BAYREUTH/Festspiele: DAS RHEINGOLD und DIE WALKÜRE – Premiere am 31. Juli und 1. August 2022
Tomasz Konieczny (Wotan in „Die Walküre). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
- Castorf inszenierte gegen die Musik – V. Schwarz inszeniert gegen das Stück
Der neue Bayreuther „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung des bis davon völlig Wagner-unerfahrenen Oberösterreichers Valentin Schwarz steht bei der Hälfte. So sind ein paar Beobachtungen schon möglich und durchaus angezeigt, obwohl man gerade bei der Tetralogie von Richard Wagner den Tag nicht vor dem Abend bewerten (statt loben) sollte, d.h. erst nach der „Götterdämmerung“. Nach der präsentiert sich auch das leading team erstmals dem Publikum vor dem Vorhang. Und da ist schon jetzt für große Unruhe gesorgt, deren erster Teil sich gleich nach den letzten Takten des „Rheingold“ in einem signifikanten Buh-Sturm entlud.
Das, was man vom Einspringer Cornelius Meister mit dem Festspielorchester in nur etwas mehr als 2 Stunden und 20 Minten erlebt hatte, war dezent gesagt höchst ungewöhnlich und auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig, wenn es denn je gelänge… Klar wurde schnell, auch gestern Abend bei der „Walküre“-Premiere, dass der „Ring“ auf diese Weise wohl nur von jemandem konzipiert und interpretiert werden kann, der – auch wenn er sagt, das Stück habe ihn von früher Jugend an schon beschäftigt – ein großes Vakuum an Aufführungs-Erfahrung und damit auch Würdigung der Inszenierungsstile und Interpretationen der letzten 40-50 Jahre, und nicht nur in Bayreuth, aufweist.
Nur damit ist auch zu erklären, dass man sich so frei von praktisch allen Regieanweisungen Wagners und selbst so elementaren Requisiten wie Ring, Speer, Schwert, Tarnhelm und einigen anderen machen kann, um nicht zu sagen sie ignorieren. Dabei sind sie doch alle in Text und Partitur vertreten, ja mit letzterer strukturell im Rahmen des Gesamtkunstwerk-Gedankens verflochten.
Was hier aber wohl am wenigstens interessierte, war die Musik. Denn die kommt über die Fülle der fast pausenlosen Regieeinfälle, von denen die wenigsten überzeugend wirken, wenn das überhaupt gewollt ist, aber insbesondere aufgrund der ständigen Gags in variierender Form an Leichtigkeit so gut wie nicht zum Zuge. Das könnte schon im „Rheingold“-Vorspiel seine Auswirkung auf Meister und das Orchester gehabt haben, welches etwas wackelig begann und nicht intensiv genug weiterzumachen schien. Zwar wurden im „Rheingold“ dann zügige Tempi gewählt, für die Sänger manchmal zu zügige. Cornelius Meister als Debutant am Pult wird sicher noch an Intensität gewinnen, bzw. an Zurückhaltung aufgeben. Das wäre wünschenswert, auch was die „Walküre“ betrifft.
Es ist aber auch zu sagen, dass durch die Hyperaktion auf der Bühne, die manchmal fast zwanghaft wirkt, wie die wirklich nervenden Aktivitäten von Statisten, die natürlich nicht vorgesehen sind, wie Service- und Sicherheitspersonal, dermaßen von der Musik ablenken, dass man sich dieser wohl erst besser zuwenden kann, wenn man die Produktion noch einmal sehen möchte, sich dann zumindest etwas an diese Regie etwas gewöhnt hat und die Überraschungseffekte mit den sicher bei den meisten unmittelbar folgenden und Konzentration fordernden Deutungsversuchen schon fehlen.
Nun will Valentin Schwarz den „Ring“ in Assoziation an eine Netflix-Serie inszenieren, und zwar als eine Familiengeschichte. Ob mit oder ohne Netflix, das ohnehin seit längerem an starkem Absatzschwund leidet, das ist ganz und gar nicht neu. Schon bei Joachim Schlömers „Rheingold“ sah man das 1999 in Stuttgart, bei jenem von Tilman Knabe 2008 und bei Heinrich Hilsdorfs „Walküre“ 2009 in Essen und in allen doch eindrücklicher und – zumindest nach den Bayreuther Entwicklungen bis gestern Abend – in nachvollziehbarer Art und Weise.
Denn der Teufel liegt im Detail. So einfach ist es mit der Familiensufstellung beim „Ring“-Personal eben nicht. Die Charaktere und ihre jeweilige Herkunft sind einfach zu verschieden, als dass sie als eine homogene – wenigstens im Wagnerschen Sinne – Familie gesehen und inszeniert werden könnten. Und deshalb passieren eben auch eine Menge handwerkliche Fehler, Übertreibungen, die das Gesamtkonzept erheblich verwässern, unlösbare Fragen aufwerfen und letztlich doch nur zu plattem Aktionismus führen, bei wenig einsehbarem Gehalt.
Von Mythos ohnehin „auch gar keine Spur“. Ja, es geht Schwarz wohl um eine vollständige Entmythisierung des „Ring“ und eine kompromisslose Übertragung in unser Heute, dazu passend in einem weitgehend kaum aufregenden bis hässlichen Bühnenbild von Andrea Cozzi, mit oft scheußlichen Kostümen von Andy Besuch und einer äußerst sparsamen Lichtregie von Reinhard Traub. Die Videos von Luis August Krawen halten sich bisher erfreulicherweise in Grenzen. Kino-Assoziationen kommen also in Bayreuth nicht auf. Dafür wird der „Parsifal“ im kommenden Jahr zuständig sein.
Als Rheingold werden hier wohl die Kinder verstanden, die in der Tat der Schatz und die Zukunft jeder Zivilisation sind. Das hatte aber schon die Argentiniern Valentina Carrasco eindrücklich im sog. „Colón-Ring“ 2012 in der Kurzfassung des Musikers und Produzenten Cord Garben am Teatro Colón in Buenos Aires unter der musikalischen Leitung von Roberto Paternostro so inszeniert, nachdem Katharina Wagner nach großem anfänglichem Enthusiasmus von der Produktion zurückgetreten war. Carrasco spielte damit auf das ungeklärte Verschwinden, de facto, den Diebstahl von Säuglingen und Kindern während der argentinischen Militärdiktatur von 1976-1983 an. Auch der laufende Kasseler „Ring“ inszeniert das Gold mit Statisten aus der Stadt. Bei Valentin Schwarz wird auch ein Kind entführt, und zwar von Alberich im 1. Bild des „Rheingold“. Neben den in einem Pool unter Aufsicht der Rheintöchter planschenden Kindern mit fröhlichem Ballspiel gewahrt er einen kleinen Jungen, aktiv an der Wasserpistole. Der ist – eben entführt – auf einmal das Gold, trägt auch ein gelbes Hemd. Er könnte aber auch schon Hagen sein, wer weiß? Das hatte Tatjana Gürbaca, die eigentlich diesen „Ring“ hätte machen sollen, schon 2017 am Theater an der Wien gezeigt – eigentlich ein Unsinn. Denn Alberich zeugt Hagen ja viel später mit dem Motiv, Siegfried zu bekämpfen. Aber ist bei Valentin Schwarz dramaturgische Logik à la Richard Wagner gefragt oder überhaupt relevant?! Scheinbar nicht. Sonst würde Erda nicht schon vor ihrer Erscheinung auf der Bühne herumlaufen (sie gehört eben NICHT zur Familie) und mit der kleinen Brünnhilde von dannen ziehen, was Antony Pilavachi 2007 in Lübeck auch schon sinnloserweise inszenierte. Dabei war die Kleine eben noch das Rheingold…
Lise Davidsen, Klaus Florian Vogt. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Und wie ist zu erklären, dass Sieglinde bei Einfall Siegmunds in Hundings Hütte schon hochschwanger ist und auf dem Weg zum Brünhilden-Felsen entbindet, nachdem Wotan sie kurz vor dem Kampf Ende des 2. Aufzugs entweder noch schnell vergewaltigen wollte oder um das Kind, bevor sein eigener Inzest an der Tochter auffällt, zur Welt zu bringen – eine noch zu beantwortende Frage. Oder ist gar Hunding der Vater?! Jedenfalls wird Sieglinde das Baby statt der Schwertstücke überreicht, und sie fasst sich beim „hehrsten Wunder“ dennoch an den Bauch. Zu beantworten wäre auch die Frage, wer in dem Sarg liegt, der zu Beginn des 2. Aufzugs der Walküre beweint wird. In Analogie der Vorwegnahme von Entwicklungen – aus welchem unerfindlichen Grunde auch immer – von Valentin Schwarz könnte das wohl nur Siegmund sein. Diesem schießt Wotan aus einem Meter Entfernung in den Kopf, ein Tiefpunkt des ständigen Herumfuchtelns mit Pistolen fast aller Protagonisten in „Rheingold“ und „Walküre“. Es ist müßig, noch weitere solcher „Begebenheiten“ aufzuzählen. Vielleicht ist noch interessant, dass der Feuerzauber mit einer Kerze und zwei Glas Rotwein absolviert wird, Wotan das von Fricka gereichte aber auskippt… Noch nie hat mich ein „Ring“ emotional so kalt gelassen wie dieser.
Sängerisch könnte auch manches besser sein. Auf der Habenseite stehen klar der Alberich von Olafur Sigurdarson, der „Rheingold“-Wotan von Egils Silins, im „Rheingold“ auch die Fricka von Christa Mayer, weniger in der „Walküre“, natürlich der exzellente Arnold Bezuyen als „Rheingold“-Mime, Okka von der Damerau mit ihrem vollen Mezzo als Erda, der ihr besser ansteht als der Brünnhilde-Versuch in Stuttgart, sowie der Fafner von Wilhelm Schwinghammer. Enttäuschend der Loge von Daniel Kirch mit einem unschönen Timbre und eng sitzender Stimme. Klaus Florian Vogt war als Siegmund der Star der „Walküre“, Georg Zeppenfeld der gewohnt erstklassige Hunding und Lise Davidsen ein stimmstarke Sieglinde mit bisweilen zu grellem Gesangsstil. Iréne Theorin singt die Brünnhilde immer noch ansprechend, aber auch nicht wesentlich mehr. Tomasz Konieczny begann als Wotan wie immer darstellerisch sehr engagiert, aber auch wieder mit einigen Vokalverfärbungen. Er wäre immer noch ein guter Alberich. Er verletzte sich beim Bruch eines Sessels, in den er sich – erregt über Frickas Angriffe – recht vehement hineinsetzte, sodass dieser brach. Michael Kupfer-Radetzky sprang im 3. Aufzug für ihn ein, den er gut gestaltete. Das Walküren-Oktett, für Bayreuth ungewöhnlich, klang erst im Ensemble überzeugend.
Stephanie Houtzeel (Siegrune), KellyGod (Gerhilde), Katie Stevenson (Rossweisse, Daniela Köhler (Helmwige). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Morgen geht es weiter mit „Siegfried“. Wer weiß, welche Überraschungen und Ungereimtheiten der gute Valentin Schwarz da für uns bereithält?
(Abschlusskritik demnächst).
Klaus Billand aus Bayreuth