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BASEL/ Theater: LUCIA DI LAMMERMOOR

Lucia feministisch?

02.12.2018 | Oper

Gaëtano Donizetti: Lucia di Lammermoor, Theater Basel,

Besuchte Vorstellung: 01.12.2018 (8. Vorstellung der Neuinszenierung)

Lucia feministisch?

Regisseur Olivier Py gesteht im Programmheft zu Produktion ein, die Oper lange Zeit fälschlicherweise als reines Sängervehikel betrachtet zu haben. Er stellt fest, dass, hätte es die #MeToo-Bewegung nicht gegeben, er die Oper anders inszeniert hätte und fordert die Opern des 19. Jahrhunderts aus feministischem Blickwinkel neu zu betrachten. Er sieht seine Aufgabe als Regisseur darin, die Geschichten der Frauen, die in patriarchalen Strukturen gefangen sind, zu inszenieren, zu zeigen, wie patriarchalische Macht Lucia in den Wahnsinn treibt. Dabei möchte er ein Augenmerk auf die inzestuöse Komponente im Verhältnis zwischen Lucia und ihrem Bruder Enrico legen. In seiner Basler Inszenierung zitiert Olivier Py dazu die Hysterieforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Pierre-André Weitz schuf Olivier Py dazu ein Einheitsbühnenbild, einen fast die ganze Bühnenbreite einnehmenden Raum, der mit seiner variablen Rückwand vom Schuhschachtelformat bis zum Quadrat variiert werden kann. Seitlich ist Mauerwerk angedeutet: hinter dem bedruckten Vorhang sind hier Podeste für den Chor platziert. Grelles Neonlicht beleuchtet ein Vorhang mit dem Foto des Doktor Charcot sowie das obligate Spitalbett und einige Stühle. Weitere Requisiten sind ein Schrank an der Rückwand der Bühne, Stuhl, Tisch und Schiefertafel (mit den für Enrico wenig erfreulichen Wahlresultaten auf der linken Seite) sowie ein Skelett auf der rechten Seite.

Normannos Mannen sind Ärzte, die einer Untersuchung Lucias beiwohnen und dann mit ihrem neu gewonnenen Wissen ausschwärmen. Flackerndes Licht begleitet den Auftritt Enricos und unter Lucias Bett beginnt der Teufel sich zu regen. Während Lucia mit Alisa auf die Ankunft Edgardos wartet, schaltet sie das grelle Neonlicht aus. Sie hat, es ist zu vermuten von ihrem Bruder, ein warmes, gelbliches Licht mit einem beweglichen Figurenkranz. Dessen Schatten sind auf der Wand zu sehen: ein Skelett, ein Rabe, eine Hexe mit Dolch (vielleicht Lucia). Alles in allem wenig beruhigend. Edgardo gelingt es dann, immerhin für einen Moment, den Teufel zu neutralisieren. Im Verlauf des zweiten und dritten Bildes erweist sich der Schrank als äusserst vielseitig: er enthält das Brautkleid, den Trauerschleier oder einen Sternenhimmel. Während des Duetts mit Edgardo ist er randvoll mit Totenköpfen. Im dritten Bild, während Lucias «Unterhaltung» mit Raimondo sind auf der Rückwand die bereits aus Lucias Lampe bekannten Figuren als Schatten zu sehen.

Mit dem vierten Bild beginnt bereits der zweite Teil der Aufführung. Das Licht ist auf ein Minimum reduziert, die Hochzeitsgäste erscheinen alle in Schwarz. Das Einheitsbühnenbild bleibt geschlossen. Der Bräutigam, Arturo tritt auf, und um Enricos Intentionen zu verdeutlichen, schmeisst er mit Geld grosszügig um sich. Das fünfte Bild, als Höhepunkt der patriarchalen Gewalt, des männlichen Gehabes (Enrico mit blankem Oberkörper), wird ganz spartanisch am weissen Tisch an der Rampe gegeben. Im sechsten Bild, ihrer grossen Szene, tritt Lucia aus dem Schrank auf, nach dem Raimondo der Hochzeitsgesellschaft von den Geschehnissen berichtet hat. Das blutige Kleid bleibt Lucia verwehrt, stattdessen wird die Szenerie aus dem Bühnenhimmel dick mit schwarzem Laub eingedeckt. Eine Weltkugel mit Mondschatten versinnbildlicht Lucias Befindlichkeit. Der erste Teil des letzten Bildes, Edgardos „Abschied“, findet an der Rampe statt. Zum Schluss ist die tote Lucia auf dem Spitalbett zu sehen.

Giampaolo Bisanti, musikalischer Leiter der Produktion, beschreibt im Programmheft den Belcanto als eine „auf die Gesangsstimme fokussierte Art des Komponierens.“ Die Gesangs-Stimme wachse über Drama und Orchester hinaus, Orchester, Musik und Worte stünden ausschliesslich im Dienst der Stimme und des dramatischen Ausdrucks. Das Präsentieren der Stimme sei die Seele des Belcantos.

Beim Dirigenten Giuseppe La Malfa scheinen diese Erkenntnisse nur bedingt angekommen zu sein. Sind Chor und Extrachor des Theater Basel ins musikalische Geschehen involviert, werden die Singstimmen nach Belieben zugedeckt, sei es vom Sinfonieorchester Basel oder von den Chören, die Agieren, als gelte es eine Aida-Aufführung im Fussball-Stadion zu bestehen. Hinzu kommt, dass die gewählten Tempi vor der Pause konsequent zu langsam gewählt sind und nach der Pause so zügig ausfallen als gelte es noch einen Termin zu erreichen.

Rosa Feola gibt die Lucia mit ausgefeilter Technik und bewältigt die Partie mühelos. Mehr leider nicht, denn es fehlt jede Leidenschaft und ihr Rollenportrait gerät arg steril. Die Tenöre, Fabián Lara als Sir Edgardo di Ravenswood und Hyunjai Marco Lee als Lord Arturo Bucklaw lassen erahnen, wie Belcanto klingen könnte, sind aber auf Grund des Dirigats über weite Strecken des Abends zum Forcieren gezwungen. Ernesto Petti als Lord Enrico Ashton gelingt es, auf Grund guter Technik und körperlicher Konstitution, als einzigem die „Seele des Belcanto“ zu erreichen und seine Stimme hervorragend zu präsentieren. Man hofft auf ein Wiederhören in den grossen Partien Giuseppe Verdis. Der Raimondo Bidebent von Tassos Apostolou bleibt blass. Die Regie schränkt die Möglichkeit die Rolle zu gestalten massiv ein. Klettert er auf den Tisch und versucht Frieden zu stiften, wirkt dies nur lächerlich. Ena Pongrac gibt die Alisa, Karl-Heinz Brandt den Normanno.

Die Inszenierung dient leider weder dem Werk noch der Sache der Frau. Der szenische Aktionismus, die Lichtgestaltung mit dem Flackern und den Schattenbildern (Bertrand Killy) und der Tänzerin und den Tänzern (Jonas Furrer, Giuliano Guerrini, Lukas Hofmann, Mirjam Karvat und Ivan Yaher) versperren den Zugang zur Seele des Belcanto, der Präsentation der Stimme, und damit auch zu den Seelen der Protagonisten und dem dramatischen Ausdruck.

Das Konzept der Inszenierung von Olivier Py zeigt Lucia klar als Opfer der Strukturen in Form von männlicher Gewalt. Illustriert wird dies anhand der „Hysterieforschungseskapaden“ (so das Programmheft) des 19. Jahrhunderts. Männer machen die „in Unwissen gehaltenen Frauen“ zu Opfern, die Hysterie dient als „Mülleimer“ männlicher Medizin (soll der zum Arzt „umfunktionierte Priester Raimondo auch noch zur, was ja Mode wäre, Kirchenkritik dienen?). Bleibt das Problem, dass sich die Hysterie, so wie sie hier verwendet wird, nicht sinnvoll mit der Oper verknüpfen lässt.

Der Sache der Frau wäre gedient, wenn Lucia nicht als passives Opfer sondern als aktive Persönlichkeit gezeigt würde, für die der Wahnsinn der Weg ist, die männliche Gewalt zu bewältigen.

Weitere Aufführungen: So 09. Dezember 2018, 18h30–21h30; Sa 15. Dezember 2018, 19h30–22h30; Sa 29. Dezember 2018, 19h30–22h30; Mi 02. Januar 2019, 19h30–22h30; So 13. Januar 2019, 18h30–21h30; Sa 19. Januar 2019, 19h30–22h30; So 27. Januar 2019, 18h30–21h30; Sa 02. Februar 2019, 19h30–22h30.

 

02.12.2018, Jan Krobot

 

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