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BAYREUTH/ Cineplex-Kino: TRISTAN UND ISOLDE – "Den Tiger wirksam bändigen"

08.08.2015 | Oper

Tristan und Isolde“ in der Bayreuther Inszenierung von Katharina Wagner im Cineplex-Kino in Bayreuth

DEN TIGER WIRKSAM BÄNDIGEN

Bayreuther Festspiele im Kino: „Tristan und Isolde“ in der Inszenierung von Katharina Wagner am 7. August im Cineplex/BAYREUTH

Neuland betritt Katharina Wagner in ihrer Inszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in jedem Fall. In der Live-Übertragung im Kino bekommt man einen anderen Blick auf die Perspektiven als im Festspielhaus. Die riesige Treppen-Ballustrade im ersten Akt wird beispielsweise in vielen Details beleuchtet, die Protagonisten hängen hier bereits wie Gefangene in den Gittern (Bühne: Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert). Sie erinnert an Skizzen Giovanni Battista Piranesis und M.C. Eschers. „Alles ist Wahn! Alles Selbsttäuschung! Wir sind nicht gemacht, uns die Welt einzurichten“ – unter diesem vielsagenden Motto steht auch die Inszenierung. Im Programmheft erscheint auch Adolf Wölflis „Santta-Maria-Burg-Riesen-Taube“ – eine Anregung zum Umdenken von Wirklichkeiten, was die Inszenierung im Unterbewusstsein anspricht. So verirren sich Tristan und Isolde gleich im ersten Akt rettungslos in ihrem Liebeswahnsinn. Der pinkfarbene Liebestrank wird dabei jedoch bewusst verschüttet. Es ist wohl eine Liebe, die so groß und stark ist, dass man dazu kein „Hilfsmittel“ braucht. Eine gute Idee von Katharina Wagner. Im zweiten Akt gewinnt König Marke dämonische Züge, denn er beobachtet das in Gitterstäben gefangene Liebespaar mit seinen Getreuen von der Empore aus mit fast schon sadistischer Akribie. Die Dekoration der imaginären Decke mit tristen Sternchen fällt szenisch demgegenüber ab (Kostüme: Thomas Kaiser). Tristan und Isolde schneiden sich an den Stahlgittern und wischen sich das Blut von den Händen. Stark ist allerdings die Szene mit den grell-überirdischen Lichteffekten, in denen das Liebespaar vom Alter bis zur Jugend zu verschwinden oder sogar zu „ertrinken“ scheint. Da schimmert Wagners mystisch-okkulte Welt in beglückender Weise durch. Wie man sich überhaupt im modernen Regietheater die Herausarbeitung des mythologischen Moments bei Wagner noch viel mehr als bisher wünscht. Drastisch gestaltet die Regisseurin, die auf gründliche Personenführung durchaus Wert legt, vor allem die Entdeckung des Liebespaars durch König Marke und Melot, der Tristan schließlich tödlich verwundet. Hier zeigen auch die Kinobilder Wirkung.

Wirklichen Biss gewinn die Inszenierung aber eindeutig im dritten Akt, wo Katharina Wagner doch Ungewohntes betritt. Denn so hat man den verzweifelten Liebeswahn Tristans noch nicht gesehen. Das zeigt die Kinoversion ebenfalls überdeutlich. In den vielen Dreiecken erscheint Isolde mit verschiedenen Masken in immer anderer Position – einmal verliert sie sogar ihren Kopf, blutet oder bricht wie eine leblose Puppe zusammen. Wieder dominiert dabei das unheimliche Element, man denkt auch an die Spukwelt E.T.A. Hoffmanns. In der Kinoübertragung wird die nicht ganz ungefährliche Stuntman-Szene eingeblendet und erklärt, denn einmal stürzt Isolde mit einer Haarnadel in die finstere Tiefe. Effektvoll werden die Dreiecke immer wieder ein- und ausgeblendet. Das steigert die unendliche Verwirrung der im Halbrund sitzenden Männer nur noch. Manchmal zeigt die Live-Übertragung die Gesichter aus der Groß-Perspektive, was aber nicht übermäßig stört.

Interessant ist im Rahmenprogramm vor allem das Interview mit dem Dirigenten Christian Thielemann, der im Gespräch mit Axel Brüggemann davon berichtet, mit wie viel Kraft und Enthusiasmus er den „Tiger“ des Wagnerschen Riesenorchesters zu bändigen versteht. Welche enorme Anstrengung ihn dies bei der mörderischen Hitze gekostet hat, macht auch das Schlussbild im Orchestergraben deutlich, wo Thielemann schweißüberströmt einen Orchestermusiker umarmt. Seltsam gelöst hat Katharina Wagner auch den Schluss. Tristan bricht tot zusammen, Isolde bleibt aber nicht viel Zeit, um ihn zu trauern. Sie wird von einem ungeduldig aufbrausenden König Marke einfach weggerissen und wieder ins Leben zurückgeholt. Das ist aber keine bitterböse Lösung, sondern vielleicht auch eine allzu menschliche, denn für Isolde ist es unter gewissen Umständen besser, einfach weiterzuleben und nicht zu sterben.

Musikalisch ist dieser „Tristan“ ungemein aufwühlend und ergreifend, vor allem in den gewaltigen Blechbläser-Einwürfen des dritten Aufzuges. Da spürt man in geradezu elektrisierender Weise, wie Christian Thielemann hier den furchterregenden Tiger im Orchester zu bändigen versucht und mit welcher Agogik und Akribie ihm das wie entfesselt musizierende Bayreuther Festspielorchester dabei folgt. Stephen Gould ist als Tristan dabei ein Heldentenor alten Schlages, auch wenn er darstellerisch zuweilen an seine Grenzen stößt. Georg Zeppenfeld als König Marke im senfgelben Outfit gibt ihm immer wieder mit des Basses unrwüchsiger Grundgewalt Kontra. Zuletzt bedroht er ihn sogar mit einem Messer. Es ist schließlich ein blutiges Gemetzel Shakespearschen Ausmaßes, was das Bayreuther Publikum da erwartet. Evelyn Herlitzius vermag dem eher zerbrechlichen Charakter der Isolde eine beklemmende Aura zu verleihen, auch wenn die Stimme zuweilen auch in der Mittellage etwas brüchig wirkt. Sie gleicht dem gesanglichen Ausdrucksspektrum einer Hildegard Behrens. Ian Paterson als Kurwenal besitzt ein sonores Timbre, dessen dynamische Kontraste die Zuhörer überzeugen, während Raimund Noltes Melot sich gesanglich im Laufe des Abends immer mehr steigert. Christa Mayer als Brangäne lotet die vielschichtigen Facetten ihrer Partie in vielfältigen Nuancen aus, da bleibt auch Raum für klangliche Differenzierungen. Gelegentlich wünscht man sich, dass sie schauspielerisch noch mehr aus sich herausgeht. Solide Leistungen bieten weiterhin Tansel Akzeybek als Hirt, Kay Stiefermann als Steuermann und Tansel Akzeybek als junger Seemann. Das Thema der unendlichen Liebessehnsucht stellt Christian Thielemann mit dem Bayreuther Festspielorchester mit glühender Intensität heraus. Verzehrendes, ewig neues Verlangen gewinnt so in eindringlicher Weise immer mehr Gestaltungskraft. Und immer neue ungeheure Steigerungen sinken aber ebenso erschütternd zurück in das zaghaft werbende Motiv und die völlig entrückte Verklärung. Das „Tristan“-Schmachten in Halbtonschritten erklimmt hier stets neue Stufen, die sich letztendlich zu einem ungeheuren klanglichen Echo ausdehnen. Klassische Form und romantischer Überschwang beherrscht der Dirigent Christian Thielemann wie aus dem Effeff. Schludrigkeiten lässt er im Orchester nicht zu, da ist alles bis ins kleinste Detail durchgearbeitet. Das hört man bei der Kino-Live-Übertragung deutlich heraus. Brangänes G-Dur-Ruf „Habet acht! Schon weicht dem Tag die Nacht!“ gewinnt immer drängendere Emphase. Eine suggestive Bewegung im Orchester zeigt auch der Übergang vom As-Dur zum Es-Dur als Wiederankunft des Liebespaares im Leben. Nuancenreich gestalten die Celli „Tristans Blick“ im Vorspiel – selbst die verminderte Septime des Brechens verliert nicht ihre drastische und notwendige Schärfe. Man erinnert sich auch an den Steuermann im „Holländer“ und den Hirten im „Tannhäuser“. Musikalischer Charakterisierungsreichtum wird bei dieser Wiedergabe jedenfalls großgeschrieben. Selbst der letzte ausgehaltene H-Dur-Akkord ist bei Thielemann nicht Untergang, sondern Erlösung. So jedenfalls scheint er Wagner zu verstehen.

 Alexander Walther      

 

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