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BAYREUTH: DER RING DES NIBELUNGEN (erster Durchlauf)

02.08.2016 | Oper

BAYREUTH: „DER RING DES NIBELUNGEN“ von Richard Wagner – Bayreuther Festspiele

Wiederaufnahme-Premieren-Serie 26. – 31- Juli 2016

(„Das Rheingold“ am 26.07. – “Die Walküre“ am 27.07. – “Siegfried“ am 29.07. –

“Götterdämmerung“ am 31. 07.)

Über die Inszenierung von Frank Castorf ist seit der Premiere 2013 viel berichtet worden. Der Rezensent fasst zusammen:

Die Regiearbeit ist ein ganz großer Wurf, auch wenn man natürlich geteilter Meinung, ob des Bühnengeschehens sein kann, ist doch eines klar: In dieser Art und Weise hat man Wagners 16-stündige Tetralogie noch nie gesehen.

Castorf und sein Team (phänomenales Bühnenbild: Aleksandar Denic, modische Kostüme: Adriana Braga Peretzki, vielseitiges Licht: Rainer Casper sowie die kreativen Videos: Andreas Deinert und Jens Crull) interessiert die Blutspur des Öls. Das Öl als das Gold unserer Tage, daher ist die Versetzung der Schauplätze an folgende Orte höchst gelungen: „Das Rheingold“ spielt in einem „Golden Motel“ samt Tankstelle und Swimmingpool an der Route 66 in den 1960er-Jahren. „Die Walküre“ ist auf einer Öl-Farm in dem Azerbajdschan der 1930er angesiedelt. Das mächtige Holz-Konstrukt erinnert allerdings zeitweise an eine Kathedrale. „Siegfried“ spielt zur Hälfte am Berliner Alexanderplatz, auf der anderen Seite sieht man den Mount Rushmore, doch statt den amerikanischen Präsidenten sind die Köpfe der „Herrscher des Kommunismus“ in Stein gemeisselt: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Die finale Oper „Götterdämmerung“ hat viele Schauplätze: Man erkennt einen Teil der Berliner Mauer, einen Döner Stand, ein Obst- und Gemüsegeschäft, die (vorerst) verhüllte Wall Street in New York und eine riesige Treppe, die optisch an die Potemkinsche Treppe in Odessa erinnert. Die Details werden an diesem Punkt erspart, zu viele gibt es von ihnen, nur so viel vorweg: am meisten zu sehen bekommt man im „Rheingold“ und in „Siegfried“. Die Krokodile am Ende des zweiten Tages sind Hauptgrund für den Buh-Sturm, der sich nach Verklingen des letzten Tones entlädt. Dafür, dass der Trauermarsch im dritten und letzten Tag der Tetralogie nicht Siegfried, sondern Hagen gewidmet ist und dass es statt des „Weltenbrandes“ ein kammerspiel-artiges Finale gibt, ist die empörte Reaktion des Publikums auch am Ende dieser Oper deutlich übertrieben. Dabei ist gerade der Schluss der Tetralogie wirklich als gelungen zu bezeichnen: Die Wall Street wird enthüllt, Brünnhilde gibt den Rheintöchtern den Ring zurück, die ihn in eine brennende Mülltonne werfen, während im Video der tote Hagen auf einem Schlauchboot auf dem Rhein treibt. „Buh!“ rufen viele Zuschauer, die lieber ein explosionsartiges Feuerwerk gesehen hätten statt einer brennenden Mülltonne. Das mag jetzt derb klingen, lässt man sich aber auf diesen Ring ein, kann er der Spannendste der letzten Jahre oder Jahrzehnte sein.

Nun zur musikalischen Seite der vier Abende: Die Brünnhilde von Catherine Foster enttäuschte in der „Walküre“. Ihrer Stimme fehlt ein gewisser Glanz, außerdem kämpft sie mit gehörigen Intonations-Problemen. Doch sie hielt bis zum Schluss ohne gröbere Abstriche durch. Im „Siegfried“ sang sie dann überraschend stimmgewaltig und traf jeden Spitzenton, ebenso wie in der „Götterdämmerung“, in der Frau Foster am Schluss noch einmal Vollgas gab. Vielleicht liegt ihr die „Walküren“-Brünnhilde einfach weniger in der Stimme, als die beiden anderen.

Phänomenal war der Siegfried von Stefan Vinke. Er besitzt eine solide Mittellage und eine strahlende, kräftige Höhe, sodass er das hohe C in der „Götterdämmerung“ ohne Probleme traf und lange hielt.

Der Wotan im „Rheingold“ wurde von Iain Paterson gesanglich solide, aber ohne besonderen stimmlichen Schmelz gesungen. Szenisch vermochte er mehr zu überzeugen.

John Lundgren (Wotan in „Walküre“ und „Siegfried“) gelang ein starkes Bayreuth-Debüt. Sein kerniger Bassbariton zeigte keinerlei Schwächen und klang durchwegs sehr robust. Was ihm fehlte war das gefühlvolle in der Stimme, besonders beim „Feuerzauber“ hätte man sich etwas mehr Differenzierung gewünscht.

Sarah Connoly verlieh der Figur der Fricka interessante stimmliche Farben, blieb aber darstellerisch im „Rheingold“ unauffällig. In der „Walküre“ überzeugte sie dann auch szenisch.

Mit dem neuen Wälsungen-Paar Sieglinde und Siegmund wurde man nicht ganz zufrieden. Man war im Vorfeld gespannt auf Jennifer Wilsons Sieglinde-Debüt, doch leider kam es nicht dazu. Heidi Melton vom Staatstheater Karlsruhe übernahm den Part. Ihr wortdeutlicher Sopran glänzt in der Mittellage, doch in der Höhe klingt er beengt und unkultiviert. Christopher Ventris gelingen ungemein kräftige „Wälse-Rufe“, doch im zweiten Akt stößt er an seine stimmlichen Grenzen.

Großartig interpretierte Albert Dohmen den Alberich. Imposant gestaltete er die Partie, oder besser gesagt, die Partien wobei er in „Götterdämmerung“ am meisten überzeugte. Darstellerisch beeindruckte er mit seinem trashigen Spiel.

Solide Andreas Conrad als Mime, ebenso wie Tansel Akzeybeck als Froh und Ana Durlovski als entzückend zwitscherndes Waldvöglein.

Stimmgewaltig waren die Riesen Fasolt (Günther Groissböck) und Fafner (Karl-Heinz Lehner) besetzt.

Darstellerisch eher zurückhaltend, begeisterte Marina Prudenskaya als Waltraute in „Götterdämmerung“ stimmlich umso mehr.

Markus Eiche überzeugte im „Rheingold“ als darstellerisch sehr präsenter Donner und in „Götterdämmerung“ als schönstimmiger Gunther.

Für den erkrankten Stephen Milling sprang Albert Pesendorfer als Hagen ein und kam so zu seinem Bayreuth-Debüt, das längst überfällig war. Mit seiner riesigen Gestalt und seinem wuchtigen Bass wusste er dem bitterbösen Hagen beeindruckende tiefschwarze Töne anzuschmieden. Ganz toll, wenn er nach dem Mord an Siegfried das „Meineid räch’ ich“ quasi brüllt.

Nadine Weissmann als Erda war zweifellos eine der stimmlichen und schauspielerischen Highlights des Rings. Dies gilt auch für Roberto Saccà als Loge.

Als Hunding war Georg Zeppenfeld eine absolute Luxusbesetzung. Ebenso die höhensichere, grandiose Caroline Wenborne als Freia, sowie Allison Oakes als stimmlich und darstellerisch überragende Gutrune.

Die Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde wurden von Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel und Wiebke Lehmkuhl im wunderbaren Einklang gesungen.

Auch die Nornen (Wiebke Lehmkuhl, Stephanie Houtzeel und Christiane Kohl) und die Walküren sangen famos, was schon was heißt. Oft klingen die Walküren uneinheitlich, doch diese Besetzung (Caroline Wenborne, Dara Hobbs, Stephanie Houtzeel, Nadine Weissmann, Christiane Kohl, Mareike Morr, Wiebke Lehmkuhl und Alexandra Petershammer) vermochte glatt zu begeistern.

Maestro Marek Janowskis Bayreuth-Debüt ist als unbefriedigend zu bezeichnen. Zwar führt er das grandiose Orchester der Bayreuther Festspiele grundsolide, die Tempi werden im Laufe der Tetralogie aber immer unübersichtlicher, wenn sich die Musik nicht gerade zieht wie ein Strudelteig, wird gehetzt, dass die Sänger kaum nachkommen. Dies wird besonders in den „Winterstürmen“, bei Siegfrieds Tod und dem Finale der „Götterdämmerung“ deutlich. Auch vermisste man den für Wagner prägnanten Bläser-Klang. Ärgerlich war zusätzlich, dass die Koordination zwischen Dirigent und Sängern oft einfach nicht stimmte. Mehrmals im „Ring“ verpassten Sänger ihren Einsatz, was darin gipfelte, dass alle drei Rheintöchter ihren Einsatz im dritten Akt der „Götterdämmerung“ verpassten. So etwas darf einfach nicht passieren – und schon gar nicht in Bayreuth.

Zu den Publikumsreaktionen:

Nach dem „Rheingold“ gab es Bravos und einen Buhruf. Für die Sänger und den Dirigenten gab es lauwarmen bis jubelnden Applaus.

Nach der „Walküre“ gab es einhellige Zustimmung und viel Jubel die Sänger und die Musik.

Nach „Siegfried“ gab es einen ordentlichen Buh-Bravo-Krieg, der einige Minuten anhielt. An diesem Abend bekamen die Sänger und der Maestro am meisten Bravos und Applaus ab.

Nach der „Götterdämmerung“ gab es erneut Zustimmung und Protest, allerdings nicht in der Intensität, wie nach „Siegfried“. Während die Sänger einhelligen Applaus erhielten, wurde Marek Janowski neben Jubel, auch mit deutlich hörbaren Buhrufen bedacht. Frank Castorf zeigte sich nicht.

Fazit: Gesungen wird solide bis großartig. Das Dirigat ist ein Ärgernis und die Inszenierung von Frank Castorf der Star des „Rings“. Vielleicht wird dieses Schmuckstück doch noch zum „Jahrhundert-Ring“ des 21. Jahrhunderts mutieren.

Sebastian Kranner

 

 

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