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BAYREUTH/ Festspieleröffnung: PARSIFAL. Premiere

26.07.2023 | Oper international

BAYREUTH/ Festspieleröffnung: PARSIFAL. Premiere

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Die Blumenmädchen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Das Riesendonnerwetter eine halbe Stunde vor Beginn liess Schlimmes befürchten, und prompt fiel auch der traditionelle Blechbläserempfang der Prominenz ins Wasser. Pünktlich zum Start war draußen aber wieder alles trocken,dafür wurde dann systematisch drei Akte lang die Bühne unter Wasser gesetzt: im ersten Aufzug zunächst in graublau, um Amfortas ausgiebig bei Bad und Verbandwechsel zuschauen zu können, was einem den längst notwendigen Auffrischungskurs in erster Hilfe erspart und zudem die Gurnemanzschen Monologe ausgesprochen kurzweilig gestaltete. Damit wir nix verpassen, wurde alles per Livevideo auf den grossen Rundhorizont übertragen, wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn Georg Zeppenfeld, die Zuverlässigkeit in Person, war wieder einmal in bestechender Form. Die grosse Neuigkeit war da brigens schon vorbei, denn Gurnemanz hat,  wie während des Vorspiels in grosser Deutlichkeit zu bewundern, zur Überraschung aller eine Freundin. Ansonsten noch ein grosser Metallturm ungeklärter Provenienz auf der Bühne, der hin und wieder Leuchtturm spielte und den reichlich verwendeten Bühnennebel zur Kenntnis brachte. Kundry, das wilde Weib, bekam einen ebensolchen Auftritt, und es begann der Abend der Elina Garanca, der in einem Triumph für sie enden sollte. Technisch in allen Lagen besser denn je, ohne das bei anderen Kundrys üblich gewordene Gekreische in der Höhe (insbesondere am Ende des 2. Aufzugs), wurde sie auch durch ihre Persönlichkeit zum Kraftzentrum des Abends – seit der frühen Waltraud Meier hat die Bühne des Festspielhauses in dieser Rolle wohl keine solche Intensität mehr erlebt. Zudem legte sie im Liebesduett einen Auftritt im langen schwarzen Negligee hin, der sogar Netrebkos legendärer Wiener Manon Konkurrenz machte.

Demgegenüber fiel Andreas Schager physisch etwas ab, auch weil des öfteren wenig heldenhaft in allzuviel Armgefuchtel verfiel, aber was für eine sängerische Leistung! Dass er laut singen kann, und das problemlos über viele Stunden, das wissen wir. Aber wer hat ihm plötzlich diese leisen Töne beigebracht, mit denen er ein ums andere Mal überraschte, nur um an den entscheidenden Stellen wieder loszulegen, dass es eine Pracht war. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Gralsburg entpuppte sich als überdimensionalen Dornenkranz aus Neonlampen und der Gral als blauer Zuckerkristall – egal, die fantastischen Chöre machten alles wett, und der leicht slapstickartige Auftritt von Tobias Kehrer als versandelter Titurel, der nach erfolgter Gralszeremonie wieder fit wie ein Turnschuh war, bot ein weiteres szenischens wie stimmliches Highlight.

Dagegen fiel Jordan Shanahan als Klingsor als einziger leicht ab – lag vielleicht an den rosa Stöckelschuhen und dem ebenso gefärbten Stierhelm, der ihn eher wie Falstaff unter der Eiche aussehen liess.

Rosa auch die Lieblingsfarbe der büromässig ausstaffierten Blumenmädchen, bevor sie anfingen, etwas Haut zu zeigen, was auf Parsifal aber keinen grossen Eindruck machte, denn er hatte ein anderes Problem: Sein Auftritt fand an einer senkrechten Wand statt, entlang der er von oben nach unten bergsteigermässig abgeseilt wurde, während er sich mit dem Helden Ferris und Konsorten jede Menge Spiegelfechtereien lieferte -vermutlich einer der Höhepunkte für die vielzitierten 330 VR-Brillen, die im restlichen Publikum aber nicht vermisst wurden. Das Liebesduett fand im wesentlichen in und um einen roten See statt – man sieht, mit  schrillen Farben wurde nicht gegeizt. Parsifal und Kundry landen schliesslich auf einer hässlichen Matratze, kein Wunder, dass es ihn da nicht lange hält. Schnell noch Klingsor erledigt, der offenbar nicht viel von geraden Speeren hält, aber leider feststellen muss, dass man verbogene nicht wirklich gut schleudern kann, sodass er nach kurzem Gerange und einer eindrucksvollen Stunteinlage selber auf besagter Matratze landet – so geht Recycling a la Bayreuth.

Im 3. Aufzug finden sich dann alle in einer Trümmerlandschaft wieder, die sich um einen diesmal grünen und kreisrunden See gruppiert. Kundry träumt während des Vorspiels ziemlich schlecht, wie man jetzt wieder auf dem Rundhorizont verfolgen kann – kein Wunder, dass sie stöhnt, während Gurnemanz sich erst einmal aus einer blauen Sprudelflasche stärkt, bevor er Wiederbelebungsmassnahmen einleitet. Parsifal erscheint als Bienenzüchter verkleidet und findet für Kundrys Taufe und Karfreitagszauber berückende Töne. Dann fängt es in den Tiefen des Sees zu blinken an – richtig, es ist Zeit für den Neonlampenkronleuchter, der erst noch eine Zeitlang abtropfen muss, nachdem er sich aus dem Wasser erhoben hat. Das motivierte andererseits den Chor der Gralsritter zu einer Energieleistung der Extraklasse – an Intensität war die Beschwörung von Amfortas schlicht nicht mehr zu übertreffen. Derek Walton revanchierte sich mit ausgesprochen heldischen Tönen, bevor Andreas Schager samt Knickspeer am Bühnenhintergrund erschien und alles in Grund und Boden sang. Zu den überirdischen Schlussklängen finden sich Kundry und Parsifal, der vorher noch den Gralskristall zerdeppert hat, und auch die Freundin von Gurnemanz taucht wieder auf, Happy End also allerorten.

Phänomenal die Orchesterleistung unter der Stabführung von Pablo Heras-Casado, der zwar relativ flott unterwegs war, dabei aber Linien zu Gehör brachte, die auch dem einigermaßssen kundigen Ohr so noch nie aufgefallen waren. Dafür holte er sich mit Recht donnernden Applaus ab, ebenso wie die übrigen Mitwirkenden, allen voran Elina Garanca. Nur als der Regisseur Jai Scheib und sein Team auftauchte, war die rundherum positive Stimmung im Publikum kurzzeitig bedroht. Als Fazit bleibt eine musikalisch ausgezeichnete Aufführung mit einem 3. Aufzug wie von einem anderen Stern – an die Inszenierung wird man sich gewöhnen können.

 Peter Reichl

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Schlussapplaus. Foto: Marena Balinova

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Schlussapplaus. Foto: Marena Balinova

 

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