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BAYREUTH/ Festspiele: PARSIFAL

08.08.2016 | Oper

Bayreuth PARSIFAL – 6.8. 2016


Elena Pankratova. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Regisseur Uwe Eric Laufenberg inszenierte seinen  Parsifal nahe am Zeitgeist. Er bebilderte das Vorspiel, wie mittlerweile von vielen Regisseuren gepflogen, und setzt ins Zentrum seiner Inszenierung eine baufällige Kirche, die ich – auf Grund einer späteren Videoeinspielung (Gérard Naziri) – nach Armenien, jenem Land mit der ältesten christlichen Staatsreligion, verorten würde (Bühne: Gisbert Jäkel). Kriegsflüchtlinge haben hier nächtliches Kirchenasyl erhalten (wohl eine Anspielung auf den Genozid der Armenier durch das Osmanische Reich vornehmlich zwischen 1915 und 1916) und räumen nun langsam ihre Betten weg, denn die Gralsritter, in Zisterzienserkutten gekleidet (Kostüme: Jessica Karge), benötigen nun den Tempel für sich. Militär in Kampfanzügen durchsucht den Tempel nach verdächtigen Gegenständen. Ein in das Tempelinnere geflüchteter Knabe wird beinahe erschossen und mitleidig beugt sich die mit einem völlig schwarzen islamischen Gilbâb (ein weites durchgehendes Kleidungsstück, das den Körper der Frau von den Schultern bis zu den Knöcheln bedeckt) samt Himâr (eine Kopfbedeckung, die auch den Nacken und Busen, nicht aber das Gesicht, verhüllt) gekleidete Kundry, die gerade von Arabien zurückkehrte, wohin sie aufgebrochen war, um Amfortas heilenden Balsam mitzubringen. Während der Verwandlungsmusik im 1. Aufzug wird „der Raum zur Zeit“, indem eine nicht näher bezeichnete armenische Kirche zum Ausgangspunkt einer Reise ins Weltall zu fernen Galaxien und dann wieder zurückführt. 

Die Gralsenthüllung wird bei Regisseur Laufenberg als ein urchristliches Blutritual zelebriert, an welchem Hermann Nitsch sicherlich seine Freude gehabt hätte. Denn das Neue Testament knüpft ja bekanntlich an den Blutkult der Antike an und tradiert den Aspekt der Sünde und der Vereinigung durch das Blut in die christliche Symbolik. Christi Sühnetod aber wird zum Selbstopfer, welches Amfortas nachzuahmen bereit ist. Er trägt nun die Dornenkrone und aus seinen Augenhöhlen und den Stigmata seiner Hände fließt Blut. Die Mönche helfen noch nach, indem sie seine Armvenen ebenfalls mit einem Messer ritzen. Das Blut fließt in das Taufbecken und wird von den Gralsrittern getrunken. Das Ritual des Abendmahls erscheint in dieser Deutung als erschreckende Perversion der urchristlichen Konzeption und dürfte auch von Katharina Wagners Blutritual im Tristan sowie von der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov an der Berliner Staatsoper inspiriert worden sein. Hier in Bayreuth fand ich die schauspielerische Gestaltung von Ryan McKinny als Amfortas in Gestalt des nur spärlich bekleideten, gekreuzigten Schmerzensmannes besonders beeindruckend. Ebenso imposant war dabei aber auch seine lang angehaltenen „Erbarmen“-Rufe. Im zweiten Aufzug wurde aus dem Tempel ein Harem, in welchem Amfortas von Klingsor an den Händen gefesselt gefangen gehalten wird. Parsifal tritt dann in Kampfanzug auf und wird von den orientalisch verschleierten Haremsblumenmädchen zu einer riesigen Badewanne geführt. Dort entledigen auch sie sich aller Schleier und versuchen nun als Bikinimädchen, Parsifal den Toren zu verführen. Die Szene der Verführung Amfortas durch Kundry, die Parsifal vor seinem geistigen Auge heraufbeschwört, wird nun durch Amfortas auch real angedeutet. Und leider ging dann das Zauberreich Klingsors nur wenig spektakulär unter. Seine Sammlung von Kruzifixen fällt von der oberen Etage auf den Boden des Harems und Parsifal zerbricht seinen Speer und formt ihm zum Kreuz, das alles Böse in den Bann schlagen soll. Im dritten Akt ist der Tempel bereits von Pflanzen überwuchert. Kundry ist bereits eine alte Frau mit Kopftuch und hilft Gurnemanz humpelnd in einen Rollstuhl. Der Karfreitagszauber gerät dann so richtig kitschig, die leicht bekleideten Blumenmädchen duschen sich teilweise nackt und nehmen Kundry in ihre Mitte. Hier hätte ich mir eigentlich „als Wunder“ erwartet, dass die weißen Haare von Kundry nunmehr wieder schwarz und sie selber optisch verjüngt würde. Aber so verpufft die Szene ohne besondere Wirkung! Während der neuerlichen Verwandlungsmusik sieht man Kundrys Gesicht, welches allmählich versteinert. Christen, Juden und Muslime nahmen dann am Schlusschor teil und warfen ihre ausgedienten Kultgegenstände (Gebetsteppiche, Menora und Kreuze) in den Sarg mit der Asche des toten Titurel. Der Tempel öffnet sich hierauf und das gesamte Bühnenpersonal schreitet in eine nebelige Ferne während es im Zuschauerraum immer heller wird und alle Lampen (bis auf eine ausgebrannte auf der linken Seite) aufleuchteten. Die Botschaft ist so klar wir plakativ und wie schon von Christine Mielitz an der Wiener Staatsoper zelebriert. Wir alle, die gesamte Menschheit, wir sind der Gral!

In der dritten Vorstellung dieser Neuinszenierung am Grünen Hügel trat erstmals der österreichische Heldentenor Andreas Schager in der Titelrolle als Einspringer für Klaus Florian Vogt auf. Stimmlich hätte er sich etwas zurücknehmen können, denn die Akkustik des Hauses erfordert es nicht, derart zu brüllen. Zudem läuft er dann Gefahr, dass er seine vorzügliche Stimme vorzeitig verbraucht. Darstellerisch blieb kein Wunsch  offen. Der Sänger führte den Wandel vom naiven Toren zum strahlenden Gralsritter eindrucksvoll vor. Georg Zeppenfeld sang die Riesenpartie des Gurnemanz mit seinem wortdeutlichen sonoren Bass zur vollsten Zufriedenheit. Unergründlich bleibt jedoch, dass er über seiner Kutte noch eine überflüssige Strickjacke, eine biedermeierliche Mütze im Stile von Carl Spitzweg und starke Brillengläser tragen musste.  Elena Pankratova hatte zwar einige starke darstellerische Momente, ihre Stimme klang jedoch in der Höhe angestrengt. Durch Mark und Bein aber erscholl ihr hysterischer Ausruf im zweiten Akt „… und lachte“. Gerd Grochowski als Klingsor wirkte für mich viel zu wenig dämonisch. Karl-Heinz Lehner sang einen würdevollen Greis Titurel, der sich an der Blutdroge seines Sohnes erlabte. Die beiden Gralsritter waren in den Kehlen von Tansel Akzeybek und Timo Riihonen gut aufgehoben, ebenso die vier Knappen von Alexandra Steiner, Mareike Morr, die auch noch als drittes und viertes Zaubermädchen zum Einsatz gelangten, sowie Charles Kim und Stefan Heibach. Illuster anzusehen und vorzüglich, verführerisch sangen und spielten auch die übrigen vier Zaubermädchen Klingsors: Anna Simińska, Katharina Persicke, Bele Kumberger und Ingeborg Gillebo. Wiebke Lehmkuhl steuerte noch ihr überirdische Altstimme bei.

Dirigent Hartmut Haenchen war kurzfristig für Andris Nelsons eingesprungen und bewies trotz kurzer Proben, dass er den Parsifal gut im Griff hatte. Zu Gute kam ihm freilich, dass er bereits bei Pierre Boulez Parsifal in Bayreuth 1970 hospitiert hatte und mittlerweile zu einem Wagner erfahrenen Dirigenten herangewachsen war. Das bemerkte man bereits bei den ersten Takten des Vorspiels, welches er feinfühlig und sehr plastisch gestaltete und das Publikum so mit sich auf eine geheimnisvolle Reise in die geistige Welt jener elitär lebenden Gralsritter entführte. Die instrumentalen Soli arbeitete er sehr transparent heraus, besonders gefielen da die tiefen Bläser. Dynamische und mehr getragene Tempi mit langen Fermaten erzeugten so ein in mancher Hinsicht doch ungewohntes Klangbild. Zu erwähnen ist aber auch der von Eberhard Friedrich gut einstudierte Festspielchor. Das Publikum war von der musikalischen Seite dieses Abends restlos überzeugt und schenkte allen Mitwirkenden gleichmäßig verteilten Beifall.                                  

Harald Lacina

 

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