BAYREUTH BAROQUE Solistenkonzerte DENNIS ORELLANA und DANIEL BEHLE; 16.9.2023
Die Schlosskirche Bayreuth und das Markgräfliche Opernhaus als Schauplätze hochkarätiger Vokalkunst
Dennis Orellana: Copyright Sergio Rodriguez/Website der Agentur parnassus arts production
Der wohl beste Sopranist der Jetztzeit, der aus Honduras stammende Dennis Orellana hat sein Nachmittags-Konzert „Si suoni la tromba“ in kammermusikalischer Besetzung unter das Motto „Duett oder Duell“, die menschliche Stimme im Wettstreit mit Soloinstrumenten. Gestellt. Daniel Behle hat am Abend desselben Tages im Rokoko-Arien-Programm „Kings of Bravura“ vor den Kulissen von „Flavio“ im Markgräflichen Opernhaus begleitet vom Concerto Köln unbekannte Arien von Antonio Tozzi, Luigi Gatti, Antonio Sacchini, Josef Mysliveček, Peter von Winter und Johann David August von Apell vorgestellt. Idee des anspruchsvollen Raritätentornados: „Es geht auch ohne Mozart.“
Sieben Arien des Alessandro Scarlatti mit Trompete standen im Mittelpunkt des ungewöhnlichen Programms von Dennis Orellana. Wie schon Joachim Quantz, der Flötenlehrer Friedrichs des Großen, beschrieb, muss ein Sänger mit den Blasinstrumenten die starke Brust, den langen Atem und die fertige Zunge haben, wogegen ein jeder Instrumentalist sich bemühen muss, das cantabile so vorzutragen, wie es ein guter Sänger tut. Geschickte Komponisten ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wussten um die reizvolle Kombination und die verwandten musikalischen Anforderungen an Sänger und Instrumentalisten. Sie ließen die Stimmen in bravourösem Glanz mit obligaten Soloinstrumenten konkurrieren. Mit dem Aufkommen der barocken Sänger-Superstarmode war der Höhepunkt dieser wirklich genussreichen Zierduellfreuden bald vorbei. Diven aller Art wollten alleine brillieren und sich den Applaus und Ruhm nicht unbedingt mit Trompetern etc. teilen. Das Genre hingegen blieb: Auch noch im Belcanto gab es herausragende Beispiele der virtuos spielerischen Anverwandlung von Stimme und Instrument, wie etwa in Donizettis Wahnsinnsarie der Lucia di Lammermoor.
Gehen wir wieder einen Schritt zurück: Wer erinnerte sich nicht an die herrliche Szene in Gérard Corbiaus Farinelli-Film, wo der fesche Gurgelakrobat im provokanten Wettstreit mit dem Trompeter den eindeutigen Sieg davontrug. In Bayreuth trat man 2023 hingegen zum lustvoll-friedlichen, wenngleich intensiven musikalischen Dialog an.
Der erstaunlich „kiekserfreie“ Naturtrompeter Julian Zimmermann, der tonkaskadenperlende Diego Ares am Cembalo und Sophie Lamberbourg am sonoren Cello haben sich in dem etwas über einstündigen Konzert mit Orellana wonniglich duelliert. Neben den erwähnten Reißern Alessandro Scarlattis gefielen besonders ‚Sento nel sen combattere‘ aus Francesco Gasparinis Cantata da camera für Solostimme in vier Sätzen Op. 1, Nr. 10 und als Höhepunkt ‚Pompe inutili‘, eine die Eitelkeit alles Irdischen aufs Korn nehmende Arie aus Antonio Caldaras Oratorium „Maddalena ai piedi di Cristo“.
Der sympathische, völlig natürlich und bis in die höchsten Höhen obertonreich und frei singende Orellana vermochte die enorme inhaltliche Bandbreite der Arien, die von Krieg, dessen Gloria und Elend, Liebeswonnen und -frust, Sehnsucht und Rache handeln, eindringlich zu gestalten. Stimmliche Limits kennt er nicht, der Sopran flutete voluminös und klangschön.
Alessandro Scarlattis „sette arie con tromba sola“ wechselten sich ab mit dramaturgisch passenden, rein instrumentalen Stücken etwa des Girolamo Fantini (Seconda chiamata, che và sonata avanti la battaglia) oder der Sonate für Violoncello solo von Antonio Maria Bononcini. Besonders entzückte die Toccata con lo scherzo del cuccó für Cembalo von Bernardo Pasquini mit ihren raffiniert imitierten Kuckucksrufen.
Daniel Behle: Foto: Lucia Hunziker
Am Abend suchte Daniel Behle, schon längst im dramatischen romantischen Opernfach zu Hause (demnächst stehen acht Lohengrin Aufführungen in Amsterdam auf seinem Terminkalender), einige von Mozarts Zeitgenossen zu rehabilitieren, die zu ihrer Zeit höchst erfolgreich waren, denen die Musikgeschichte aber wegen der beispiellosen künstlerischen Exzellenz Mozarts nur kleine Randplätze übrig ließ.
Da wirkte an der Salzach unter anderem der aus Mantua stammende Luigi Gatti, katholischer Priester und Musiker, Salzburgs letzter Hofkapellmeister, dem Behle eine Arie aus der Oper „La Nitteti“ widmete. Der Bologneser Antonio Tozzi, dessen Karriere ihn von Braunschweig über München (das er wegen einer skandalträchtigen Liebesaffäre mit der Gräfin Törring-Seefeld eiligst verlassen musste) nach Venedig führte, war im Programm mit einer Arie aus seiner erfolgreichsten Oper „Rinaldo“ vertreten. Den jüngsten Bach-Sohn Johann Christian hatte der neunjährige Mozart in London kennengelernt. Von ihm spielte das Concerto Köln, das ohne Dirigenten vom Konzertmeister Evgenii Sviridov geleitet wurde, die „Sturm und Drang“ Sinfonia in g-Moll Op. 6, Nr. 6, bevor Behle eine Bravourarie aus Antonio Sacchinis Oper „Artaserse“ schmetterte. Sacchini war in Versailles einer der Lieblingsmusiker von Marie-Antoinette. „Il Boemo“, wie der in Prag geborene Müllersohn Josef Mysliveček in allen italienischen Musikzentren liebevoll benannt wurde, übte großen Einfluss auf den jungen Mozart aus. Aus dessen Oper „La Calliroe“ sang Behle nach der Ouvertüre zu „‘L’Olimpiade“ die Arie ‚Care pupille belle‘. Weitere Raritäten betrafen eine Arie aus des Mannheimers Peter von Winter Oper „I fratelli rivali“, und ‚Ah se fosse intorno al trono‘ aus Johann David August von Apells Oper „La clemenza di Tito“, der 41. Vertonung von Pietro Metastasios Libretto. Mozart belegte mit seinem 1791 gleichnamigen Opernletztling schließlich den 43. Platz.
Das Concerto Köln startete wenig animiert, es fehlte an Konzentration. Besonders plagte sich der Solohornist in Luigi Gattis Arie ‚Puo vantar le tue ritorte.‘ Ab dem Bach Konzert gewann das renommierte Ensemble jedoch seine beachtliche artikulatorische Beredtheit, den rhythmischen Drive und den bewegten Seelenton zurück, den man von ihm gewohnt ist. Daniel Behle, einer der von mir wegen seiner künstlerischen Vielseitigkeit und technischen Sicherheit äußerst geschätzten Tenöre (besonders gefällt mir sein Album „Krämerspiegel“ op.66 von Richard Strauss mit Oliver Schnyder am Klavier), wirkte anfangs ebenso ein wenig distant. Er überzeugte vor allem in den dramatischen Teilen der Arien, wo er mit edelmetallen blitzendem Strahl gehörig auftrumpfen sowie all die extremen Intervallsprünge und Spitzentöne bewundernswert meistern konnte. Die kleinen rasanten Verzierungen gelangen weniger gut, da waren doch einige stützende „w-w-w’s“ zu hören.
Das Behle-Konzert ist am Dienstag, 19. September 20h05 im BR-Klassik Concert zu sehen. https://www.br-klassik.de/concert/ausstrahlung-3330334.html
Dr. Ingobert Waltenberger