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BAYREUTH/ Festspiele: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Dernière

21.08.2021 | Oper international

Bayreuther Festspiele: „Der fliegende Holländer“ 20.8.2021 – Dernière

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Georg Zeppenfeld, Asmik Grigorian. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Es ging hin und her in den Medien: Die erste Frau dirigiert in der 145-jährigen Festspielgeschichte auf dem Grünen Hügel, nämlich die Ukrainerin Oksana Lyniv, seit 2013 Assistentin von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper, 2017 dirigiert sie ihren ersten „Fliegenden  Holländer“ am Teatro del Liceu In Barcelona, ab 2017 war sie Chefdirigentin an der Oper Graz. Somit war Lyniv tatsächlich prädestiniert, Wagners ‚Opernerstling‘ für Bayreuth musikalisch zu leiten. Dieser ‚Erstling‘ gilt aber als einer der musikalisch schwierigsten Opern Wagners überhaupt. Die musikalische Seite dieser Neuinszenierung war damit aber fast schon in trockenen Tüchern, und über die Regie machte man sich im voraus keine großen Gedanken. Was aber der russische Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov, auftischte (im wahrsten Sinne des Wortes auch bei der ersten Begegnung Senta-Holländer) gab einige Nüsse zu knacken. Er änderte die Handlung Wagners entscheidend und fügte ihr eine andere Vorgeschichte hinzu, die als Pantomime während des Vorspiels gegeben wurde. Dieses wurde übrigens, wenn man nicht zu sehr von der Pantomime in Bann gezogen war, von Lyniv sehr festspielgemäß vorgetragen, immer mit markantem Ausdruck, einigen Rubati, sehr durchhörbar und klangprächtig auf den Punkt gebracht.

Nun die Pantomime dazu: In einer Stadt treffen sich ein Mann, der sich als Daland erweist, und eine Frau zu einem Stelldichein, die Frau schickt ihren Jungen vorher weg. Die beiden lieben sich an einer Hauswand, bei einem weiteren Treffen stößt der Mann die Frau von sich weg und verlässt sie. Kurz danach sieht man die Frau aus einem Fenster springen und sich dabei an einem Laternenmast aufhängen. Nach längerer Zeit kehrt der kleine Junge, der sich als erwachsener Holländer entpuppt, wieder in die Stadt, jetzt aber in die Oper, zurück und trifft Daland, der ihn nicht erkennt, in einer Kneipe wieder. Der will ihm nun seine Tochter Senta anbieten. Bei einem arrangierten Essen lernt er Senta kennen und kann sie für sich gewinnen. Bei einem späteren Treffen der Städter, die den Neuankömmling und seine Truppe in Augenschein nehmen möchten, gehen die Bewohner letztlich aggressiv mit Stühlen gegen die sich so seltsam benehmende Holländertruppe vor. Diese werden von Tcherniakov in blauen Uniformen an einen Tisch gesetzt. Nun rächt der Holländer den Selbstmord seiner Mutter, indem er zweimal in die Menge schießt, was Todesopfer ergibt. Als er nun selber abziehen will, positioniert sich Senta hier im Beisein des verzweifelnden Eric auch eindeutig für ihn, aber die hinzukommende Mary erschießt ihn mit einem Gewehr, um sich wohl ihrerseits an Daland zu rächen, der den Holländer auf Senta losgelassen hatte. Warum sie das Spiel aber nicht schon vorher durchschaute? Nun bleibt offen, was mit Senta und Eric geschieht. Tcherniakov gelingt es, mit den auf der Drehbühne befindlichen Bürgerhäusern samt spitzem Kirchturm eine gewisse Atmosphäre zu schaffen, die aber in der anfänglichen Kneipenszene aufgelockert erscheint. Vorbild für diese Szene war ihm vielleicht der Döner-Kiosk am Alex in Frank Castorfs Bayreuther „Götterdämmerung“-Regie. Die Mädchen-Szene findet im Freien statt. Mary hält hier eine verkappte Chorprobe ab. Der Damenchor wird zugespielt, kommt aber so schwächelnd herüber, dass man meint, Fistelstimmen zu hören. Auch später der Steuermannchor ist eher coronabedingt schwach besetzt, vielleicht liegt es aber auch an der technischen Übertragung. (Bei der Premiere soll der Chor, was in Bayreuth bisher wohl kaum vorkam, ausgebuht worden sein.) Die Kleidung der Bewohner, wie bei Mary auch mit Fellumhängen, ist leicht folkloristisch-nordisch getönt und stammt von Elena Zaytseva. Das Treffen des neuen Paares findet in einem vieleckigen Anbaupavillon statt und lässt hinter Fensterscheiben nur erahnen, was sich wirklich abspielt. Das Duett der beiden gelingt aber. Die Eltern essen, sitzen mehr oder weniger stumm dabei, verschwinden dann. Senta bewegt hier schon ausladend ihre Arme nach oben und unten, Gesten, die sie später nahezu perfektioniert. In ausladenden Bewegungen sekundiert ihr aber nur Eric, der Holländer verbleibt stoisch.

Den Steuermann gibt Attilio Glaser auch gesanglich schön tenoral nuanciert. Marina Prudenskaya ist immer noch überzeugender Mezzosopran und gibt dem Stück mit dem Schuss die völlig unerwartete Wendung, kein zweiter Selbstmord (Sentas), keine finale Erlösung Holländers. Georg Zeppenfeld kommt als Daland sehr jovial herüber, hat aber auch düstere Erinnerungsmomente. Er wirkt wie ein stimmschöner Spielbass als ‚Kapitän‘ und ist dann seriöser Geschäftsmann im Duett mit Holländer. Beim Erik des Eric Cutler ist Licht und Schatten, sein erster Auftritt wirkt (auch in einem sehr bauschigen Kostüm) fast geckenhaft und verholpert, er kann seinen lyrischen Tenor gar nicht richtig fokussieren. In der 2.Treue-Arie kommt ein angenehmes Timbre zum Durchbruch, der Focus stimmt nun, und auch die Phrasierung  erfreut. 

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Marina Prudenskaya, Eric Cutler, Asmik Grigorian. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Asmik Gregorian, die meines Wissens bereits die Salome in Frankfurt und die Chrysothemis bei den Salzburger Festspielen verkörpert hat, bringt nun auch eine erstaunliche Senta zu Gehör und Gesicht. Noch fast jugendlicher Backfisch mit großen Gebärden, voll blond, in Hosen und Stulpenstiefeln, reussiert sie mit großen Steigerungen  und dunkeldick grundiertem klangprächtigem Sopran bis in höchste Höhen. Nur ihre Stiefmutter Mary kann ihren Liebes- und Treue-Willen zerstören, indem sie den Holländer in Gestalt John Lundgrens erschießt. Dieser entspricht aber in Gestalt und Glatze eher nicht dem Holländer-Ideal. Die Stimme wirkt manchmal leicht brüchig, ist aber in der Höhe fokussiert. Andererseits hat er es aber in der Inszenierung auch nicht gerade leicht.                                                                    Friedeon Rosén

 

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