Copyright: Priska Ketterer
Basel: Theater Basel – Grosse Bühne – Puccini: «La Bohème»
– Besprochene Aufführung: 27.01.2020
Viel Interessantes und ein No-Go
Daniel Kramer, der heuer «La Bohème» am Theater Basel inszeniert, verlegt die Geschichte ins Heute und nimmt ihr optisch jeglichen romantischen Zauber der Vergangenheit. Die vier Freunde darben in einem Hinterhof, wo zudem noch Weihnachtsbäume im «Sale» angeboten werden. Es ist nicht klar zu bestimmen, ob Rodolfo wirklich ein Dach über dem Kopf hat oder ob er openair im trostlosen Hinterhof mit einem brennenden Ölfass als einzige Wärmequelle, sein Dasein fristet. Alles andere als gutbürgerlich brav sind sie: Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline. Kramer zeigt eine Studenten- und Künstlertruppe, welche auch die heutigen sexuellen Identitäten auslebt. So überrascht es auch nicht, dass auch die vermeintlichen Junggesellen Schaunard und Colline als Paar zusammenfinden. Auch die Konsumgesellschaft, welche im zweiten Bild von Santa Claus Parpignol reich beschenkt wird, spielt der Regisseur aus.
Einiges gelingt in den vier aufwändigen und äusserst wirkungsvollen Bühnenbildern von Annette Murschetz, einiges geht aber auch heftig daneben: Da warten zu Beginn des dritten Bildes Leute in Feierlaune darauf, vom Türsteher in eine Disco eingelassen zu werden. Es gesellen sich noch ein paar leicht bekleidete Mädels mit «Playboy»-Hasenohren dazu, einer der Begleiter hat einen aufblasbaren Penis in rosa mit dabei, und damit wird nun so einiges zwischen Herren- und Damenbeinen ausprobiert. Vor 40 Jahren noch hätte das für eine Provokation – ja vielleicht zu einem kleinen «Skandal» – gereicht – heute zaubert diese Szene nicht einmal ein müdes Lächeln aufs Gesicht und bleibt schlicht und ergreifend einfach doof. Absolut anrührend ist jedoch das vierte Bild in Szene gesetzt. Besonders ergreifend ist die Stelle, wenn die vom Krebs gezeichnete Mimi ihr Kopftuch abstreift, ihren kahlen Kopf zeigt und Rodolfo fragt, ob sie schön sei. Rodolfo bejaht diese Frage; einen schöneren Beweis für seine tiefe Liebe zu Mimi gibt es wohl kaum. Man kann die Inszenierung mögen oder nicht: Viel Neues bietet sie nicht, sondern erzählt die Geschichte aus heutigem Blickwinkel. Bleibt zu hoffen, dass vieles, was Herr Kramer hier inszeniert, nicht seinem Bild der heutigen Welt und Gesellschaft entspricht.
Musikalisch gibt es einiges erfreuliches zu berichten. Das Sinfonieorchester Basel ist mit grosser Spielfreude dabei und setzt das tempo- und facettenreiche Dirigat von Kristiina Poska mit Begeisterung um. Ebenso sangesfreudig präsentieren sich der Chor des Theater Basel (Leitung: Michael Clark), die Mädchenkantorei Basel (Einstudierung: Marina Niedel) und die Knabenkantorei Basel (Einstudierung: Rolf Herter).
Auch die Solistinnen und Solisten vermögen an diesem Abend weitgehend zu gefallen. Cristina Pasaroiu ist eine zauberhafte, leidenschaftliche Mimi. Die Sängerin zeichnet die junge Protagonistin nicht als hilflos zerbrechlich, sondern als selbstbewusste, kämpferische Frau, welche sich selbst im verlorenen Todeskampf das letzte Fünkchen Zuversicht nicht nehmen lässt. Ihre Arien und Szenen meistern Frau Pasaroiu mit viel Emotion, phrasiert äusserst umsichtig und meistert die Höhen der Partitur mit sorgfältig geführter Stimme.
Davide Giusti gewann 2017 an Placido Domingos Operalia mit «Che gelida manina» den zweiten Platz. Der junge italienische Tenor führt Partien wie Alfredo Germont (Traviata) oder Nemorino (L’ Elisir d’ Amor) im Repertoire. Eine gute Entscheidung also, ihn in Basel als Rodolfo zu besetzen. Eine so jugendliche Stimme ist für diese Rolle natürlich ideal. Allerdings hat Davide Giusti an diesem Montag nicht seinen besten Tag erwischt. Er singt reichlich zurückhaltend, die Höhen wirken forciert. Er vermag seine Stimme nicht so recht zu entfalten und kann sich zuweilen stimmlich auch gegen Cristina Pasaroiu nicht durchzusetzen. Es gelingt ihm dennoch eine zuverlässige Leistung. Neugierig, wie nun mal bin, werde ich mir die Aufführung mit ihm nochmals anschauen.
Copyright: Priska Ketterer
Keine Wünsche offen lässt Sarah Brady als feurige Musetta. Fröhlich, witzig, überschäumend und gesanglich gleichermassen überzeugend sind Domen Krizaj (Marcello), Gurgen Baveyan (Schaunard) und Paul-Anthony Keightley (Colline), Mitglied des Opernstudios OperAvenir.
So wäre musikalisch doch so ziemlich alles im «grünen Bereich», wenn die etwas langen Umbaupausen zwischen den Bildern nicht mit Klangkompositionen von Marius und Ben De Vries «überbrückt» würden. Rap, Hip-Hop oder was auch immer da kommt, sind ein absoluter No-Go – selbst wenn diese «Sounds der Bohème» heissen und man vereinzelt Motive von Puccinis Musik herauszuhören glaubt. Sie lenken von Puccinis Musik, wegen der wir eigentlich ins Theater kommen, ab und verhindern das genüssliche Nachklingenlassen. Das, was uns auf der Bühne gezeigt wird, reicht um zu erkennen, dass nun auch «La Bohème» in unserer Zeit angekommen ist.
«La Bohème» am Theater Basel, ein inszenatorisch streitbarer und musikalisch ansprechender Abend.
Michael Hug