„Der fliegende Holländer“ – Bayreuther Festspiele via 3sat – 31.7.2021
Donnerhall zwischen Häuserfassaden
Foto: Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele: „Der fliegende Holländer“ als Premiere via 3sat am 31. Juli 2021/BAYREUTH Eine ungewöhnliche Sichtweise bietet Dmitri Tcherniakov (Kostüm: Elena Zaytseva) bei seiner Inszenierung von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Zunächst spielt sich zwischen kahlen Häuserfassaden während der Ouvertüre ein beklemmendes psychologisches Drama ab, denn man sieht einen Mann (Daland?), der in die Liebesszene mit einer Frau verstrickt ist, die er schließlich brüsk von sich weist, nachdem das Liebespaar von einem Kind entdeckt wurde, das offensichtlich der Sohn der Frau ist. Eine dunkle Vorgeschichte. Die Frau endet zuletzt erhängt am Fensterbrett. Das wirkt irgendwie sehr russisch und erinnert an Dostojewskij. Dann entdeckt man plötzlich den fliegenden Holländer in einer Kneipe oder Bar, der den Männern von seinem verfluchten Leben erzählt: “ Den unheimlichen Donnerhall zwischen den kahlen Häuserfassaden kann man förmlich hören. Von dieser Szene mit dem kahlköpfigen Holländer geht auch eine gewisse Dämonie aus. Die Männer sind ihm hilflos ausgeliefert. Das vollkommene Bild der romantischen Oper bekommt hier gefährliche Risse, die den Zuschauer verstören. Die Handlung gerät immer mehr zu einem elektrisierenden Kammerspiel, denn als sich Senta und der Holländer zum ersten Mal begegnen, spürt man ein magisches Band zwischen den beiden. Doch auch der Holländer weist Senta nach einer Annäherung bei einem gemeinsamen Abendessen mit Daland von sich, weil er sich bereits aufgegeben hat. Senta führt hier einen verzweifelten Kampf gegen die bornierte Sturheit der Männer, die sich nicht umstimmen lassen. Sie will den Holländer erlösen und sich für ihn opfern, was sie schon bei den Mädchen an den Spinnrädern im Haus ihres Vaters Daland machtvoll demonstriert hat. Der junge Jäger Erik macht sich vergeblich Hoffnung auf Sentas Hand, er will sie von den unheimlichen Verlockungen des fliegenden Holländers befreien. Doch es gelingt ihm nicht und er verliert Senta für immer. Zuletzt wird der Holländer von Sentas Amme Mary hinterrücks erschossen.
Es ist eine ungewöhnliche Sichtweise, nachdem in den Häuserfassaden Flammen aufgehen und eine Art Weltuntergangsstimmung herrscht. Doch immer wieder vermisst man die aufpeitschende Wucht des Meeres und das Geisterschiff des fliegenden Holländers. Das Ganze ist viel zu banal und realistisch, es fehlt der unbeschreibliche mystische Zauber. Muskalisch überzeigt diese Aufführung natürlich weit mehr als szenisch, was vor allem an der umsichtigen Dirigentin Oksana Lyniv liegt, die das Orchester der Bayreuther Festpiele zielsicher leitet und auch die Motivzusammenhänge schon bei der Ouvertüre souverän betont und herausarbeitet. Die Klarheit der Gedanken und die Geschlossenheit der Durchführung stechen immer wieder facettenreich hervor. Man hört unmittelbar heraus, dass der Holländer sein Leben unerlöst auf dem Meer verbringen muss und nur durch die unbedingte Treue einer Frau erlöst werden kann. Fluch und Erlösung kämpfen bei dieser dichten Interpretation unmittelbar miteinander, wobei Oksana Lyniv gerade die titanischen Aspekte dieser überaus glutvollen Musik unterstreicht. Fahles d-Moll beherrscht die Szene, schrille Holzbäser und das unheimliche Tremolo der Streicher machen das Drama höchst lebendig. Hörner und Fagotte verkünden den gespenstischen Holländer-Ruf der leeren Quinte – und die Bässe stürzen chromatisch in höchster Wildheit aufwärts. Die Erlösungsmelodie im Englichhorn führt bei dieser Wiedergabe zu einer gewaltigen dynamischen Steigerung, die den gesamten Orchestergraben wie ein Flammenmeer ergreift. Das Matrosenlied wirkt dabei wie eine glühende Vision – und in wilder Leidenschaft bricht der Sturm los. Und das Fluchmotiv geht gleichsam unter. Die Sopranistin Asmik Grigorian sticht als Senta aufgrund ihrer überwältigenden Darstellung deutlich aus der respektablen Sängerriege heraus. Sie identifiziert sich mit allen Nuancen und Facetten dieser vielschichtigen Rolle, wobei ihr rein gesanglich die Verzweiflungsausbrüche Sentas am besten gelingen. Mit stählerner Kraft schießen hier die Intervalle wie Leuchtraketen in die Höhe. Der dramatische Atem und die aufwühlende Naturschilderung gehen bei dieser Aufführung zumindest musikalisch eine glückliche Verbindung ein, während sie in der Inszenierung weitgehend fehlen. Das Erlösungsmotiv erhält hier eine ergreifende Wandlung von g-Moll zu verheißungsvollem B-Dur. Auch die Verwandtschaft des Matrosenchors zum Spinnlied der Mädchen arbeitet die Dirigentin Oksana Lyniv mit dem Orchester minuziös heraus. John Ludgren ist ein Holländer, der mit schlankem, aber durchaus markanten Bariton agiert. Vor allem am Schluss scheinen sich seine gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten noch einmal enorm zu steigern. Georg Zeppenfeld überzeugt als Daland mit seiner sonoren, beweglichen Bass-Stimme, die zu vielen Klangfarben fähig ist. Eric Cutler (Tenor) ist ein stets fassungslos und panisch agierender Erik, während Marina Prudenskaya als Mary mit tragfähigem Mezzosopran agiert. Attilio Glaser (Tenor) zeigt als Steuermann ebenfalls eine bemerkenswerte stimmliche Ausdruckskraft. Wie immer hervorragend agiert außerdem der Bayreuther Festspielchor. Während man das Visonäre und Unheimliche in dieser Inszenierung manchmal vermisst, kommt es musikalisch in bewegender Weise zum Vorschein.
Am Schluss Ovationen – vor allem für die grandiose Asmik Grigorian.
Alexander Walther