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BASEL/ Theater: LE NOZZE DI FIGARO. Premiere

Gefangen im Tapetenalptraum

20.01.2020 | Oper

Theater Basel: Mozart: „Le nozze di Figaro“ – Pr. 18.1.2020

Gefangen im Tapetenalptraum

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 Antoin Herrera-Lopez Kessel, Jasmin Etezadzadeh, Hyunjai Marco Lee, Andrew Murphy, Thomas Lehman © Lucia Hunziker

Nun ist es ja praktisch unmöglich, diese Oper kaputt zu inszenieren. Zu schön ist die Musik, zu witzig die Dialoge, zu selbsttragend die Handlung. Dass soll aber nicht heissen, dass es nicht immer wieder versucht wird: Aktuell kleidet Regisseurin Barbara Frey die Bühne in einen sich am Horizont verengenden Irrgarten aus einer grünlichen Tapete, in dessen grauenvollem Retromuster sich die Protagonisten buchstäblich verlieren, wenn sie nicht durch die Schützengräben waten müssen (Bühne: Bettina Meyer). Da man den Stoff offenbar im Angebot bekommen hat, werden sowohl Cherubino als auch Figaro damit gelegentlich wie mit einer Tarnkappe unsichtbar gemacht, und auch der arme Chor muss dran glauben (natürlich passend zum gräflichen Garten). Der Sparfimmel geht gar so weit, dass völlig auf Requisiten verzichtet wird.

Reduzierung aufs Wesentliche nennt sich das im Regiejargon. Leider stolpern die Protagonisten folglich völlig orientierungslos durch die Handlung, von Figaro, der ohne Massstab durchaus Mühe hat, seiner Susanna zu erklären, was er da macht, über die Gräfin, die sich in ihrem Boudoir in ihrem Schmerz weder auf ein Bett noch auf sonst etwas werfen kann, über die nicht vorhandenen Türen, die der Graf einschlagen will, bis zur eher peinlichen Gartenszene, in der sich sämtliche Personen hilf- und ziellos hin und her bewegen, ohne dem Grauen der Endlostapete entkommen zu können.

Die mangelnde Interaktion zwischen dem stimmlich vor allem mit Hai già vinta la causa! auftrumpfenden Thomas Lehmann als Grafen und der mit einer wunderbaren – und im Laufe des Abends immer wärmer werdenden – Stimme gesegneten Russin Oksana Sekerina als Gräfin mag noch der Erkaltung ihrer Liebe geschuldet sein. Für die fehlende Chemie zwischen dem hölzern aufspielenden und stimmlich eher abfallenden kubanischen Bassbariton Antoin Herrera-Lopez Kessel als Figaro und seiner Susanna gibt es aber keine Ausreden mehr. Immerhin ist Sarah Brady als Susanna stimmlich in Topform und schauspielerisch charmant, tatsächlich trägt sie den Abend praktisch im Alleingang.

Einzig Kristina Stanek als Cherubino kann da mithalten, die mit hinreissendem Spiel und aussergewöhnlich schöner Stimme (Voi che sapete war grandios) das Highlight des Abends ist, allerdings dank den eher zusammengewürfelt wirkenden Kostümen (Bettina Walter) klar als Frau erkennbar. Dafür singt die Barbarina dann wieder ein Mann (der brasilianische Sopranist Bruno de Sá) im Frauenkostüm, immerhin stimmlich einwandfrei. Die Regisseurin will offenbar die Grenzen zwischen den Geschlechtern fliessend halten. Da der Kampf der Geschlechter hier ein Hauptthema ist, stellt sich aber die Sinnfrage.

Andrew Murphy liefert als Bartolo die schon aus dem Barbiere gewohnt hohe Qualität ab, ihm gegenüber brilliert auch Jasmin Etezadzadeh als Marcellina. Karl-Heinz Brandt kann als Basilio seine ganze Gesangs- und Spielerfahrung zeigen, während der junge südkoreanische Tenor Hyunjai Marco Lee als Don Curzio so überzeugt, dass man sich den Namen merken sollte.

Der britische Barockspezialist Christian Curnyn dirigiert das Sinfonieorchester Basel sehr zügig und frisch, gelegentlich sollte er den Sängern mehr Raum geben, dramatisch verlängerte Noten oder Pausen lagen so nicht drin. Michael Clark scheint den erneut makellos singenden Chor des Theater Basel gut im Griff zu haben

Die Komik der Einflüsterungsszene – verspielt. Die Gartenszene – ein Herumirren im Tapetengrauen. Die Diskrepanz zwischen der schreienden Komik des Stücks und der Tragik der zerrütteten gräflichen Ehe sowie der Grausamkeit des ius primae noctis resp. des Abhängigkeitsverhältnisses von Dienstboten – verloren. Der Kampf der Geschlechter – aufgelöst im Zwitternebel.

Wieder eine Inszenierung, bei der es heisst: Augen zu und geniessen.

Alice Matheson

 

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