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BASEL/ Theater: SIEGFRIED. Wotans Tiermenagerie und Brünnhildes Leidensweg

19.10.2024 | Oper international

Wotans Tiermenagerie und Brünnhildes Leidensweg

Theater Basel, 18. Oktober 2024 – „Siegfried

sieg

Trailer: Siegfried

Da selbst in Bayreuth heuer Karten für einzelne Ringteile zu kaufen waren, Dortmund seinen Ring in neuer Reihenfolge präsentiert, sind die Zeiten übergreifender Deutungen rissig geworden. Siegfried hat es immer schwer im Verkauf, weniger eingehende Melodien, viel Text und eher unspektakuläre Handlungsabläufe, sieht man vom Drachenkampf ab, der zumeist mehr und mehr im Theaternebel und hinter der Bühne stattfindet. Da nimmt Hausherr und Regisseur Benedikt von Peter den Text fast immer wörtlich und die musikalischen Motive sind zugleich auch auf der Bühne sichtbar. Ist von einem Ross die Rede, schon trabt es im Bühnenhintergrund hervor, ob als Grane oder einen abziehenden Göttervater im Sattel, alles wird bebildert. Nein, mehr noch, sechzehn grandiose Puppenspieler führen ständig Personal und Tierwelt aus den vorangegangenen Ringteilen in bester Choreografie (Co-Regie Caterina Cianfarini) durch das Stück. Dass das Waldvöglein zum überdimensionalen rot gefederter Riesengeflügel wird, ist dabei nur natürlich. Liebevoll fügt sich alles in das heitere Stück, nur Brünnhilde muss ständig mit flehender Leidensmiene das ganze verfolgen. Während die Soprane in anderen Inszenierungen sich erst im Laufe des Abends einsingen, ist sie von Beginn an dabei. Zu sehr ist alles auf sie ausgerichtet (so will es der Spielleiter), dass man ihr im Finale dann leider ihr vermeintliches Liebesglück nicht abnehmen kann.

Rampensingen war einmal, zumal die Rampe nicht beim Orchestergraben endet, sondern direkt bis zur ersten Sitzreihe im Saal reicht. Das Orchester hat man „unsichtbar“ in die Unterbühne verfrachtet. Und dennoch wird es zum eigentlichen Star des Abends. Unter der Leitung des famosen Jonathan Nott fährt es zur Hochform auf und präsentiert einen flüssigen und niemals laut auftrumpfenden Klangkörper – das Sinfonieorchester Basel at its best. Niemand muss kreischend über Orchesterwogen ansingen, obwohl viele von ihnen durchaus in der Lage wären. Das langjährige Ensemblemitglied Karl-Heinz Brandt als Mime gelingt das Unmögliche, mit seinem grandiosen Spiel bekommt man Mitleid mit dem unsympathischen Kerl. Wie er tänzelnd, schwingend und ständig an seine Mission glaubend, einen doch auch sensiblen Fiesling uns zeigt, sucht seinesgleichen. Dazu ist er auch stimmlich in Bestform. Welches Haus hat schon einen Siegfried im Ensemble? Rolf Romei gelingt es, die Balance zwischen Naturburschen und Suchendem seiner Herkunft perfekt rüberzubringen. Er bewältigt nicht nur den Schmiedegesang und fegt dabei über die Bühne, als wäre er nur dafür auf der Welt. Es zischt, brodelt, sprüht aus der Unterbühne, dass man meint, ein ganzes Waffenarsenal würde zusammengesetzt. Überhaupt: Effekte sind gezielt platziert, um die fünf Stunden immer am Laufen zu halten. Endlich mal ein Drachenkampf bei dem man kurzzeitig auch um den Hauptprotagonisten Angst bekommt. Nathan Berg, er ließ sich vor dem 2. Akt ansagen, spielt einen von Macht zerfressenen, dem Alkohol nicht abgeneigten, sich seines Endes bereits voll bewussten Göttervater. Mit Erda rechnet er aggressiv ab und scheut vor Gewalt nicht zurück. Immer wieder führt er auch Kinderstatisten in den Rollen der Brünnhilde und des Siegfrieds mit sich. Alle tanzen nach seiner Pfeife und Göttliches ist nicht mehr auszumachen. Auch wenn Hanna Schwarz nicht als Idealbesetzung der wissenden Urmutter gelten kann, ist ihre Bühnenpräsenz immer noch beeindruckend. Trine Møller als leidende Walküre hat stimmlich alles fest im Griff und sehnt eher noch als Wotan das Ende herbei. Andrew Murphy, ebenfalls langjähriges Ensemblemitglied, bewältigt die Partie des Alberich gekonnt. Runi Brattabergs Fafner und das Waldvöglein von Álfheiður Erla Guðmundsdóttir sind mehr als nur Stichwortbringer. Der Bühnenraum von Natascha von Steiger ist praktikabel, wenn auch nicht von ästhetischer Schönheit. Katrin Lea Tag war für die Kostüme verantwortlich, die sich eher die Gewänder der Uraufführung als Vorbilder nahm, als eine zeitgemäße Ausstattung. Insgesamt eine Deutung, die keine langen Erklärungen in Programmbücher benötigt, sondern einen unterhaltsamen, detailreichen Opernabend verspricht. Um noch einmal auf Bayreuth zurückzukommen, hier wie dort stürmt das Publikum nicht mehr die Kassa. Eigentlich schade angesichts des enormen Aufwands.

Otto Grubauer

 

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