THEATER BASEL (Schauspiel): DOKTOR WATZENREUTHERS VERMÄCHTNIS – ein Wunschdenkfehler von Christoph Marthaler
am 17.12.2024
Dinner for seven. Foto: Lucia Hunzicker
Für Christoph Marthaler-Fans lohnt sich eine Reise nach Basel derzeit gleich doppelt. Denn nicht nur hat der Meister gerade seine jüngste große Musiktheateranstrengung „Tiefer Graben 8“ auf die Große Bühne gebracht, im Schauspiel läuft auch noch „Doktor Watzenreuthers Vermächtnis – ein Wunschdenkfehler“ (das im September Premiere hatte).
Wenn man gefragt werden sollte, welche Produktion einem denn besser gefallen hat, könnte man sich nicht entscheiden: denn beides sind zwar typische Marthaler-Inszenierungen, dabei aber völlig anders geartet.
Doktor Watzenreuthers Vermächtnis spielt in einem einzigen Raum (Bühne: Duri Bischoff) : eine Art Konferenzzimmer, mit einem laaangen Holztisch, einem Portrait des alten (oder uralten) Watzenreuthers und etlichen Regalen voller Metallurnen an den Wänden. An dem großen Tisch nehmen sieben Personen Platz (worin Einheimische eine Anspielung auf die sieben Schweizer Bundesräte vermuteten). Die echten und die angeheirateten Watzenreuthers stehen der Reihe nach auf und halten mit grotesken Floskeln gespickte Reden wie in Aufsichtsratsitzungen oder Familienfeiern.
Asche zu Asche. Foto: Lucia Hunzicker
Der Butler („Same Procedure As Every Year“) zieht mit einem Stummen Diener seine Runden, manchmal mit, manchmal ohne Urnen darauf. Aus den Urnen an den Wänden ertönt gelegentlich Musik (Bendix Dethleffsen an der Urnenorgel), wenn man den Deckel einer Urne anhebt, fängt sie auch noch zu sprechen an. Ab und zu erscheint die Polizei und führt die gesamte Gesellschaft ab – die aber in der nächsten Szene frisch-und feuchtfröhlich wieder in den Raum stürmt. Die Eiswürfelmaschine sondert unkontrolliert Eiswürfel ab. Das Ahnenporträt verrutscht. Die sieben Gäste stimmen – wie bei Marthaler Tradition – immer wieder in ganz wunderbare Gesänge an: von „If you dont know me by now“(live ins Deutsche übersetzt !) bis zu Bach-Chorälen. Und die heimliche Hauptfigur des Abends, die „Nichte“ Nadja (deren 17. Geburtstag hier angeblich gefeiert werden soll) kommentiert das groteske Geschehen bitter, indem sie ihrem Cello (das ihre Verwandten für eine Blockflöte halten) göttliche Töne entlockt – von so „einfachen“ und „heiteren“ Komponisten wie Mieczyslaw Weinberg oder Sofia Gubaldulina. Ab und zu bricht die auch schauspielerisch begabte Cellistin, die im wirklichen Leben auch Nadja (Reich) heisst, in höhnisches Gelächter aus, wird aber von der Tischgesellschaft mit spitzen Schreien (Nadja! Nadja !! Nadja !!!) sofortigst mundtot gemacht.
Tja, die Tafelrunde hat wirklich nicht so viel zu lachen an diesem Abend. Nur gegen Schluss bricht sie plötzlich aus ihrer Steifheit und Rigidität aus und umkreist – grotesker geht’s immer – die hölzerne Tafel in einem Allinclusivehotelanimations – „Trenino“, wobei die steifste der anwesenden Damen mit getaftesten Frisur immer wieder plötzlich lasziv-erotische Hüftschwünge vollführt.
Hüftschwung für Trenino. Foto: Lucia Hunzicker
Urkomisch !
Letztlich versteht man in diesen pausenlosen zwei Stunden eigentlich immer nur „Watzenreuther“, wobei man nicht einmal weiss, was dieser Name nun bedeuten soll…was aber völlig belanglos iat,
denn sein Vermächtnis bleibt: die Erinnerung an einen skurrilen, melancholischen, tragischen, komischen, verrätselten, nachdenklich machenden, inspirierenden, erheiternden, musikalisch absolut genialen Theaterabend. Danke, Doktor !
Robert Quitta, Basel