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BAYREUTH/ Festspiele: PARSIFAL

Ringen um religiöse Inhalte

16.08.2019 | Oper


Ryan McKinny (Amfortas) und Elena Pankratova (Kundry). Foto: Bayreuther Festsspiele/ Enrico Nawrath

„Parsifal“ von Richard Wagner am 15.8.2019 im Festspielhaus/BAYREUTH

RINGEN UM RELIGIÖSE INHALTE

Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg besticht aufgrund ihrer bildkräftigen Direktheit. Religiöse Inhalte werden so ganz bewusst hinterfragt. Die Gralsritter sind im ersten Aufzug noch eine funktionierende Gemeinschaft. Das Bühnenbild von Gisbert Jäkel präsentiert hier einen Ort, wo das Christentum bedroht ist. Man sieht einen zuletzt grell erleuchteten, riesigen Kelch, der das Bühnenbild beherrscht. Die Kostüme von Jessica Karge zeigen die Figuren als heutige Menschen. Der Nahe Osten und das nördliche Afrika werden sichtbar. Es gibt eine Beziehung zur Gemeinschaft der Trappistenmönche. Auch der kunstreligiöse Ansatz wird betont, er wird dann im dritten Aufzug in gewaltiger Weise ausgebreitet. Hier bietet die pflanzliche Welt und das Paradies eine optische Vielfalt. Es gibt hier allerdings auch schwächere Szenen – etwa dann, wenn Kundry fast krampfhaft einen Kühlschrank reinigt. Im ersten Aufzug erreicht die Verwandlungsszene aufgrund einer monumentalen Reise durchs Weltall eine bemerkenswerte Deutlichkeit (Video: Gerard Naziri). Die Dimensionen scheinen sich in riesiger Weise auszudehnen. Laufenberg arbeitet hier auch heraus, dass Wagner die Menschheit als erlösungsbedürftig ansieht. Das Bühnenbild erweitert sich zuletzt zu einem enormen Theatergehäuse, das das Publikum voll miteinbezieht. In einer unheimlichen Reise durch die Luft sieht man unter anderem das Gesicht von Winifred Wagner und die Totenmaske Richard Wagners, die sich auflösen.

Trotz mancher szenischer Brüche bestechen diese Bilder durchaus aufgrund ihres visuellen Einfallreichtums. Das Festspielhaus selbst wird in dieser Inszenierung zuletzt als problematischer Ort gesehen. Allerdings öffnet sich das Gebäude und macht lichtdurchfluteten Weiten Platz. Die Menge blickt ratlos und ergriffen zugleich in den Hintergrund. Parsifal ist als reiner Erlöser aber immer gegenwärtig. Manches erinnert sogar an die „Götterdämmerung“. Die Rituale selbst spielen in der Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs ebenso eine facettenreiche Rolle. Das liturgische Hochamt scheint variiert zu werden. Die sinnliche Darstellung dieses Rituals steht bei ihm im Vordergrund. Die Christusfigur wird in Tücher gehüllt, an Amfortas wird eine recht blutige Zeremonie vollzogen. Er wird dabei als jemand gezeigt, der wie Jesus in einen Opfergang gedrängt werden soll. Eine enorme Dichte erreicht dann der zweite Aufzug mit der zentralen Auseinandersetzung zwischen Parsifal und Kundry. In der oberen Etage agiert die groteske Eunuchenfigur von Klingsor, der sich vor einem Raum mit imginären Kruzifixen postiert hat, die durch Parsifals Bann zuletzt explosionsartig herabfallen. Man spürt, dass hier nicht nur der Zauberpalast einstürzt.  Das Publikum reagiert dabei mit großer Begeisterung. Dies liegt vor allem an den beiden fesselnden Darstellern Andreas Schager als Parsifal und Elena Pankratova als Kundry, die sich gegenseitig gut ergänzen. Aber auch der stimmgewaltige Klingsor von Derek Welton zeigt durchaus dämonische Größe. Elena Pankratova geht ganz in ihrer Rolle auf, sie spürt der psychologischen Tiefenwirkung dieser Figur in reizvoller Weise nach. Vor allem überzeugt ihre Darstellung aufgrund des packend herausgearbeiteten Leidensdrucks, unter dem Kundry immer steht. Ihr Sopran ist zu zahlreichen klangfarblichen Schattierungen fähig, was sich beim Absturz vom hohen H auf das tiefe Cis in eindrucksvoller Weise zeigt: „Ich sah – Ihn – und – lachte…“ Andreas Schager kann Parsifals heftige Selbstanklagen mit übergroßer Deutlichkeit betonen.


Andreas Schager, Elena Pankratova und Günther Groissböck (Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Semyon Bychkov arbeitet als Dirigent mit dem klangschön musizierenden Bayreuther Festspielorchester die Einfachheit und Klarheit der Wagnerschen Partitur deutlich heraus. Bei ihm fehlen glücklicherweise aber auch leidenschaftliche Ausbrüche nicht. Die Diatonik der Gralswelt wird nie verleugnet. Und die Gralsmelodie in As-, Ces-Dur und d-Moll breitet sich in sphärenhafter Weite aus. Klingsor dagegen triumphiert mit imponierender Chromatik. Die harmonische Durchsichtigkeit des Karfreitagszaubers hätte bei der einen oder anderen Passage zwar noch präziser herausgearbeitet werden können. Doch gerade die wilden Amfortasklagen erreichen aufgrund der intensiven Darstellung von Ryan McKinny eine fesselnde Leuchtkraft. Als Gurnemanz, der umfangreichsten Rolle,  gefällt Günther Groissböck mit sonoren Bassklängen, deren Intensität ständig zunimmt. Der Bassist beging an diesem Abend seinen 50. Auftritt bei den Bayreuther Festspielen!

In weiteren Rollen fesseln neben Wilhelm Schwinghammer als Titurel Martin Homrich als erster Gralsritter, Timo Riihonen als zweiter Gralsritter sowie Alexandra Steiner, Mareike Morr, Paul Kaufmann und Stefan Heibach als erster, zweiter, dritter und vierter Knappe. Klingsors Zaubermädchen beweisen in der subtilen Darstellung von Katharina Konradi, Ji Yoon, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Marie Henriette Reinhold nicht nur aufgrund der einfallsreichen Kostüme von Jessica Karge erhebliche erotische Verführungskraft. Auch das Motiv des Leidens erreicht bei Semyon Bychkov einen starken Ausdruck in den Bass-Akkorden, die auf den Tönen Ges-F-E verweilen. Das Klingsor-Motiv mit seinen unheimlich zuckenden Rhythmen könnte hier noch zielgerichteter sein. Dem verkürzten Motiv der Verdammnis trotzt Semyon Bychkov mit dem Bayreuther Festspielorchester dagegen drastische Präzision ab. Dass Wagners Charakteristik hier nicht weniger grell als etwa in der „Götterdämmerung“ ist, spürt man bei dieser Wiedergabe genau. Das Unruhe-Motiv wird beim Erscheinen der Blumenmädchen bei dieser Aufführung facettenreich herausgearbeitet, was sich ebenso beim Sorge-Motiv zeigt. Ergreifende Deutlichkeit beherrscht das Motiv des Mitleids, wobei während des Kusses langsam das Motiv der Verdammnis aufsteigt. Parsifals Sinneswandlung erreicht bei dieser Aufführung gerade im zweiten Akt eine logische Konsequenz. Ausgesprochen poetisch interpretiert Semyon Bychkov mit dem Festspielorchester den Bericht des greisen Gurnemanz an den zurückkehrenden Parsifal im dritten Aufzug. Und der gewaltige Trauermarsch der Dekorationswandlung erreicht dann schauerliche Größe, wobei seine klangliche Intensität auch noch eindringlicher sein könnte. Die Totenklage mit der Bassstimme im gleichen Rhythmus besitzt erschütternde Kraft. Packend agiert der von Eberhard Friedrich einstuderte Festspielchor vor allem bei den Amfortas-Szenen.

Es gab Ovationen für die Sänger und den Dirigenten, keine „Buh“-Rufe. Es ist eine hintersinnige Inszenierung, die trotz einiger Abstriche Bestand hat. 

Alexander Walther              

 

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