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Basel: Theater Basel, Grosse Bühne – Ballett Theater Basel – Richard Wherlock „Tod in Venedig“ – Sinfonieorchester Basel – Thomas Herzog, Leitung – 23.06.18 (Dernière)
Der Basler Ballettdirektor und Choreograph Richard Wherlock zählt zu den Geschichtenerzählern, welche grosse (literarische) Vorlagen um persönliche und aktualitätsbezogene Nuancen anreichern, dazu die passende Musik – heuer von Dmitri Schostakowitsch – zusammenstellen und sie in ihrer eigenen choreographischen Sprache auf die Bühne zaubern. Es entstehen Aufführungen wie z. B. „Tewje“, welche tief berühren.
Dieses Erfolgsrezept wendet Richard Wherlock auch in seinem neuesten Handlungsballett „Tod in Venedig“ nach der Novelle von Thomas Mann an. Manns Schriftsteller Gustav von Aschenbach wandelt in Basel, nachdem er in Viscontis Film zum alternden Komponisten mutierte, zum Fotografen in einer Schaffenskrise. Inspiration sucht er in Venedig, begegnet dort dem jungen Tadzio, verfällt ihm vollkommen, unterzieht sich einer Schönheitskur mit entsprechend peinlichem Ergebnis, verfolgt den jungen Mann durch die Gassen Venedigs, ohne dass es ihm gelingt sich ihm wirklich zu nähern und stürzt sich nach Tadzios Abreise in die Fluten.
Wherlock stellt Aschenbach und seine aussichtslose Liebe zu Tadzio ins Zentrum seiner Choreographie. Er zeigt den polnischen Jüngling als attraktiven, athletischen jungen Mann mit Modelqualitäten, der sich seiner erotischen Ausstrahlung voll und ganz bewusst ist und diese auch bewusst einsetzt. Das unschuldig Mystische und Geheimnisvolle fehlt Wherlocks Figur weitgehend. Dadurch wird die Geschichte auf das Nachsteigen und das offene körperliche Begehren des Fotografen nach Tadzio reduziert – das innere Drama geht weitgehend verloren. Auch die vielen Gesichter des Todes im Titel des Werkes geraten bei Wherlock in den Hintergrund. Es geht in Manns Novelle ja nicht nur um den Tod Aschenbachs. Es ist kein Zufall, dass der Autor die Geschichte in Venedig ansiedelt, ist die Lagunenstadt ebenfalls vom langsamen Zerfall bedroht. Der bevorstehende Untergang der noch vorherrschenden Gesellschaft sowie die Cholera werden auch nur marginal angedeutet – schade.
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Die drückende Schwere, welche in Manns Novelle deutlich spürbar ist, setzt Richard Wherlock mit einer vergleichsweise ruhigen, getragenen Tanzsprache um. Er bedient sich bei Ausdrucksmitteln des Tanztheaters und des Modern Dances. Der Choreograph entwickelt Figuren und Abläufe, welche sehr oft am selben Ort ausgeführt werden und sich oftmals wiederholen. Es entsteht ein statischer Gesamteindruck. So unter vorgehaltener Hand wurde da unter Zuschauern schon das eine oder andere Mal diskutiert, ob das „noch Tanz“ sei. Dynamik kommt dann auf, wenn die Tänzerinnen und Tänzer gehen oder laufen. Die Figuren und Bewegungen, welche die Aufführenden auszuführen haben, entsprechen jedoch allerhöchstem Schwierigkeitsgrad.
Richard Wherlock kann sich auf seine Compagnie verlassen: Mit grossem Engagement meistern die Künstlerinnen und Künstler des Ballett Theater Basel diese Aufgabe mit hoher technischer Fertigkeit und viel Ausdruckskraft. Javier Rodriquez Cobos gibt einen unermüdlich suchenden, besessenen Fotografen in einer Szenerie, welche durchaus an Antonionis filmisches Meisterwerk „Blowup“ erinnert. Neben tänzerischer Qualität überzeugt Cobos auch darstellerisch im Spannungsfeld zwischen Resignation, Begehren und Wahnsinn. Begleitet wird er durch den sprunggewaltigen „Fremden“ Frank Fannar Pedersen. Mit enorm sportlich-erotischer Ausstrahlung verdreht Anthony Ramiandrisoa als Tadzio dem Fotografen Aschenbach anmutig den Kopf. Elegant und très distinguée gefällt Ayako Nakano als Tadzios Mutter. Die drei gar nicht so braven Schwestern Tadzios, welche durchaus damit liebäugeln, das strenge gesellschaftliche Verhaltenskorsett zu sprengen, werden entzückend von Debora Maiques Marin, Dévi-Azélia Selly und Andrea Tortosa Vidal dargestellt. Überdreht und witzig, wie in einem Slapstick-Film aus den cineastischen Anfängen lockern der Hotelmanager Piran Scott mit seinem Hotelpersonal Alba Carbonell Castillo, Lydia Caruso, Gaia Mentoglio, Armando Braswell und Max Zachrisson die Geschichte auf.
Zwei musikalische Schostakowitsch-Sternstunden bietet das Sinfonieorchester Basel (SOB) unter der bewährten Stabführung von Thomas Herzog, der es auf grossartige Art und Weise schafft, die anspruchsvolle Musik so darzubieten, dass sie für die Tänzerinnen und Tänzer tanzbar ist und dem Publikum akustischen Hochgenuss bietet.
Mit jubelndem Applaus für einen Ballettabend mit einigem Diskussionsstoff – spannendes Theater eben – einerseits und für eine grossartige, abwechslungsreiche Ballettsaison andererseits entlassen die Basler Ballettfreunde ihr Ballett Theater Basel in die wohlverdiente Sommerpause.
Michael Hug