksvoller Verzierung zum Schluß gesungen von Katharina Konradi.
Als Kinobesucher bedauerte man früher das Fehlen der Festspielhaus-Atmosphäre, hier wurde sie nachgeholt, der Pilgerchor bestand vor dem Festspielhaus pilgernden Festspielbesuchern – die Jagdgesellschaft waren dann Sicherheitsleute. Passend zum Ausruf Wolframs erschien bereits jetzt Elisabeth. Ihre frühere Bekanntschaft veranlaßte sie, Tannhäuser zu ohrfeigen. Die zwölf Hörner zum Schluß hörte man wie vorgeschrieben aus dem Bühnenhintergrund.
Der zweite Aufzug begann auf der Bühne wie etwa zu Zeiten Wolfgang Wagners, ein Saal und prächtige Kostüme mit einem Laufsteg für die Minnesänger. Konterkariert wurde das durch gleichzeitige Videos, die Sänger und auch den Inspizienten am Bühneneingang vor ihrem Auftritt zeigten.Ein Video während des Einzugs der Gäste zeigte dann wie Venus mit ihren beiden Begleitern ins Festspielhaus einstieg. Sie fesselte die Darstellerin eines Edelknaben und nahm beim Sängerwettstreit mit je nach Gesang wechselnden Gesten seinen Platz ein. Als Tannhäuser das Preislied auf Venus anstimmte, gab sie sich zu erkennen und es kam dramatisch sehr gekonnt zur Konfrontation der beiden ungleichen Geliebten Tannhäusers – eine sensationelle Idee! Hier mußte Venus bekanntlich weichen. Nachdem Oskar und die Drag-Queen die Halle betraten, forderte wiederum per Video sichtbar die Festspielchefin Polizei an und Tannhäuser wurde zu den nach Rom – Rufen in Handschellen abgeführt.
Manni Laudenbach, Lise Davidsen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Zu Beginn des dritten Aufzugs herrschte etwa analog zum dritten Aufzug Parsifal Endzeitstimmung. Vor dem total zerstörten Citroen kochte sich zum musikalische so wunderbaren Vorspiel Oskar ein Essen, von dem er Elisabeth abgab. Nach ihrem Gebet und vor dem Abendstern durfte Wolfram schnellen Sex mit Elisabeth haben, aber nur wie vorher Tannhäuser als Clown verkleidet. Bei der Rom-erzählung verbrannte Tannhäuser den Klavierauszug, vielleicht hatte den Papst vor allem seine Musik desVenusbergs entsetzt. Venus erschien dann als Fallschirmspringerin von einem Turm, der an den in der Inszenierung der Walküre von Castor erinnerte. Zum traurigen Schluß brachte sich Elisabeth selbst um. Tannhäuser bettete sie sterbend wie eine Pieta auf seinen Schoß.. Vielleicht wollte der Regisseur damit doch eine Art Erlösung andeuten – insgesamt eine schlüssige, wenn auch ungewohnte Inszenierung mit weiteren Einzelheiten, die im Kino gut sichtbar, aber hier nicht alle erwähnt werden können.
Gesungen wurde auf höchstem Niveau. Das galt vor allem für Stephen Gould in der Titelpartie. Vom sich mit den Anfangstönen chromatisch ansteigenden und sehr legato gesungenen Auftrittsleid über die mächtigen Erbarm dich mein – Rufe bis hin zur in jedem Ton kontrollierten ergreifenden Rom-Erzählung muß man seine Gestaltung der Partie bewundern. Gespannt war man auf die Elisabeth der zum ersten Mal in Bayreuth singenden Lise Davidsen. Zu Beginn der Hallenarie und auch später bei f-Stellen forcierte sie unnötig. Dafür überstrahlte sie zum Finale des zweiten Aufzugs mühelos Solisten, Chor und Orchester. Wunderbar p und legato geriet ihr Gebet – halbe Stimme schreibt Wagner vor. Die kurzfristig als Venus engesprungene Elena Zhidkova verfügte nicht nur passend über verführerische Figur und intensives Spiel, sie sang auch bis zu den Spitzentönen im ersten Aufzug ebenso verführerisch. Stephen Milling war ein würdiger Landgraf mit mächtigem sonoren Bass. Wie nicht anders zu erwarten sang Markus Eiche in perfektem Legato im zweiten Aufzug und beim Abendstern einen Mitgefühl erregenden Wolfram. Kantables Legato sang in seinem kurzen Lied auch Daniel Behle als Walther von der Vogelweide – demnächst Lohengrin in Dortmund.
Eines der Glanzlichter und dieser Oper vielfältig gefordert war wieder der Festspielchor einstudiert von Eberhard Friedrich. Ob a capella, vielstimmig oder choralhaft gewaltig – etwa im Finale des zweiten Aufzugs – alles gelang bewundernswert.
Dies muß besonders betont werden, da der zweite Neuling in Bayreuth, der Dirigent Valery Gergiev vielleicht keine so grosse Hilfe war. Er dirigierte manchmal etwas gedehnt, dann wieder überraschend rasch, es gab Wackler, aber man hatte insgesamt nicht den Eindruck, daß er Begeisterung verbreitete.
Das taten umso mehr die Solisten des Festspielorchesters, jedenfalls, wie man sie im Kino und dessen Akustik hören konnte. Leider lenkten die Videos z.B. etwas von der p-Bläser Einleitung des Vorspiels ab, Klarinette und Horn klangen melancholisch bei Einleitung der Arie des Hirten. Erfreulich war, daß die Solo-Harfenistin im zweiten Aufzug sichtbar auf der Bühne die Sänger begleitete. Ergreifend klangen die Bläser beim Gebet der Elisabeth oder etwa die Celli vor Wolframs darf ich dich nicht begleiten im dritten Aufzug.
Nach dem mächtigen Finale des Chors – aus dem off erklingend – setzte im Festspielhaus grosser Applaus, Bravos für Solisten und Chor ein. Buhs gab es für den Dirigenten, den das wenig zu stören schien – er war wohl geistig schon beim nächsten Dirigat anderswo auf der Welt. Buhs und gegensätzliche Bravos hörte man bei Auftritt des Leitungsteams mit dem Regisseur für diese wohlüberlegte, teils humorvolle und konsequente wenn auch ungewohnte Inszenierung.
Sigi Brockmann 26. Juli 2019