Bayreuther Festspiele 2022
Eine „Tristan“ und eine „Ring“-Neuinszenierung sowie Reprisen von „Tannhäuser“ „Holländer“ und „Lohengrin“ bei vollbesetzbarem und hiemit allabendlich ausverkauftem Haus ermöglichten vielen Heimkehrern sowie Neulingen den Besuch des Festspielhauses. Nach wie vor dominieren die reiferen Generationen und für Interessierte gibt es ja nach wie vor genügend Werkeinführungen, Bücher und Tondokumente, um ihnen das Verständnis der angeblich nicht so leicht verkraftbaren zehn Wagnerschen Bühnenwerke, von denen nur „Parsifal“ und „Meistersinger“ heuer nicht gespielt wurden, zu erleichtern. Unterschiedlichste Publikum- und Kritiker-Reaktionen auf Inszenierungen sind keine Neuigkeit auf dem Grünen Hügel. Eine generelle Verdammnis aufgrund der von den Medien begehrten negativen Schlagzeilen ebenfalls nicht.
Da ich heuer zum 60. Mal die Bayreuther Festspiele besuchte, bot sich mir als größte Freude die Erkenntnis, dass solche Meisterwerke sowohl musikalisch wie inhaltlich bzw. szenisch und vonseiten der Sängerdarsteller immer wieder neue Einsichten ermöglichen und deshalb für entsprechende Aufregung sorgen.
8.8.2022: „TANNHÄUSER“ – originell, packend, amüsant …
Im dritten Jahr gibt uns diese Produktion von Tobias Kratzer (Regie) und Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüm) zugleich Rätsel auf und lässt uns dem Atem anhalten. Im gar nicht so weit von Bayreuth entfernten Thüringer Wald, wo man seit Jahrhunderten Spuren der Liebesgöttin Venus entdeckt zu haben vermeint, und rund um das Festspielhaus spielen die einzelnen Szenen, gleichzeitig von Ernst und Humor getragen. Auf der Bühne und durch Videoprojektionen rund um die Hauptgeschehnisse sind die einzelnen Szenen zu betrachten. Eine ungemein komplexe Produktion, die ungeheuerliche Vorbereitungsarbeit benötigte.
Die kurze Inhalts-Fassung, wie sie im 170 seitigen Programmheft aufscheint:
In der hier gespielten, kürzeren Dresdner Fassung von 1845 ließ sich die Rolle der recht lebendigen, in sportliches Reizgewand von heute gekleideten Autofahrerin namens Venus leichter verallgemeinern als wenn man sie in ihr vermeintliches unterirdisches Reich verbannt. Sie ist mit ihrer Begleitung Le Gateau Chocolat und dem kleinen Manni Laudenbach im Kleinbus – zur Ouverture – unterwegs durch den Thüringer Wald; man stoppt mal an einer Tankstelle oder für eine Jause, ehe es auf das Endziel Bayreuth zugeht. Ein eingeblendeter – versehentlicher Zwischenstop vor dem Salzburger Festspielhaus bewirkt den verdienten Lacherfolg des erheiterten Publikums, ehe sich die Autolenkerin eines Besseren besinnt und man letztendlich vor dem Bayreuther Festspielhaus landet. Das steht im Grünen und tragt am Balkon die Aufschrift:
FREI IM WOLLEN
FREI IM THUN
FREI IM GENIESSEN
RW
Umgeben vom Wald, tritt nicht nur der junge Hirt – schön singend: Tuuli Takala –mit seinem/ihrem zweideutigen Lied auf, sondern es erscheint auch der Landgraf mit seinem erlesenen Gefolge – wohlgemerkt: als Jäger vor dem Festspielhaus! – und zur offensichtlich freudigen Überraschung, den lang vermissten Heinrich Tannhäuser wiederzusehen. Und dessen Aufmachung mit dem verschminkten Gesicht stört die edlen Jäger offenbar gar nicht…eimnrich >Tnnhäuser wieder anzutreffenHHSirt – Dass die Elisabeth nicht von Anbeginn eine „heilige“ ist, äußert sich schon darin, dass sie ihrem Ex-Geliebten eine Ohrfeige verpasst, ehe sie wieder in den Wald entschwindet …
Bemerkenswert in dieser Produktion: Die Musik wird nicht verunstaltet durch solcherlei Aktionen.
Dass man zu Beginn des 2. Akts zunächst den Einzug der Mitwirkenden beim Sängerfest incl. Frau Venus mit Gefolge, die sich dann in einen der Edelknaben verwandelt, filmisch betrachten kann und auch weiterhin sieht, was sich oberhalb und seitlich der Bühne abspielt, erhöht unser Vergnügen; weil sich zum vordergründigen Geschehen auch das mögliche hintergründige überdenken lässt.
Nachdem Lise Davidsen sich mit der Besingung der teuren Halle vokal, optisch und emotional profilieren konnte, findet der heiß erwartete Sängerkrieg im Beisein der gesamten „besseren Gesellschaft“ statt. Nachdem der Landgraf Hermann, Albert Dohmen, in diesem edlen Kreise mit würdiger Bassstimme umhergeblickt hat, werden die teilnehmenden Minnesänger sehr individuell profiliert gezeigt. Wolfram von Eschenbach Markus Eiche lässt optisch und mit nobel geführtem Bariton spüren, dass ihn nicht nur die vokale Noblesse bewegt, sondern er wohl auch gerne ein bisschen kräftiger zugreifen würde. Als Walther von der Vogelweide hat es Attilio Glaser mit schlankem Tenor leichter, sich vorbehaltslos zu äußern. Olafur Sigurdarson, Bayreuths neuer vielgelobter Alberich, musste sich als grauhaariger, graubärtiger Biterolf und dunkelstimmiger Teilnehmer am Sängerkrieg dahingehend zurechtweisen lassen, dass er von Liebe nichts verstünde. Jorge Rodriguez-Norten als Heinrich der Schreiber und Jens-Erik Aasbö als Reinmar von Zweter zeigten sich auch optisch profiliert, wurden aber von Tannhäuser letztlich belehrt, dass das, was sie an Liebe genossen hätten, unbedeutend sei, weil sie nie in den Venusberg eingezogen seien…
Warum hat Wagner die Titelrolle für einen Heldentenor geschrieben? Für erfahrene Opernfreunde ist nichts logischer…Er darf sich zwar belcantesk äußern, aber das darf nicht gekünstelt und forciert klingen – mit ehrlicher Kraft und Hingabe äußert er Freud und Leid, seine Visionen und seine vernichtende Kritik des heuchlerischen Papstes, den Gott damit bestraft, dass er Tannhäusers Wanderstab mit frischem Grün erblühen und den Sünder entsühnt vom hiesigen Leben scheiden lässt. Dazu gehört innere menschliche und für alle Mitwirkenden und Zuhörenden hörbare Sensibilität. Wenn die so selbstverständlich geboten wird wie von Stephen Gould, und dies seit nunmehr 20 Jahren, als ich ihn ebenso perfekt bei seinem Europa-Debut als Tannhäuser am Linzer Landestheater erlebte, dann ist für ein volles Werkverständnis gesorgt. So geschieht es auch beim Tristan und Siegfried und ebenso bei seinem Siegmund und Lohengrin– die heldentenoralen Ansprüche Wagners machen Sinn und entscheiden oft auch das gesamte Werkverständnis.
Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Neu in dieser Bayreuther Produktion ist die Vollpräsenz der Venus in allen drei Akten. Ekaterina Gubanova ist eine ganz normale, fesche Frau mit schönem Mezzo, sehr beweglich in jeder Hinsicht, eine gute Herrin ihrer Begleitpersonen, im Freien, wo auch die Oper an einem Waldrand endet, als Autolenkerin ebenso wie als Mitwirkende beim Wartburgfest, und sie bleibt uns über das Ende der Oper hinaus erhalten. Die finale Verdammnis bleibt, wie von Wagner gedichtet und komponiert, ausgespart. Die wahre Verdammnis – sehr gut inszeniert! – zeigt uns das Regieteam für die noblen Besucher des Gesangswettbewerbs, denen viel Menschliches fremd ist, und einen Seitenhieb gibt es noch für Wolfram und Elisabeth – der schwer in sie Verliebte, der sich lang so tapfer zurückgehalten hat, kopuliert sich mit der im Sterben liegenden „Heiligen“. Venus und ihre Begleitung echauffieren sich nicht darob. Das Bayreuther Festspielhaus ist nicht mehr erschaubar…
Angesichts so viel packender und oft Rätsel aufgebender Optik darf man nicht auf die musikalischen Führungskräfte und Gruppen vergessen. Der Bayreuther Festspielchor, wenn auch optisch nicht ganz so nobel präsent wie in vielen früheren Inszenierungen, erfüllt musikalisch jene höchsten Wünsche an Präzision und Ausdruckskraft, wie man sie in Bayreuth seit eh und je geboten bekam. Eberhard Friedrich, bestens eingeschult seit seinen Assistentenjahren unter Norbert Balatsch, leistet Optimales mit seinem Team. Und Axel Kober, von Jahr zu Jahr weiter in die Geheimnisse von Wagners bühnengerechter Musik eindringend, hielt, angefangen von der erwartungsvoll geleiteten Ouvertüre, seine Wagner-kundigen Musiker trefflich zusammen und ermöglichte den Sängern eine optimale stimmliche Entfaltung.
Nach jedem Akt steigerte sich der nach dem jeweils letzten Ton einsetzende Publikumsjubel samt Bravorufen und Fußgetrampel, zumal es in der ersten und zweiten Pause keine Verbeugungen der Sänger gab. Umso heftiger brandete der finale Beifall auf alle Mitwirkenden nieder, für die Sänger und musikalischen Leiter nach Verdienst wohl dosiert, ebenso für das Regieteam. Dass ich da ein paar Buhrufe zu hören vermeinte, war zu erwarten. Es gibt immer Gescheitere als die gerade im Einsatz Befindlichen…
Sieglinde Pfabigan