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BASEL/Theater: „VERWANDLUNG – TESHIGAWARA“. Ballett von Saburo Teshigawara

23.03.2024 | Ballett/Performance

Theater Basel: “Verwandlung – Teshigawara”, Ballett von Saburo Teshigawara – Pr. 22.3.2024

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Photo © Julian Mommert

 Der japanische Choreograph und Universalkünstler Saburo Teshigawara ist zweifelsohne ein Star seiner Zunft. Zahlreiche Auszeichnungen hat er erhalten, darunter den Weltkulturpreis («Praemium Imperiale») und den goldenen Löwen von Venedig. Praktischerweise verbindet ihn mit der neuen künstlerischen Direktorin Adolphe Binder eine langjährige Freundschaft, so kommt auch Basel in den Genuss dieses ungewöhnlichen Künstlers.

 Bei Teshigawara gibt es keine Geschichten, keine einstudierten Bewegungsabfolgen. Tanz ist für ihn auch niemals eine abgeschlossene Sache, sondern entwickelt sich immer weiter. Er weiss bei seinen Choreographien nie, was dabei herauskommt. Für ihn ist der Tanz wie das Leben, nämlich unvollständig. Und die Tänzer? Unperfekt, aber eben menschlich.

 Die Musik ist für den Universalkünstler, der auch komponiert, genauso wichtig wie die Bewegungen, die mit Raum, Licht und Kostümen zu einem grossen Ganzen zusammenwachsen. Die Musik bildet dabei einen Raum um die Menschen, bis sie mit ihnen verschmilzt. Dabei tritt die menschliche Stimme oft in Kontrast zu elektronischen Klängen.

 Der erste Teil des Abends besteht aus der Basler Version von «Metamorphose», einem Werk, an dem Binder und Teshigawara bereits in Göteborg (Uraufführung 2014) zusammengearbeitet haben.

Dabei werden verschiedene Stadien des menschlichen Lebens beleuchtet, von der Zelle bis zum wissenden, leidenden, sich der Vergänglichkeit bewussten Menschen.

Grosse Metallspiralen bewegen sich auf der Bühne. Ein Klüngel aus menschlichen Körpern, noch in Binden, bereit, aus ihrem Kokon auszubrechen, zuckt und windet sich, wie die Tentakel einer Koralle. Der nackte Mensch ist entstanden, seinen Körper nur mühsam unter Kontrolle bringend, überfordert von der eigenen Schwerkraft, den Gliedern, den Möglichkeiten, verhaspelt er sich, verknotet, stolpert.

Menschen bewegen sich im Einklang, aber dann auch wieder nicht, versuchen sich zu erheben, fallen wieder, immer höher strecken sie sich, immer tiefer fallen sie.

Messiaens «O Sacrum convivium» – von einem schwarz gekleideten Chor auf der Bühne gesungen – liefert den Tänzern zusätzliche Energie, wird zu einem Teil von ihnen. Dazwischen erklingt Ravels «Soupir», bis die versöhnliche Musik durch schlagende Rhythmen (Tim Wright) abgelöst wird, die immer schneller und fordernder peitschen. Die Körper werden herumgeworfen und verbogen, ihre Leben durch in akkurate Winkel fallende Stahlstangen begrenzt, beschnitten, zu Umwegen gezwungen. Bis die vorgegebenen Lebenswege, die gefassten Pläne und Hoffnungen durch die über die Bühne rollende Spirale wieder vollends zerstört werden, die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Daseins deutlich machend.

 Im zweiten Teil, der Uraufführung von «Like a human» – die Menschen sind bereits durch ihre unterschiedliche Kleidung als Individuen gekennzeichnet – wird die Komplexität der Gefühle des Menschen ausgedrückt, sein Zögern, sein Ringen, seine Verwirrung. Erst zu Corelli, dann zu Mozart, später zu Rachmaninov und Franck, übernimmt mal der Körper, mal der Geist die Führung, Der Mensch befiehlt dem Körper eine Bewegung, dieser kann sie aber nicht ganz durchziehen, oder der Mensch stoppt den Körper kurz vor dem Ende der Bewegung. Man will, aber kann nicht, man muss, aber will nicht. Zuckungen, Windungen, Verknotungen, abrupte Wechsel, bis die Bewegungen runder werden, kühner, beinah tänzelnd beschwingt, es gelingen ganze Drehungen, bevor einen das Zittern wieder einholt. «Say yes, but feel no!» ist eines der kryptischen Mantras, das Teshigawara seinen Tänzern bei den Proben zurief. Ja, aber nicht ganz. Niemals vollständig, nie vollkommen, eben wie ein Mensch. Am Ende steht der Mensch in Nebelschwaden in der Stille, aber auch in dieser Stille ist Bewegung: Das bewusste Weglassen, das Sich-Entziehen, das nicht mehr dem Schmerz des Lebens unterworfen sein – ein Ideal, das man wohl erst mit dem Tode erreichen kann.

 Begeistert sind vor allem die Tänzer von dem Meister. Immer wieder hatte er ihnen in den Proben gepredigt, sich in den Zustand «minus 0» zu bringen, in dem Körper und Geist leer und offen sind für was da kommt, ohne Erwartungshaltung. Oft hatte er keine Schrittfolgen vorgegeben, sondern ein Gefühl, wie «I am free». Teshigawara diktiert nicht, er hilft den Tänzern, etwas zu schaffen, indem er seine Mantras wiederholt, welche die Tänzer in eine Art Trance versetzen. Für den Zuschauer macht das Ergebnis aber manchmal den Eindruck eines Workshops. Schade auch, dass die Tänzer nicht ihr volles tänzerisches Potential zeigen können, sind doch die Bewegungen eher ursprünglich und natürlich.

 Dennoch beeindruckt das Werk auf einer ganz anderen Ebene als man sich das als Ballettzuschauer gewohnt ist. Ein Urverständnis entsteht, was den Menschen ausmacht, was die Natürlichkeit eines Wesens bildet. Warum zu jeder Empfindung auch immer die gegensätzliche entstehen muss. Dass Schönheit nur aus Risiko entstehen kann, dass Leben an sich keine Bedeutung hat, nur eine Aneinanderreihung aus Gefühlen und Szenen ist, die sich selbst gleich widersprechen. Man verlässt den Saal mit einem tiefen Verständnis für die Unvollkommenheit menschlichen Daseins. Und das ist doch weit mehr, als man erwartet hatte.

 Alice Matheson

 

 

 

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