Bayreuth Festspielhaus – Münster Schloßtheater
Parsifal – Erlösung ohne Religion – Premiere am 25. Juli 2016 zeitversetzt
Klaus Florian Vogt. Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Richard Wagner wäre in seinem ohnehin gut entwickeltem Selbstbewußtsein bestärkt worden, wenn er erführe, wie vielen Opernfreunden die Eröffnungsvorstellung der diesjährigen Bayreuther Festspiele am 25. Juli 2016 dank moderner Medien zugänglich gemacht wurde. Dabei handelte es sich um sein „Bühnenweihfestspiel“ in drei Aufzügen „Parsifal“, das er ja für die besondere Akustik des Festspielhauses geschaffen hatte. Der Bayrische Rundfunk übertrug wie schon seit Jahrzehnten im Hörfunk die Premiere live, in diesem Jahr zusätzlich als Videostream. In den Vorjahren wurden spätere Vorstellungen live in ungefähr 100 Kinos übertragen, in diesem Jahr die Premiere , aber zeitversetzt, also nicht so richtig live! Am folgenden Samstag überträgt dann noch der Fernsehsender 3-Sat eine Aufzeichnung. Richtig live in der einmaligen Akustik war es natürlich nur für Besucher im Festspielhaus. Gewidmet – was auch immer das bedeutet – wurde die Aufführung den Opfern des Amok-Schützen von München und ihren Angehörigen. Aus demselben Grunde wurden der „rote Teppich“ vor und der nach der Eröffnungsvorstellung übliche Staatsempfang abgesagt, für Opernfreunde kein grosser Verlust, auch nicht für die Besucher in den Kinos, wohin ursprünglich der „Einzug der (prominenten) Gäste“ ebenfalls übertragen werden sollte.
Die Übertragung in Kinos ließ wie in den Vorjahren die Zuschauer dank Großaufnahmen sehr direkt am Bühnengeschehen teilhaben.
Das zeigte gleich zu Beginn die Bebilderung des Vorspiels, ohne Bebilderung gibt es ja heute fast kein Opernvorspiel mehr! In einem ziemlich baufälligen Tempel (Bühne Gisbert Jäkel), dessen Einrichtung von einem riesigen Taufbecken dominiert wurde, gewährten die Gralsritter in Zisterziensern nachempfunden Mönchskutten (Kostüme Jessica Karge) Flüchtlingen nächtliches Kirchenasyl, den ersten aufwachenden Flüchtling sah man zu Beginn der Kinoübertragung in Großaufnahme. Damit trotzten sie barmherzig wiederholten Auftritten von Militärs in Kampfanzügen. Dann brauchten die Gralsmönche den Tempel für sich, zeigten kein Mitleid mehr, wenn etwa kurz vor dem Erscheinen Parsifals ein flüchtender Junge fast erschossen wurde. Einzig Kundry, hier islamisch gekleidet, kümmerte sich um ihn, während die Mönche – wohl als Vegetarier – um den getöteten Schwan trauerten. Während der Verwandlungsmusik im I. Aufzug zeigte ein Video (Gérard Naziri) eine Reise – „zum Raum wird hier die Zeit?“ – vom Tempel über das Sonnensystem zu fernen Galaxien. Auf der Rückreise konnte man Google-Earth-mässig den Tempel in Mesopotamien lokalisieren. Gralsenthüllung und Kommunion der Mönche stellte Regisseur Uwe Eric Laufenberg als grausames Ritual dar: Dem an Dornenkrone und Wunden Jesu leidenden Amfortas wurde mit einem Messer die Wunde wieder geöffnet, das in das Taufbecken auslaufende Blut tranken die Mönche – kein christliches Mitleiden war zu sehen. Sehr beeindruckte dabei die schauspielerische Leistung des halbnackten wie gekreuzigt auftretenden Ryan McKinny als Amfortas Dabei begeisterte er vor allem auch musikalisch mit nobel geführter Stimme zwischen ohne Vibrato lang gehaltenen mächtigen „Erbarmen“ – Rufen und verhaltenem p bei Legato-Bögen bis hin zum tiefen c bei „heiliges Werk“
Im II. Aufzug wurde aus dem Tempel ein Haremsgebäude, in dem Klingsor ziemlich unlogisch Amfortas gefangenhielt. Tätig wurde letzterer, als er und Kundry Geschlechtsverkehr andeuteten, während Parsifal vor seinem geistigen Auge die Verführung von Amfortas durch Kundry besang unnötige Verdopplung! Parsifal trat zunächst im Kampfanzug auf, die Blumenmädchen orientalisch verschleiert. Während letztere ihre verführerischen Gesänge anstimmten, verliessen sie den vergitterten Harem, warfen ihre Schleier ab, zogen Parsifal die Uniform aus und versuchten ihn, jetzt als Bauchtänzerinnen durchaus angenehm anzusehen, in einer Badewanne zu verführen. Klingsors Reich ging etwas unspektakulär dadurch unter, dass seine im ersten Stock angelegte Sammlung von Kruzifixen einschließlich einem mit Phallus am unteren Ende als Holzstücke zu Boden fiel und Parsifal, nun wieder im Kampfanzug, den Speer zerbrach und zu einem Kreuz formte.
Im III. Aufzug hatte sich Gurnemanz in eine Ecke des von Pflanzen durchwucherten Tempels zurückgezogen. Kundry humpelnd und mit zitternden Händen zeigte ihre Hilfsbereitschaft, indem sie den alten Kühlschrank abstaubte und Gurnemanz in einen Rollstuhl setzte. Beim Karfreitagszauber tauchten dann wieder die Blumenmädchen, jetzt europäisch gekleidet, auf, einige duschten nackt im Regen – so kitschig ist die Musik nun wirklich nicht! Während der Verwandlungsmusik wurde wieder in einem Video Kundrys Gesicht versteinert – sie „verging in nichts“. Zum Schlußchor erschienen neben den Christen auch Juden und Muslime, alle warfen ihre ausgedienten Kultgegenstände in den Sarg mit Titurels Asche, der Tempel öffnete sich zu allen Seiten, alle, auch Parsifal. schritten in eine etwas neblige weisse Ferne, die Bühne blieb wie die Frage nach der „Erlösung dem Erlöser“ offen – Erlösung ohne Erlöser und ohne Religion?
Sängerisch blieben hingegen kaum Wünsche offen, im Kino jedenfalls waren alle zusätzlich auch textverständlich, es hätte mit Ausnahme Kundrys kaum der Untertitel bedurft.
Gegenüber anderen Tenorpartien Wagners ist der „Parsifal“ weder in Länge noch Tonumfang besonders schwierig, erst recht nicht für jemanden, der kürzlich den Paul in Korngolds „Toter Stadt“ gesungen hat. So konnte Klaus Florian Vogt in der Titelpartie glänzen, dramatisch im II. Aufzug und dann besonders passend mit seinem hellen Timbre für den III. Aufzug. Georg Zeppenfeld in der Riesenpartie des Gurnemanz sang mit salbungsvollem sonorem Bass so spannend, daß man die lange Erzählung im I. Aufzug – „in Erinnerung sich verlierend“ wie Wagner schreibt – gar nicht als überlang empfand. Im III. Aufzug konnte der sich dann noch würdevoll steigern. Hochdramatisch legte Elena Pankratova im II. Aufzug die Partie der Kundry an, der grosse Sprung bei „und lachte“ geriet treffsicher. Ihr Fluch zum Schluss ließ sie zur wütenden Furie werden. Gerd Grochowski war stimmlich eindimensional und so kaum ein passender Gegenspieler zu Amfortas, Karl-Heinz Lehner ein würdevoll orgelnder Titurel. Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen erfüllten ohne Ausnahme stimmlich das hohe Niveau einer Festspielaufführung
Besonderes Lob verdiente wie immer der Festspielchor in der Einstudierung von Eberhard Friedrich. Ob es sich um die die Madrigal-ähnlichen Solostellen im I. Aufzug oder die mächtigen Chöre der Abendmahlsszenen handelte, alles gelang wahrhaft festspielwürdig.
Festspielwürdig klang auch das Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Hartmut Haenchen. Im Interview vor der Aufführung hatte der anschaulich die Unterschiede zwischen musikalischer Leitung in einem „normalen“ Opernhaus und dem Festspielhaus Bayreuth dargestellt. Dafür, daß er als Einspringer dort nur verhältnissmässig wenig proben konnte, klappte die Übereinstimmung zwischen Orchester und Bühne durchweg prima. Er wählte zügiges aber nicht übereiltes Tempo – der I. Aufzug dauerte etwas mehr als 90 Minuten. Sehr schön transparent erklangen die instrumentalen Soli und raffinierten Klangmischungen, auch rhythmisch exakt. Sonor, weich und rund hörten sich die tiefen Bläserstimmen an.Deutlich wurde auch, wie fast dissonant klingende Akkorde kaum oder gar nicht aufgelöst wurden. Zum Ereignis betreffend Orchesterklang wurde so das Vorspiel zum III. Aufzug. Wohl dosiert mit langem Atem aufgebaut waren die Steigerungen zu den klanglichen Höhepunkten.
Soweit im Kino zu verfolgen feierte das Publikum im Festspielhaus begeistert die Sänger, vor allem Gurnemanz, den Chor, den Dirigenten und das auf die Bühne geholte. Orchester. Für das Regieteam glaubte man einige Buhs zu hören.
Es wird auf die Übertragung in 3-sat am Samstag-Abend verwiesen.
Sigi Brockmann 26. Juli 2016