Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BAYREUTH/Festspielhaus: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 19.8. – Die Doppelfuge sprengt den Rahmen

20.08.2025 | Oper international

 „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen

Die Doppelfuge srengt den Rahmen

„Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner am 19.8.2025 bei den Bayreuther Festspielen / BAYREUTH

Bühnenbild und Szene bei der Aufführung Meistersinger von Nürnberg
Foto:Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

Interessant ist, wie diese Inszenierung von Matthias Davids das Wesen des Menschen hinterfragt. Er fasst dieses Werk als kolossales Musiktheater auf. Und natürlich kommen die Wagnerschen Selbstporträts bei dieser „Komödie“ im zuweilen sogar rustikalen Bühnenbild von Andrew D. Edwards und den bunten Kostümen von Susanne Hubrich nicht zu kurz. Und obwohl nicht jede Szene gleich gut gelungen ist, fesselt das Gesamtkonzept die Zuschauer durchaus. Der Konflikt zwischen dem abgeklärten Meister Hans Sachs und dem emotionalen „Zukunftsmusiker“ Walther von Stolzing spitzt sich stellenweise recht geschickt zu. Dazwischen steht dann manchmal ganz unbeholfen der unglückliche Stadtschreiber Sixtus Beckmesser. Und man begreift, warum weder Sachs noch Beckmesser die schöne Eva bekommen, die zuletzt in einem unübersehbaren Blumenmeer thront. Zunächst sieht man im ersten Akt einen riesigen Treppenaufgang, an dessen Spitze eine kleine Kirche thront, die später kurzerhand explodiert. Und Eva fügt sich dem Willen ihres despotischen Vaters und stellt sich tatsächlich als „Preiskuh“ aus.

Die seelischen Wutausbrüche des Hans Sachs kommen am Schluss drastisch zur Wirkung, wenn er Walther von Stolzing zusammenstaucht: „Ehrt eure deutschen Meister!“ Bei seiner Schlussansprache wirkt das „Habt acht!“ keineswegs aufgesetzt oder gar übertrieben. Wie Richard Wagner das Auditorium zum Bühnenbild hin abdunkelte, kommt bei der Aufführung zuweilen recht überzeugend zur Wirkung. Im ersten Aufzug befindet man sich bei dieser Inszenierung sehr deutlich vor einer Kirche. Das Dreieck symbolisiert hier klar das „Gottes-Logo“. Eva, Walther und vielleicht Beckmesser oder Sachs zeigen die seltsame Dreiecksbeziehung. Und die hervorstechende Farbe ist Lila, die mit Luxus und Spiritualität in Verbindung gebracht wird. Dann beherrscht das Quadrat den zweiten Aufzug. Die strengen Regeln der Gesellschaft führen zu einem Verlust von Mitgefühl, Inspiration und Liebe. Das zeigt das Bühnenbild in elektrisierender Weise, denn plötzlich fliegt das hochgebaute Haus auseinander – und die Prügel-Doppelfuge (mit der geheimen Reminiszenz an Siegfrieds „Kraft-Motiv“) gerät hier wirklich zu einem atemberaubenden Tohuwabohu! Das Quadrat steht aber auch für den „Spießer“, das erklärte Feindbild Walthers.

Die runde Handwerkerstube des dritten Aktes ist nicht ganz so überzeugend. Der Kreis und die runde Form scheinen die Protagonisten zu behüten und zu beschützen. Die riesige Plastik-„Preiskuh“ hängt dann zuletzt wie ein großes Rätsel und Menetekel von der Bühne herab. Und die Szene wird von Musical-Elementen beherrscht. Man hat dabei den Eindruck, dass die Kostüme von der mittelalterlichen Zunft bis zum modernsten Outfit misamt roter Zipfelmütze reichen. Das ist ein virtuoses Spiel mit der Zeit. Gelegentlich scheint die Szenerie aus dem Ruder zu laufen. Musikalisch ist diese Aufführung in jedem Fall hochkarätig und festspielwürdig. Anstelle von Daniele Gatti hat diesmal Axel Kober dirigiert, der zuletzt Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein war. Er hat einen genauen Blick für die thematischen Zusammenhänge und Motive, was auch den Sängerinnen und Sängern zugute kommt. Die frische und marschmäßige Rhythmik und der Zauber des diatonischen Klangcharakters behaupten sich dabei in eindringlicher Weise. Lied und Choral werden als durchaus volksnahe Elemente dargeboten. Und die schwärmerische Gefühlswelt Evas und Walthers erhält in leidenschaftlich anschwellenden Nonenakkorden plastischen Ausdruck. Im Orchestervorspiel des ersten Aktes betont Kober die an Bach geschulte kontrapunktische Ausdrucksweise nie aufdringlich. Die plastische Klarheit der Themen und die kunstvolle Polyphonie des Stimmgewebes treten leuchtkräftig hervor. Lebensfreude sowie kraftvoller Gefühlsüberschwang kennzeichnen außerdem die gesanglichen Leistungen von Michael Volle als glanzvollem Hans Sachs, Michael Spyres als Walther von Stolzing, Michael Nagy als Sixtus Beckmesser sowie Ya-Chung Huang als David. Das lebhaft vorwärtsdrängende Synkopenmotiv des Vorspiels bleibt ebenso deutlich im Gedächtnis wie die blühende Liebesmelodie von Walthers Preislied. Christina Nilsson als Eva kann vor allem ihrem überströmenden Dank an Hans Sachs eine geradezu überwältigende Emphase verleihen. Diese Emphase überträgt sich auch auf die anderen Sänger Jongmin Park als Veit Pogner, Martin Koch als Kunz Vogelgesang, Werner Van Mechelen als Konrad Nachtigal, Jordan Shanahan als Fritz Kothner, Daniel Jenz als Balthasar Zorn, Matthew Newlin als Ulrich Eisslinger, Gideon Poppe als Augustin Moser, Alexander Grassauer als Hermann Ortel, Tijl Faveyts als Hans Schwarz sowie Patrick Zielke als Hans Foltz. Auch Christa Mayer kann ihrer Rolle als Magdalene ein sehr gutes Profil geben. Hinzu kommen der sonore Nachtwächter von Tobias Kehrer sowie die markanten Lehrbuben Maaike Huppertz, Reba Bernhardt, Lisbeth Rasmussen Juel, Helena Gedda, Seona Kim, Hebe Hamilton, Nadia Steinhardt, Jessica Ouston, Thomas de Bruijn, Paul Skalicki, Tadeusz Slowiak, Chool Seomun, Philipp Fischer, Johannes Lehner, Ruben Olivares und Churchill Qiu. Der von Thomas Eitler de Lint einstudierte Bayreuther Festspielchor leistet an diesem Abend vor allem bei der Schluss-Szene Großartiges. Sehr heftig weist Walther von Stolzing hier die Meister-Ehre zurück, was bei Hans Sachs zu einem wirklich erheblichen emotionalen Aufruhr führt. Auch das Wahn-Motiv des Hans Sachs gewinnt bei Michael Volle ein geradezu überdimensionales Format, das aber nie aufgesetzt wirkt. Und auch das Unmut-Motiv des Schusterchors zeigt hier große Präsenz. Christina Nilsson als Eva gewinnt außerdem dem Abwärtssprung in die verminderte Quint bei ihrem Gesang im Quintett eine erstaunliche Präsenz ab. Das Traumlied zeigt bei Michael Volle als Hans Sachs eine bemerkenswerte Poesie. Poetisch ist hier zudem die nach As-Dur wandernde Antwort des Hans Sachs an Eva, die in ein bewegendes Motiv der Zuneigung mündet. Nach dem festlichen Zwischensatz mit dem Festtags-, Ritter- und Liebesmüh-Motiv jagen die peinlichen Erinnerungen an dem Stadtschreiber Beckmesser in atemloser Rasanz vorüber! Die dem Lautengeklimper nachgeahmten Arpeggien wirken hier tatsächlich wie eine äusserst sarkastische Parodie. Und die Gestaltung des Merker-Motivs wirkt dabei besonders spöttisch. Der geniale Kontrapunktiker Richard Wagner feiert bei Axel Kober einmal mehr Triumphe. Dies gilt nicht nur für das vorwärtstreibende Thema des Spottchors im dritten Akt, sondern natürlich auch für das majestätische C-Dur, das zu einer gewaltigen Steigerung führt, die vom Fanfarenmotiv eingeleitet wird. Riesenjubel, Ovationen, donnender Schlussapplaus, viele „Bravo“-Rufe!

 

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken