Basel: Theater Basel – Grosse Bühne – Giacomo Puccini “Turandot” – Christof Loy (Inszenierung) – José Miguel Pérez-Sierra (musikalische Leitung)
Première: 02.03.2025
Eine (in)diskutable Sichtweise (?)
Dass ausgerechnet in dieser Spielzeit Giacomo Puccinis «Turandot» auf dem Spielplan des Theaters Basel steht, wird wohl kaum ein Zufall gewesen sein. Puccinis letzte, unvollendet gebliebene Oper fügt sich nämlich musikalisch bestens in den grossen Schwerpunkt der heurigen Saison – Wagners «Ring des Nibelungen» – ein. «Turandot» sollte nämlich eine «grosse Oper» in Wagners Sinn werden. So entdeckt man in dem Werk wiederkehrende musikalische Themen und Leitmotive. Und es sollte ein grosses Schlussduett zwischen Calàf und Turandot – «poi Tristan» – entstehen. Leider war es dem Komponisten nicht mehr vergönnt diese Musik zu schreiben. Dies übernahm posthum Franco Alfano. Wie gut ihm die Umsetzung von Puccinis Ansinnen gelang – darüber streiten sich die Experten.
Basel tickt eben anders – und darum überrascht es auch nicht, dass Regisseur Christof Loy und sein Team einen anderen Ansatz verfolgen – und dieser ist diskutabel – und bereits umstritten. Der Regisseur bleibt musikalisch zu 100 % bei Puccini und eröffnet den Abend musikalisch mit dessen «Crisantemi» für Streichorchester. Auf der Bühne wird während dieses Prologs gezeigt, wie Klein-Turandot am Familientisch die Sage von ihrer Urahnin Lou-Ling, welche während Kriegswirren von den Eroberern vergewaltigt und ermordet wird, vernimmt, Rache an den Männern schwört und direkt umsetzt – erstes Opfer ist ihre Puppe, welche sie direkt am Tisch enthauptet. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf: Keiner der Prinzen vermag die Rätsel der Prinzessin zu lösen und landet unter dem Beil des Henkers, allerdings nicht ohne vorher von Turandot als Lustobjekt gedemütigt zu werden – ihre weibliche Rache ist komplett.
Foto: Ingo Höhn
Die Handlung spielt auf der zweitgeteilten Bühne. Unten im grossen, prachtvoll chinesisch tapezierten Saal, welcher zusammen mit den prächtigen Kostümen der Aufführenden (Bühne und Kostüme: Herbert Murauer) zu einer wahren Augenweide gerät, findet die Haupthandlung statt. Im oberen, kargen weissen Teil kommen der gestürzte und geflohene Tatarenkönig und Liù – und damit die echte Liebe – in schwarz-grauer Kleidung – die Farben der Unterdrückung und Sklaverei – dazu. Die Unterdrückung durch Turandot kommt auch im prunkvollen Saal durch die schwarz gekleideten Menschen zum Ausdruck, denn auch die Staatsfunktionäre Ping, Pang und Pong bekommen Turandots grausame Macht und Einfluss zu spüren. Besonders hart trifft es jedoch ihren Vater, den Kaiser Altoum, welcher erfolglos versucht, ein weiteres Blutbad zu verhindern. Nach der Lösung der drei Rätsel gerät Turandot selbst in Calàfs Abhängigkeit, legt dabei ihren prunkvollen Umhang und Schmuck ab und bleibt im schwarzen Rock stehen – das leitet ihren Sinneswandel ein. Nach Liùs Liebestod lässt Regisseur Loy Turandot einerseits die Stärke der Liebe erkennen, andererseits erkennt Calàf, dass er eigentlich Liù geliebt hat. Also, kein Happy-End für den Prinzen und die Prinzessin. Der Bühnenraum der Erkenntnis ist die weisse Hälfte, der Prachtsaal versinkt, das Finale wird, wie der Prolog auch, zum intimen Kammerspiel. Christof Loy setzt das Ende mit dem 4. Akt aus Puccinis «Manon Lescaut» um.
Dieses Konzept mit Puccini-Musik, welche da so gar nicht hingehört, löst natürlich Diskussionen aus. Wenn man diese als Regisseur umgehen will, lässt man – wie Puccini sagt – «jemanden auf die Bühne kommen und dem Publikum sagen: «An dieser Stelle ist der Komponist gestorben» … Regisseur Loy geht jedoch mit seiner Inszenierung einen anderen Weg. Dabei gelingt es ihm, die Geschichte ohne grossen symbolischen Firlefanz konsequent zu erzählen und auch «Einsteigern» zugänglich zu machen. Und das ist das grosse Verdienst dieser Regie.
Musikalisch gibt es nichts auszusetzen. Miren Urbieta-Vega gibt eine grandiose Turandot, kraftvoll und stimmgewaltig im Opernfragment, leidenschaftlich und sensibel im Lescaut-Teil. Auch in der Darstellung überzeugt sie als kämpferische, rächende und zuletzt tief verzweifelte Prinzessin. Stimmlich strahlend steht der Prinzessin Rodrigo Porras Garulo als Prinz Calàf zur Seite. Er führt seine gepflegte Stimme souverän und fein differenziert durch die Aufführung und füllt die Rolle auch in der Darstellung voll und ganz aus. Der Versuchung, das «Vincero» in seiner berühmten Arie – auf welche ja alle warten – unendlich in die Länge zu ziehen, widersteht der Sänger erfolgreich und bleibt auch an dieser Stelle fest in der Rolle verankert. Rolf Romei gibt einen glaubwürdig resignierten Kaiser Altoum. Mané Galoyan zeichnet in Gesang und Darstellung eine leidenschaftliche, zerbrechliche und dennoch selbstbewusste Liù, welcher man die bedingungslose Liebe zu Calàf von der ersten bis zur letzten Note abkauft – einfach ergreifend! Mit David Oller, Ronan Caillet und Lucas van Lierop sind Ping, Pang und Pong wunderbar besetzt. Besonders anrührend gerät ihnen die Träumerei über ihre Heimat und die Sehnsucht nach Frieden. Der Chor und der Extrachor des Theater Basel (Chorleitung: Michael Clark), welche zusammen mit der Knabenkantorei Basel (Einstudierung: Rolf Herter, Oliver Rudin) zu Beginn vom Balkon und hinter der Bühne singen, begeistern mit ihrer klangvollen Darbietung. In absoluter Höchstform präsentiert sich das Sinfonieorchester Basel (SOB) unter der Stabführung von José Miguel Pérez-Sierras. Sein Dirigat zeichnet sich durch grosse Leidenschaft, höchster Präzision und exakten Einsätzen aus. Es gelingt ein dynamisches Miteinander zwischen Bühne und Orchestergraben. Nie überdeckt die orchestrale Wucht die Sängerinnen und Sänger.
Die Oper endet – die Standing Ovation des begeisterten Publikums beginnt unmittelbar nach dem Verklingen der letzten Note – und dies sicher in der Hauptsache für die Aufführenden auf der Bühne und im Orchestergraben. Keine Buhs für die Regie – dafür die eine an- oder andere aufgeregte Diskussion in der Warteschlange an der Garderobe. So muss es sein.
Michael Hug