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BASEL/ Theater: DON CARLOS – französische Fassung: VIEL LÄRM UM EHER WENIG

25.04.2022 | Oper international

BASEL/ Theater: DON CARLOS, französische Fassung: VIEL LÄRM UM EHER WENIG – Vorstellung am 24.4.2022

En français
Mit deutschen Übertiteln With English surtitles

Musikalische Leitung – Michele Spotti
Inszenierung – Vincent Huguet
Bühne – Richard Peduzzi
Chorleitung – Michael Clark

Don Carlos - Theater Basel (2022) (Produktion - Basel, schweiz) | Opera  Online - Die Website für Opernliebhaber

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Elisabeth von Valois – Leah Gordon
Philippe II – Nathan Berg
Don Carlos – Joachim Bäckström
Rodrigue, Marquis von Posa – John Chest 
Der Grossinquisitor – Vazgen Gazaryan  
Prinzessin Eboli – Kristina Stanek
Ein Mönch – Andrew Murphy
Gräfin von Aremberg – Nataliia Kukhar*
Stimme vom Himmel – Álfheiður Erla Guðmundsdóttir
Graf von Lerme – Ronan Caillet* 
Flämische Gesandte – Jasin Rammal-Rykała*, Kyu Choi*, Félix Le-Gloahec**, Andrei Maksimov**, Yurii Strakhov**, Jiacheng Tan**

*Mitglied des Opernstudios OperAvenir
**Studierende an der Hochschule der Künste Bern HKB
Chor und Extrachor des Theater Basel Statisterie Theater Basel Sinfonieorchester Basel

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Persönliche Vorbemerkungen

– Don Carlos ist eine meiner Lieblingsopern schlechthin
– ich kenne die italienische Version, 4- oder 5-aktig, in- und auswendig
– ich habe bis gestern bewusst einen Bogen um die französische Version gemacht, kenne sie nur marginal von einer TV-Übertragung, kenne folglich die franz Textfassung nicht, bin aber des Französischen durchaus mächtig.

Musik:

Die französische Fassung kann zwar musikalisch mehrfach durchaus überraschen, ist der italienischen Fassung jedoch klar unterlegen.

Beispiele:

– Freundschaftsduett Carlos/Posa: hat einige hübsche Kantilenen für beide Sänger, schön anzuhören; aber insgesamt weniger kompakt: spannend ist vor allem wie Verdi gegen Ende des Duetts mit einer Volte zum bekannten Schluss der ital Fassung den Weg zurückfindet.

– Auch das Gespräch über Freiheit, Flandern etc zwische König und Posa fällt zwar nicht ab, ist jedoch im Vergleich auch nicht konkurrenzfähig.

– Jammerschade ist dass das Quartett im 4.Akt nach „Soccorso alla regina /Secourez à la reine“

in der franz Fassung geradezu kümmerlich daherkommt, ist doch das Quartett der ital Fassung neben und mit „Bella figlia dell’amore“ (Rigoletto 3.Akt) das Beste was Verdi uns an Quartetten geschenkt hat.

Um Klassen schlechter die Szene zwischen Elisabetta und der sich selbst anklagenden Eboli, langfädig, und damit viel weniger prägnant.

Die Musik zur kurzen Kleiderwechsel Szene zwischen Elisabetta und Eboli plus Chor ist nichtssagend, schwach. Sie findet statt, sobald sie vorüber ist, hat man sie auch bereits wieder vergessen.

Die Ballettmusik wurde in Basel weggelassen

Dirigent / Chor / Orchester

Ein sehr jung wirkender Michele Spotti hatte das Orchester im Griff, aber zwei-dreimal gingen die Pferde mit ihm durch und er deckte die Sänger gnadenlos zu; am besten gelang ihm die Autodafé Szene, die in einem stets sich steigerndem Spannungsbogen grandios daher kam.

Und genau in dieser Szene wuchs der Chor, Extrachor plus Zuzüger über sich hinaus … bravissimo … Gänsehaut !

Das Orchester begann schon sehr gut mit reinem Hörnerklang in den Einleitungen zu Akt 1 und 2, wirkte frisch-lebendig und hielt über die vier Stunden durchgehend das gute Niveau, dem Dirigenten wach folgend. Heraushebenswürdig bestimmt auch das Cello Solo zur Philipp-Arie. 

Sprache:

die französische Sprache mit ihren vielen Nasallauten ist weniger wirksam, klingt weniger.

Mit dieser These begeben ich mich bewusst auf Glatteis, vielleicht liegt es an mir, weil ich den ital Text praktisch Wort für Wort auswendig kenne und wenn ich die mir geläufige Musik höre und genau weiss wie es jetzt italienisch klingen wird und dann kommt etwas Anderes, das einfach weniger gut klingt, dann empfinde ich das als schade, eher negativ.

Sänger:

Don Carlos Joachim Bäckström überzeugte in der gesanglich sehr anspruchsvollen Partie überaus und war auch darstellerisch glaubhaft. Erst in der Kerkerszene, die in der franz Fassung nach dem Erscheinen des Königs Minuten länger dauert und noch einige giftige Höhen bei vollem Orchesterklang enthält, war eine gewisse Ermüdung feststellbar. Im Schlussbild war er stimmlich wieder voll präsent.

Sein Freund Rodrigue John Chest hat mir ebenfalls gefallen, eine modulationsfähige Stimme, von unten bis oben, vom Piano bis zum Forte hört sich sein Timbre gleich an, alles gut verblendet. Darstellerisch passte er gut zum Infanten, gelegentlich vermisste ich etwas  Leadership, er ist ja der Reifere, Vernünftigere der Beiden.

Philipp Nathan Berg überzeugte mich nur bedingt: er wirkte auf mich weder royal noch strahlte er Autorität aus. Seine Gesten und Bewegungen waren nicht die eines alten Mannes. Ich vermisste Aura und Authentizität; er spielte den König, er war es nicht. Auch stimmlich war er keine Autorität, er verfügt nicht über einen schwarzen Bass oder basso profondo; ich sähe ihn eher als Fra Melitone oder als König in Aida.

Ganz deutlich wurde das in der grossen Szene mit dem Grossinquisitor Vazgen Gazaryan, dem er klar unterlegen war. Obwohl gar nicht etwa gross gewachsen, stand der da, sang und beherrschte die Bühne mit seinem schwarzen Bass.

Eboli Kristina Stanek, figürlich ultraschlank, attraktiv anzuschauen, wurde von der Kritik hochgelobt. Natürliche Konsequenz ist dass man hohe Erwartungen hegt … die sie nicht einlösen kann. Sie spielt engagiert, aber stets mit Star-Attitüde (Stil Angela G). Das Schleierlied wird mit Pose beendet, kaum eine Hand rührt sich; Resultat: die Pose wirkt lächerlich und eher peinlich. Stimmlich kann sie ab oberer Mittellage mit grosser Stimme und eindrücklichen Höhen prunken, das tiefe Register ist – höflich ausgedrückt – wenig ausgebildet, es klafft ein Loch, ein technisches Manko. Die grosse Arie gelingt nach zuvor durchwachsenen Eindrücken gut. Erst zum Schluss geht ihr die Energie aus und die Schlusstöne werde nur noch mit Mühe erreicht, tönen nicht mehr rund.

Trotzdem viel Applaus des Publikums.

Last but not least zur Elisabeth der Leah Gordon: als Königstochter im Unterrock auf einer Parkbank im Wald von Fontainebleau allein ohne Zofe oder Anstands-Wauwau erwachend singen zu müssen … das tönte kühl, volles Verständnis meinerseits , aber ich will nicht vorgreifen, zur Regie komme ich noch. Da aber ein fescher Mann, ganz zufällig, auch im selben Wald schlummerte, erwärmte sich ihre Stimme sofort und war danach die vollen vier Stunden mit abweisenden (im zweiten Duett mit Carlos) oder warmen Tönen (Abschied von der vom König verbannten  Hofdame) stets wunderbar präsent, steigerte sich zu einer famosen „Tu che le vanità conoscesti del mondo / Toi qui sus le Néant des grandeurs de ce monde“ – Arie, die den stärksten Applaus des Abends erhielt.

Der Sänger Französisch war durchs Band schlecht zu verstehen; ich spreche ihnen kein Bemühen ab, aber es war – so glaube ich – keine/keiner mit franz Muttersprache dabei.

Regie:

Regisseur Vincent Huguet kreierte viel Gutes respektive Vernünftiges neben einigen verwerflichen Regie-Untugenden und einigen rätselhaften Einfällen, die mehr verwirrten als erhellten.

Schlussfazit: Mich wundert nicht, dass die französische Fassung Don Carlos kaum zur Aufführung kommt, denn sie ist weit weniger interessant und deswegen weniger populär als die italienische Version.

Alex Eisinger

 

 

 

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