Dmitry Golovnin. Copyright: Priska Ketterer
Basel: DER SPIELER (Sergej Prokofiev) – Aufführung vom 21.5.2018
Oper als Menetekel für die heutige Zeit!
Einmal mehr hat das Theater Basel – Dreispartenbetrieb am Rheinknie – Mut bewiesen und Sergej Prokofievs „Der Spieler“ am 10. März 2018 zur Schweizer Erstaufführung gebracht. Die Oper nach Dostojewskijs gleichnamigem Roman hatte den Komponisten viel Mühe gekostet, bis sie endlich 1927 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel uraufgeführt werden konnte. Anders als seine komische Oper „Die Verlobung im Kloster“ und der spätere „feurige Engel“ spiegelt „Der Spieler“ Prokofievs wilde, atonale Kompositionsweise wider. Dabei ist die Spielcasino-Szene das Herzstück dieses Werks, wo in stets wechselnden rhythmischen Wirbeln Solisten, Chor und Orchester in einem einmaligen Zusammenspiel die Szene vorantreiben, in der die Menschen Opfer ihrer eigenen Spielsucht werden. Und ebenso ist die Psychologie des „Personals“ zu lesen, die bei Prokofiev eine Verdichtung auf wenige Figuren im Unterschied zur ausufernden Vorlage bei Dostojewskij gefunden hat.
Polina und Alexej, der General und die Erbtante, Blanche und der Marquis – das sind die Hauptfiguren, auf die sich die Opernhandlung stützt. Denn ebenso wie die Spielsucht im Casino für die daran beteiligten Menschen eine unberechenbare Macht ist, so unberechenbar und ohne Empathie verhalten sich auch die Personen zueinander.
Polina, die von Alexej vergebens angebetete Frau, lässt Alexej stets in neue Wechselbäder der erotischen Verstrickung fallen. Polina ist völlig unberechenbar und manchmal wird sie auch als Sadistin bezeichnet. Das bedingt natürlich in Alexej einen Masochisten, der Polina ebenso verfallen ist, wie er im Verlaufe der Handlung auf fatale Weise der Spielsucht verfällt. Wenn Polina ihn aus einer Laune heraus auffordert, ein Grafenpaar zu beleidigen, und er das dann auch tut, so gerät er auch in die Fänge der Abhängigkeit zu Polina, ebenso wie im Laufe der Handlung dann zur Spielsucht, die letztlich sein Verderben im Verlust der Geliebten und im Wahnsinn findet.
Die Vorlage hat der russische Regisseur Vasily Barkhatov in die heutige Zeit versetzt. Die Entwurzelung der russischen Emigranten nach der Revolution 1917, die in den Spielbanken von Baden-Baden, Wiesbaden (wo Dostojewkij selbst eine riesige Spielschuld hinterlassen hat!) und Bad Homburg ihr Vermögen und ihre Identifikation verspielten, setzt der Regisseur mit der global entwurzelten aktuellen Gesellschaft in ihrer heutigen Internetsucht gleich. Die Gamer sitzen total isoliert vor ihren Bildschirmen und nehmen die virtuelle Welt für die wahren Verhältnisse. Dieses Gleichnis erreicht die Klimax in der grandiosen Casino-Szene, die Prokofiev in freier Erfindung gegenüber Dostojewskijs Roman für die Oper zum Drehpunkt geformt hat. Die in jüngster Zeit erlebten Finanz-Crashs mit Hedge-Funds und möglicherweise bald mit Bitcoins, werfen mit dieser Szene für die heutige Zeit ein unmittelbar ergreifendes Menetekel an die Wand. Wenn in der Oper dann Alexej im Wahnsinn seinen Rechner zertrümmert, sind auch seine gewonnenen Millionen dahin.
Das virtuose Bühnenbild (Zinovy Margolin) mit seinen auf drei Stockwerken verteilten Simultan-Spielstätten symbolisiert dann in der Casino-Szene die Vereinzelung und Isolierung der am Bildschirm sitzenden und spielenden Gamer.
Die Spielcasino-Szene als Internet-Rausch. Copyright: Priska Ketterer
Die Besetzung in der Hauptrolle des Alexej mit Dmitry Golovnin kann für diese Inszenierung als ideal bezeichnet werden. Hier ist er nicht von Anfang ein dem Untergang Geweihter, sondern er stürzt erst in den Abgrund seiner Psyche aufgrund seiner eigenen Belanglosigkeit und des Desinteresses am Spiel. Dass er dann doch über alle Massen gewinnt, setzt erst seine unentrinnbare Spielsucht frei. Er gewinnt Millionen, aber verliert Polina, die ihn auslacht. Asmik Grigorian als Polina bringt diese merkwürdige Mischung aus Kühle und „normalem Verhalten“ ohne pathetische Verrenkung rüber. Beide singen ganz hervorragend, vielleicht nicht mit Belcanto-Tönen, die aber für ein solches Werk auch nicht vonnöten sind. Leider war der für die Rolle des Generals einspringende Marek Gasztecki über weite Strecken schlicht unhörbar und seine Darstellung des erfolglos intrigierenden Generals, der ohne Geld am Schluss von Blanche sitzengelassen wird, kann man als eher konventionell bezeichnen. Kristina Stanek verkörperte mit Nonchalance die Tussi Blanche und sang entsprechend kühl. Die für die absagende Jane Henschel einspringende Julia Faylenbogen konnte nicht so recht den grotesken Auftritt der kuriosen Babulenka verkörpern, war aber stimmlich einwandfrei. Rolf Romei war der undurchsichtige Marquis, der in dieser Inszenierung zudem Drogendealer ist. In idiomatischem Russisch artikulierend konnte er seine lyrisch timbrierte Stimme optimal einsetzen. Dann gibt es eine schier endlose Auflistung von weiteren Sängerinnen und Sängern, die hier nicht namentlich aufgeführt werden sollen, die aber alle eine prima Ensemble-Leistung erbracht haben. Der Chor (Einstudierung: Michael Clark) war wie immer am Theater Basel eine sichere (Spiel-) Bank (!). Das prachtvoll aufspielende Sinfonieorchester Basel bewältigte in souveräner Weise unter der Leitung des der jüngeren Dirigenten-Generation angehörenden Modestas Pitrenas die verzwackten Rhythmen des „wilden“ Prokofiev – der Komponist stand bei der Komposition eindeutig hörbar unter dem starken Eindruck von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ – und trug wesentlich zum Erfolg dieser eher selten gespielten Oper bei.
Aktueller als die Basler Aufführung kann wohl kaum eine Opernaufführung sein – und da sagt man noch, die Oper sei überholt…
John H. Mueller