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BASEL/Theater: DON CARLOS – Im Märchenwald von Fontainebleau

23.02.2022 | Oper international

Giuseppe Verdi: Don Carlos • Theater Basel • Vorstellung: 22.02.2022

(3. Vorstellung • Premiere am 13.02.2022)

Im Märchenwald von Fontainebleau

Vincent Huguets Inszenierung des «Don Carlos» (die Fassungen von 1884 und 1886 in italienischer Sprache werden «Don Carlo» geheissen) bestätigt ihre Qualitäten beim zweiten Besuch vollumfänglich.

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Foto © Matthias Baus

Hebt sich der Vorhang nach der kurzen Einleitung mit den Hörnern, so befindet sich der Zuschauer mitten im Märchenwald von Fontainebleau (Bühne: Richard Peduzzi). Und schon nach diesen wenigen Minuten zeigen sich die Qualitäten. Die Aufführung ist in musikalischer Hinsicht ausserordentlich sorgfältig gearbeitet: so kommt der Hörnerklang hier von zwei verschiedenen Seiten der Bühne. Und Huguet inszeniert ausgesprochen sensibel und musikalisch, was im Libretto zu finden ist und nicht, was er dort finden möchte. Der Wald aus reliefartigen, an einen Scherenschnitt erinnernden Bäumen, hat trotz seiner Düsternis etwas Märchenhaftes, Positives. Er steht für die optimistische, positive Welt von Carlos, im Gegensatz zur architektonisch strukturierten, nihilistischen. Am Schluss der Oper werden Don Carlos, Elisabeth und ihre Tochter in den Tiefen dieses Waldes verschwinden. Ihre Zukunft bleibt offen: die Inszenierung gibt kein negatives Ende vor und vertraut auf die Zuversicht des Zuschauers. Zwischen den beiden «Wald-Bildern» spielt sich die (Familien-)Tragödie in einer immer drückender werdenden, architektonischen Umgebung ab. Die turmartigen Elemente werden immer mehr und grösser und engen die Menschen ein. Die grosse, rote Treppe, die sich aus der Rückwand lösen lässt, ist der Ort des Schleierlieds und des Gartenfests mit der fatalen Verwechslung. Die Treppe führt ins Nichts und sie führt zu Nichts (Positivem). Im Autodafé kommt das Königspaar in einem Korb gottgleich aus dem Himmel herabgeschwebt. Die Gräfin Aremberg (so wie Elisabeths Tochter sie nicht gehen lassen will, war sie vielleicht deren Kindermädchen) entschwebt, zur Hinrichtung, in einem Korb gen Himmel und lässt den historisch informierten Zuschauer natürlich an die Münsteraner Wiedertäufer und die Hinrichtung von deren Anführern denken. Philippes Kabinett ist dann räumlich schon so eng und spartanisch (mit einem an manche La Traviata-Inszenierungen erinnernden stählernen Krankenbett) eingerichtet, dass man sich dort kaum wohlfühlen kann. Einen ganz wesentlichen Anteil an der gelungenen Bühne hat die Lichtgestaltung von Irene Selka. Sie zeigt virtuos, was mit Beleuchtung alles machbar ist. Da sich Verdis Opern, auch wenn sie in der Vergangenheit und an fernen Orten spielen, auf die Gegenwart (Verdis wie mit der Aufführung auch unsere) beziehen, hat Camille Assaf ästhetische, heutige Kostüme geschaffen. Die Inszenierung ist stimmig, manchmal poetisch und immer schlüssig.

Musikalische Grundlage der Inszenierung ist die Uraufführungsfassung vom 11. März 1867. Für die Basler Aufführungsfassung wurde dann aus den möglichen Varianten ausgewählt und Striche vorgenommen. Was spricht nun dafür, von der Musik des Jahres 1867 auszugehen und nicht die übliche, vieraktige Mailänder Fassung von 1884 oder die fünfaktige Modena-Fassung von 1886 zu verwenden? Wohl kaum, wie im Programmheft vom Dirigenten erwähnt, dass die italienischen Fassungen mehr nach Verismo klängen. «Verismo» ist ein Stil und wenn «Don Carlo» nach Verismo klingt, ist das Problem bei den Interpreten und nicht beim Komponisten zu suchen. Sollte mit «nach Verismo» klingen die Aufführungstradition, Schlendrian und mangelndes Stilbewusstsein gemeint sein, ginge die Äusserung durchaus in die richtige Richtung. Korrekt ist der Hinweis, dass Verdi mit «Don Carlos» nicht völlig zufrieden war. Allerdings sind Verdis späte Äusserungen wie «der Bauernbub aus Le Roncole» immer mit Vorsicht zu geniessen: Verdi war bewusst, worauf er sich einliess, als er einen Auftrag der Opéra annahm. Der Rückgriff auf die Uraufführungsfassung bringt vor allem eine Musik zu Gehör, die gleichermassen von den Errungenschaften des Alters wie auch dem Feuer der Jugend, der Frische der «patriotischen Opern», dem Schmiss jener Werke, die wir als «frühen Verdi» kennen, geprägt ist. So werden im zweiten Akt die Erstfassungen der Duette von Carlos und Rodrigue und Rodrigue und Philippe und im vierten Akt die erste Fassung des Volks-Aufstands gespielt. Besonders eindrücklich ist das Schlussduett im fünften Akt, das die Oper im Piano enden lässt. Die in Sachen «Don Carlos» führenden Musikwissenschaftlerin Ursula Günther hat für «Don Carlos»/»Don Carlo» sieben Fassungen rekonstruiert: fünf aus dem Jahr 1867, die Mailänder Fassung von 1884 und die Modena-Fassung von 1886. Einer auf der Musik aus dem Jahr 1867 basierenden Fassung ist auf jeden Fall der Vorzug zu geben, da die Mailänder Fassung, um dem Geschmack des Publikums von 1884 zu entsprechen noch weiter gekürzt ist und die Modena-Fassung versucht von diesem Torso zurück zur Urfassung zu kommen. Da es keine eigentliche Fassung letzter Hand gibt, ist hier auch auf Grund ihrer Originalität die Fassung erster Hand zu präferieren.

Das Sinfonieorchester Basel unter musikalischer Leitung von Michele Spotti setzt die Mischung aus jugendlicher Frische und Alters-Erfahrung höchst konzentriert und mit viel Leidenschaft um. Es spielt gross auf, wo Pomp gefordert ist, es glüht vor Leidenschaft, wo Brio gefragt ist, und es ist zu berückenden Piani fähig, wo Zurückhaltung angebracht ist. Besonders gefallen die Blechbläser. Der von Michael Clark hervorragend vorbereitete Chor und Extrachor des Theater Basel brilliert mit sattem Klang bei bester Textverständlichkeit.

Yolanda Auyanet gibt mit warmem, bestens geführtem Sopran eine höchst attraktive Elisabeth von Valois. Nathan Berg verkörpert den von Angst getriebenen, ja gepeinigten Philippe II. mit atemberaubender Bühnenpräsenz um. Als das Publikum nach dem «Elle ne m’aime pas» beeindruckt schweigt, ist aus dem Graben Getrampel und Bogenschlagen zu vernehmen. Joachim Bäckström beeindruckt mit schier endlosen Reserven als Don Carlos. Sein Timbre, aber auch seine Art zu singen, erinnern etwas an Neil Shicoff. John Chest hat als Rodrigue, Marquis von Posa noch zugelegt und agiert mit den anderen Hauptfiguren ganz auf Augenhöhe. Die Krone des Abends gebührt wieder Kristina Stanek und ihrer, weil so vollständigen, atemberaubenden Interpretation der Prinzessin Eboli. Vazgen Gazaryan ist mit herrlich dunklem Bass als Grossinquisitor ein würdiger Gegenspieler Philippes. Nataliia Kukhar singt die Gräfin von Aremberg mit klarem, frischem, jugendlichem Mezzo. Andrew Murphy als Mönch, Inna Fedorii Stimme vom Himmel, Ronan Caillet Graf von Lerme und Jasin Rammal-Rykała, Kyu Choi, Félix Le-Gloahec, Andrei Maksimov, Yurii Strakhov und Jiacheng Tan Flämische Gesandte ergänzen das glänzende Ensemble.

Ein grosser Wurf und absolutes Muss!

Weitere Aufführungen:

25.02.2022, 19:00; 28.02.2022, 19:00; 18.04.2022, 18:00; 24.04.2022, 18:00; 30.04.2022, 19:00; 04.05.2022, 19:00; 13.05.2022, 19:00; 15.05.2022, 16:00; 21.05.2022, 19:00.

22.02.2022, Jan Krobot/Zürich

 

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