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BAYREUTH/ Festspiele: GÖTTERDÄMMERUNG – miterlebt via 3SAT

07.08.2022 | Oper international

BAYREUTH: Richard Wagners „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen – TV-Premiere  (miterlebt via 3Sat)

Grane als gebrechlicher Greis

Auch der letzte Teil dieser „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz bringt keine Klarheit in die Wirren dieses Netflix-Familiendramas. Die steinreichen Protagonisten agieren in einer Villa, deren Innenleben sich ständig wandelt. Wenigstens gibt es bei dieser Inszenierung trotz aller szenischen Schwächen eine Personenführung und nicht nur Rampensteherei, was in vielen Inszenierungen auch oft vorkommt (Bühne: Andrea Cozzi; Kostüm: Andy Besuch; Video: Luis August Krawen). Die Collage aus Mythen und Stoffen zerfällt hier allerdings in Einzelteile, die oft Zusammenhänge vermissen lassen. Grane ist dabei kein Pferd, sondern ein alter Greis, über dessen Kopf Siegfried den Zaubertrank ausgießt. Das vergoldete Pferd selbst liegt eingepackt auf dem Marmorboden.

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Die Nornen. Auf dem Foto sind Stephanie Müther und Kelly God zu sehen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele. 

Recht schlüssig ist zu Beginn die Nornenszene, wo die drei geheimnisvollen Damen als Mumien erscheinen. Wieder sieht man ein junges Mädchen, das Brünnhildes und Siegfrieds Tochter sein könnte. Die Nornen versetzen das Kind zuweilen in Angst und Schrecken. Valentin Schwarz erzählt hier fast alles in Bilderrätseln. Wenn Gunther und Siegfried Blutsbrüderschaft trinken, tun sie das in Bechern. Der Greis Grane wird plötzlich blutüberströmt hereingetragen. Der Regisseur treibt bei dieser Inszenierung mit dem Entsetzen seine Scherze, manchmal herrscht der blanke Horror. Und bei der ersten Begegnung Brünnhildes und Siegfrieds scheint dieses Paar einen unbewussten seelischen Kampf zu führen, dessen psychologischen Sinn der Regisseur aber auch noch sensibler ergründen könnte. Mehr Präsenz besitzt dann die Begegnung von Waltraute und Brünnhilde, wobei die Gewitterstimmung nur angedeutet wird. Waltraute ist hier in erster Linie eine Wahrsagerin, die ihre Schwester vergeblich warnt. Überhaupt fällt auf, dass Schwarz den mystischen Hintersinn der Tetralogie gerade in der „Götterdämmerung“ wieder mehr in den Blick nehmen möchte. Dies spürt man dann im zweiten Akt, wo sich Hagen in kahlen Räumlichkeiten zunächst als wilder Boxer betätigt und schließlich seinen Vater Alberich angreift, der schwer bewaffnet zu sein scheint. Zuletzt möchte Hagen ihn erschlagen, zögert dann jedoch vor dem letzten Schritt zurück. Gutrune bereitet sich wie ein Pin-up-Girl auf ihre Hochzeit mit Siegfried vor, dessen ungestüme Art seine Umgebung offensichtlich mitreisst. Die Monumentalität der anschließenden berühmten Mannenszene mit dem rufenden Hagen wird bei dieser Inszenierung nicht geleugnet – ebenso wenig die Existenz von seltsamen Wikinger-Helmen, die danach auf dem Boden abgelegt werden. Dann wird Brünnhilde mit verbundenen Augen hereingeführt und als Gunthers Braut präsentiert. Ihre Empörung entlädt sich, als ihr die Augenbinde abgenommen wird und sie endgültig in der Realität angekommen ist. Gerade die Dramatik des zweiten Aufzugs mit dem Racheschwur von Brünnhilde, Gunther und Hagen bezüglich Siegfrieds Tod gehört noch zu den Lichtblicken dieser Regie-Arbeit, die viele Fragen offen lässt.

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Die Gibichungen-Geschwister Gunther (Michael Kupfer-Radeczky) und Gutrune (Elisabeth Teige). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Leider fällt der dritte Aufzug dann wird ab. Da sieht man ein großes Uferbecken, das grünlich zu schimmern scheint. Auf dem oberen Teil der Bühne nimmt man eine fast idyllische Landschaft wahr, die dieses Rheinufer wohl umschließt. Siegfried wird von Hagen schließlich mit dem Messer erstochen. Die Mannen nehmen diese drastische Szene hinter einem Gitter wahr. Bei „Siegfrieds Trauermarsch“ versucht das kleine Mädchen den Toten vergeblich zum Leben zu erwecken. Sie wird von Hagen weggeführt, der wohl die Absicht hat, das Kind zu rauben. Zuletzt erscheint Brünnhilde am kahlen Ufer, nachdem Gunther von Hagen getötet wurde. Hier ist von dem mystischen Zauber des Werkes allerdings nicht mehr viel zu spüren, auch das Ende der Götter im Weltenbrand wird nicht berücksichtigt. Statt dessen wird man an „Salome“ von Richard Strauss erinnert, denn der abgeschlagene Kopf des Greises Grane wird hereingetragen und von Brünnhilde ergriffen.  Vermutlich hat gerade diese Szene den Unmut des Publikums ausgelöst. Darüber  hinaus blendet Valentin Schwarz im Finale dann auch noch per Video einen Fötus ein. Hier sucht man wirklich krampfhaft nach Zusammenhängen. Brünnhilde legt sich zuletzt einfach neben den toten Siegfried und scheint in den Himmel zu zeigen, bevor sie ihm nachstirbt.

Musikalisch scheint sich diese „Ring“-Produktion noch im Reifeprozess zu befinden, weil der Dirigent Cornelius Meister als Einspringer wohl einfach zu wenig Zeit für die Probenarbeit hatte. Hier sollte man allerdings unbedingt berücksichtigen, was Wilhelm Furtwängler über Richard Wagner sagte: „Mit Wagner traten die Extreme ins Bewusstsein. Der abgründigen Hingabe, der Spannung einzelner Akkorde, der auflösenden Wirkung stehen die besonders willenskräftigen Abschlüsse und Kadenzbildungen gegenüber. So ist er  kein Romantiker, da er der Tatkraft und der Wirklichkeit, selbst im Tristan, schließlich immer Rechnung getragen hat.“ Bei Meisters Interpretation fehlt manchmal noch der Sinn für diese Extreme des Bewusstseins. Die Spannung einzelner Akkorde und deren auflösende Wirkung wird  zuweilen nur angedeutet. Und doch gelingt es ihm immer wieder, dynamische Steigerungen klug aufzubauen, wenngleich der große harmonische Bogen im Finale noch größer und umfassender sein könnte. Dies betrifft die subile Herausarbeitung der Motive wie das Liebeserlösungsthema genauso wie die Walhall-Harmonien als gewaltiger Ausdruck der vom Fluch befreiten Götter.

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Irene Theorin (Brünnhilde). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Gesanglich hat diese Produktion einiges zu bieten. Hier überzeugt vor allem der kurzfristig für Stephen Gould eingesprungene Tenor Clay Hilley als gesanglich wandlungsfähiger Siegfried. Packende Rollenpoträts bieten auch Michael Kupfer-Radecky als Gunther, Olafur Sigurdarson als Alberich und Albert Dohmen als Hagen, wobei hier des Basses Grundgewalt zuweilen noch mächtiger zum Ausdruck kommen könnte. Trotz aller Vibrato- und Tremolo-Probleme muss man die Sopranistin Irene Theorin als Brünnhilde auch verteidigen, denn neben einer eindringlichen darstellerischen Verkörperung gelingen ihr als Brünnhilde immer wieder leuchtkräftige Spitzentöne. Elisabeth Teige ist eine markante Gutrune. Herausragend gestaltet ferner Christa Mayer die Seelenqualen der Waltraute. Hervorragend sind die drei Nornen Okka von der Damerau, Stephanie Müther und Kelly God. Und auch Lea-Ann Dunbar als Woglinde, Stephanie Houtzeel als Wellgunde und Katie Stevenson als Floßhilde zeigen als Rheintöchter suggestive Charakterporträts. Eine sehr gute Leistung bietet auch der Chor der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Der abschließende Buh-Orkan für das Regie-Team erinnerte wohl an den Chereau-„Ring“ von 1976, wobei sich das Publikum diesmal sicherlich mehr zurückhielt. Immerhin gab es ja neben Kritik auch Ovationen für die musikalischen Leistungen. 

Alexander Walther

 

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