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BAYREUTH/ Festspiele: DIE WALKÜRE – „Feuer und Zauber“. zweiter „Ring“-Durchlauf

11.08.2017 | Oper

Die Walküre (09.08.2017) – Feuer und Zauber

Bildergebnis für Bayreuth die walküre
Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Bayreuth, 9. August 2017, 21:43 Uhr – die lange Reihe an Mitwirkenden in der gerade zu Ende gegangenen Vorstellung badet sich in lautstarkem Beifall, der wie üblich abzuklingen beginnt, während einer nach der anderen wieder hinter dem Vorhang verschwinden. Der Dirigent des Abends ist der letzte und kann, gemessenen aber eben doch langsameren Schrittes, dem Tempo der übrigen nicht folgen. So bleibt er, selbst davon überrascht, alleine auf der Bühne zurück – und plötzlich, fast schon aus dem Nichts, erhebt sich eine neue Welle tosenden Applauses, der nur ihm allein gilt…

Doch alles der Reihe nach: nach dem poppig-flockigen Rheingold-Spektakel vom Vortag jetzt also die Nagelprobe, ob denn Herangehensweise und Konzept von Frank Castorf (so es denn ein solches gibt) auch einen ganzen Opernabend lang tragen können. Die Ingredienzien scheinen dabei auf den ersten Blick gleichgeblieben: wiederum hat ihm Aleksander Denic auf geschickte Weise ein vielfältig nutzbares Gebäude in die Mitte der Drehbühne hingestellt (es ähnelt diesmal einer Mischung zwischen Scheune und Fabrikhalle und reicht samt Aussengalerie und zugehörigem Bohrturm bis hinauf zum Schnürboden), und natürlich dürfen auch Videos wieder keinesfalls fehlen, werden diesmal aber deutlich sparsamer eingesetzt und flimmern sämtlich in Schwarzweiss auf diversen Bettlaken, die sich jeweils im rechten Moment „zufällig“ entfalten. Grosse Tore erlauben die Öffnung der Scheune, und zuletzt sind dann die Aussenwände ganz entfernt, sodass sich Wotans Abschied auch noch tief ins Innere hinein erstrecken kann. Das ganze aus Holz, durchaus ästhetisch anzusehen, „Baku 1942“ flackert irgendwann einmal in Kyrillisch auf und erlaubt sogar eine präzise raumzeitliche Verortung des dargebotenen Geschehens, falls man nicht angesichts diverser, als Stummfilm-Zwischentitel aufgesetzter russischer Kriegs- und Durchhalteparolen à la „Hilfe – die Deutschen!“ nicht eh drauf gekommen wäre.

Dennoch musste von vorneherein schiefgehen, was das „Rheingold“ noch so interessant machte: die Ergänzung der sichtbaren Handlung um das, was sich währenddessen im Nebenlauf noch so alles ereignet. Der Grund ist sehr einfach: es fehlt an hinreichend Personal. Die Bühne bleibt diesmal über lange Strecken weitgehend wuselfrei, der ganze erste Akt traditionell als Kammerspiel einer Dreiecksbeziehung, der zweite bis auf wenige Augenblicke als Mono-/Dialogkette, schliesslich Wotans zeugenfreier Abschied – da gibt es nicht allzu viel Möglichkeiten für eine Berichterstattung hinter den Kulissen, selbst wenn man jede Gelegenheit dazu nutzt (Wotan etwa mit Rauschebart im Telefonat mit seiner Göttergattin, für ihn offenbar nur mit hinreichend alkoholischer Grundierung erträglich, während vorderhand – wir befinden uns noch im ersten Akt – gerade die Hormone zwischen Siegmund und Sieglinde in Fahrt kommen). Seinen Lösungsansatz für dieses Dilemma hat Castorf 2014 in einem Spiegel-Interview beschrieben: Wir haben versucht, gegen die Rhythmen und gegen die Tempi zu arbeiten. Wir wollen durch eine andere Informationsebene vordringen zu der Geschichte, die wir erzählen. Was davon allerdings beim Zuschauer ankommt, ist eine relativ zusammenhanglos, ja geradezu beliebig anmutende Aneinanderreihung kurzer Stummfilmsequenzen, die solange  vom eigentlichen Geschehen ablenken, bis man sich entschliesst, sie einfach zu ignorieren. Andere Ebene? Keine Spur. Leider.

Und es kommt noch schlimmer: in besagtem Spiegel-Interview schildert Castorf weiter seine Eindrücke anlässlich der ersten Wiederaufnahme des Zyklus 2014: Aber wenn ich jetzt in den Bühnenorchesterproben sitze, dann bemerke ich plötzlich einen schrecklichen Gleichklang im Rhythmus, im Tempo, im Licht und im Spiel der Sänger… Furchtbar. Verehrter Herr Castorf, wenn Sie schon im Programmheft so explizit danach fragen, hier nochmals die Antwort einer der selbstdeklarierten „Schlafmützen“: Rhythmus, Tempo, Sänger – das ist die Essenz von Oper, die Essenz von Musiktheater! Und wer schon diese allerfundamentalsten Randbedingungen verneint, sollte der sein Glück vielleicht nicht doch woanders versuchen?

Davon abgesehen ist aber gerade diese „Walküre“ eigentlich sogar erschreckend konventionell, und streckenweise gar komplett regiefrei geraten. Wotans Monolog etwa: während Brünnhilde im Hintergrund die Küche aufräumt, sitzt der Gott eine Viertelstunde unbeweglich in seinem Lehnstuhl und doziert weitgehend emotionsfrei in den Saal hinein, was doch Ausdruck tiefster innerer Zerrissenheit sein sollte. Große Regisseure haben in Bayreuth dafür große Lösungen gefunden (man denke an Chereaus kreisendes Pendel, oder den Kratereinbruch bei Kupfer), und nicht jeder, der dazu schweigt, wird deswegen zum Philosophen.

Ob man deswegen gleich ganz die Augen zumachen sollte (zumal dies auch fatale Konsequenzen haben kann, wie von einem lauthals schnarchenden Zeitgenossen mitten im dritten Akt unüberhörbar dokumentiert)? Die Sternstunde kam jedenfalls wieder einmal aus dem Graben.  Zwar dauerte es einen halben Akt, bevor der sich dort der rechte Schwung einstellen wollte, von da an aber gelang Marek Janowski alles wie aus einem Guss. Man ging hochkonzentriert zu Werke und peitschte die Emotionen im Konglomerat von Inzest, Ehekrach und götterväterlicher Radikalpädagogik ein ums andere Mal hoch bis zum Siedepunkt und darüber hinaus (es ist schon mehr als knifflig, was diese Partitur insbesondere den Streichern an vielen Stellen da so alles zumutet, und absolut bewundernswert, mit welcher Klarheit und Präzision, gepaart mit unerschütterlicher Hingabe, sich das Festspielorchester jeder einzelner dieser Herausforderungen entledigte).  Und doch war es – neben einem brillanten Walkürenritt und einem ebenso dargebotenen Feuerzauber – wieder eine der leisen Stellen, die allergrössten Eindruck hinterlassen sollte: die Todesverkündigung gelang in beinahe metaphysisch anmutendem Zusammenklang erschütternder Tuben, zerbrechlicher Streicher, einem erst zutiefst verwundbarem, dann doch heldisch aufbegehrendem Wälsungen und der leisen, aber unerbittlichen Eindringlichkeit einer Walküre, die bereit und in der Lage war, ihre beeindruckenden vokalen Möglichkeiten zugunsten grösstmöglicher Intensität zurückzunehmen.

Offensichtlich blendend disponiert lieferte Christopher Ventris einen für seine Verhältnisse ausgezeichneten Siegmund ab – nicht umsonst gilt er als einer der derzeit führenden Vertreter dieser Rolle. Kraftvolle Wälserufe, eindringliche Winterstürme, strahlendes Wälsungenblut (nachdem man unmittelbar vorher einen Moment lang um ihn zittern musste) –  es blieben nicht viele Wünsche offen. Demgegenüber schien Camilla Nylund als sehr mädchenhaft wirkende Sieglinde zunächst beinahe etwas zu leicht besetzt und fand erst ab dem zweiten Akt dramatischere Farben, insbesondere nach einer Schrecksekunde, in der sie, von der Flucht erschöpft auf dem Boden liegend, beinahe einem sinnfrei herumstehenden und prompt versehentlich umstürzenden Fahrrad zum Opfer gefallen wäre. Herrlich zuletzt ihr O hehrstes Wunder, abschliessende Krönung einer insgesamt dann doch erfreulichen Leistung. Georg Zeppenfeld schliesslich, im ersten Akt der dritte im Bunde, zeigte auch diesmal nachdrücklich auf, was Bayreuth an ihm, dem Vielbeschäftigten, hat: eine energische und kraftvolle Bühnenpräsenz, gepaart mit einer prachtvollen und zugleich wunderschön sonor durchgebildeten Stimme, welche, technisch perfekt geführt, ihm trotz seines balsamischen Timbres erlaubt, auch rabenschwarze Rollen wie den Hunding so zu singen, dass es schlichtweg direkt unter die Haut geht.

Ganz kann man dies von John Lundgren leider nicht behaupten, der einen etwas eindimensionalen Wotan gab. An stimmlicher Potenz seinen Vorgänger im Rheingold fraglos übertreffend, fehlen seiner Interpretation allerdings bisweilen die grossen Linien, das breite Spektrum emotionaler Differenziertheit. Wut, Resignation, Kontemplation, Trauer – all das klingt irgendwie ziemlich ähnlich, ohne allzuviel  Innenleben, ja manchmal beinahe steril. Hinzu kommt ein auffallend sparsam eingesetztes gestisches Repertoire, das es ihm quasi unmöglich macht, neben einer die ganze Zeit wie wildgeworden um sich peitschenden Fricka  auch nur annähernd zu bestehen. Und so musste man auf den letzten Akt warten, bis er rechtzeitig zu seinem Abschied doch noch zu grosser Form auflief und mit einer beeindruckenden Warnung vor dieses Speeres Spitze seinen Arbeitstag beendete.

Als seine Gemahlin präsentierte sich Tanja Ariane Baumgartner wie schon im Rheingold wiederum als der Belcanto-Tradition verhaftet und zugleich den Anforderungen des Wagnerfachs mehr als gewachsen. Ihre Fricka ist eine vergleichsweise junge, energische Frau, die nicht einen Moment daran zweifeln lässt, wer im Hause Lichtalberich die Hosen anhat. Dazu ein Mezzo, der satter Töne wie auch differenzierter Nuancierung fähig ist – wir werden noch lange Freude mit dieser Künstlerin haben.

Catherine Foster, die seinerzeit nach der Absage von Angela Denoke ja relativ kurzfristig die Brünnhilde der Premiere 2013 übernahm, stellte sich schon damals als Glücksgriff heraus und erwies sich seither über fünf Festspielsommer hinweg als die grosse Konstante dieser Produktion. Sie eröffnete auch diesen Durchgang mit strahlenden Hojotohos, hat ihre grössten Momente aber interessanterweise, wenn sie an den eher leisen, innigen Stellen ihr hochdramatisches Instrument zurücknimmt und sehr diszipliniert und schlank auf Linie singt. Dies gelingt ihr meisterhaft etwa in der schon erwähnten Todesverkündigung oder auch im Acapella des dritten Aktes War es so schmählich was ich verbrach. Andererseits hat sie aber natürlich keinerlei Mühe, auch die grossen Ausbrüche zu meistern, ohne ihren stimmlichen Fokus zu verlieren (sieht man von einigen etwas zu breit angesetzten Spitzentönen ab, die prompt an Farbe verlieren). Sie ist inzwischen so sehr mit der Rolle verwachsen, dass ihrer Darstellung die Absonderlichkeiten dieser Inszenierung nicht mehr viel anhaben können, und das tut der Aufführung sehr, sehr gut.

Das Walkürenoktett schliesslich (Caroline Wenborne, Dara Hobbs, Stephanie Houtzel, Nadine Weissmann, Christiane Kohl, Mareike Morr, Simone Schröder und Alexandra Petersamer) meisterte seinen komplex durchchoreographierten Auftritt eindrucksvoll und bemüht sich sehr um stimmliche wie darstellerische Individualität. Hier machte zugegebenermassen auch die Videountermalung wieder einmal mehr Sinn, um die sorgfältige szenische Arbeit zu unterstreichen, die man wenigstens diesem Teil des Werks gewidmet hatte.

Und so bleibt diesmal am Ende ein doch sehr gemischter Eindruck zurück. Ja, Feuer und Zauber gab es zuhauf an diesem Abend, aber dies ist vor allem Marek Janowski zu verdanken, der sich entschlossen hat, angesichts eines unübersehbaren szenischen Vakuums beherzt die Lufthoheit an sich zu reissen und sich damit als geistiges Zentrum dieses Rings zu etablieren. Und das ist gut so.

 Postskript: Es sei an dieser Stelle noch ein persönliches Wort erlaubt, da diese Produktion ja doch ein für alle Mal auch mit dem Namen Johan Botha verbunden ist, der in der Premiere und in den beiden folgenden Jahren den Siegmund verkörperte. Ich hatte das Glück, ihn hier am 22. August 2015 zu erleben, es war, wie wir jetzt wissen, sein letzter Auftritt in Bayreuth, und er hat diese Rolle danach nur noch einmal halbkonzertant in Budapest gesungen. Ich werde nie vergessen, wie er sich in der Pause nach dem 2. Akt am Bühnenausgang herzlich und mit der Hoffnung auf baldige Rückkehr verabschiedete und einen wehmütigen Blick zurück warf, bevor er sich umdrehte und entschlossen zu seinem Auto stapfte. Damals schon wussten wir alle längst, was wir an ihm haben – heute wissen wir noch schmerzlicher, was wir verloren haben… Sit terra tibi levis.

Peter Reichl

 

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